Stattdessen schleppst du einen lebenden Drachen und eine Prinzessin ohne Mitgift an. Eine miserable Ausbeute, wenn du mich fragst. Du kannst trotz deiner zugegeben großen Taten nicht eine einzige Goldmünze vorweisen.«
Rupert grinste. »Ich habe immer noch das Regenbogenschwert.«
Julia warf ihm einen bestürzten Blick zu. »Du hast doch nicht im Ernst vor, es zu verscherbeln?«
Der Prinz zuckte die Achseln. »Das Waldkönigreich braucht das Geld dringender, als ich ein Zauberschwert brauche. Das Königshaus hat seine Verpflichtungen, wenn du dich erinnerst.«
»Und ob ich mich erinnere«, erwiderte Julia trocken. »Es wird mir schwer fallen, mich wieder an dieses Gesülze zu gewöhnen. An die unbequemen Gewänder, an die steife Etikette und an die Hofdamen, die dich daran hindern, all das zu tun, was Spaß macht.«
»Ich werde schließlich auch noch da sein«, versprach Rupert.
Julia lächelte. »Das ist ein Trost«, sagte sie und drückte ihm kurz die Hand.
Hohe, majestätische Eichen säumten die Straße; die schweren Äste waren kahl bis auf vereinzelte, herbstlich braun verfärbte Blätter. Es war Spätnachmittag, aber die Sonne sank bereits hinter den Horizont. Rupert zog die Stirn kraus, als die kalte Brise durch die Bäume raschelte. Der Winter schien früher als sonst hereinzubrechen. Als ob das Waldkönigreich nicht genug andere Probleme hätte… Er schüttelte bedächtig den Kopf. Dann atmete er tief durch und genoss den vertrauten Geruch nach Holz und feuchten Erdschollen, der ihm verriet, dass er bald daheim war. Daheim. Das Wort weckte viele Erinnerungen, wenn auch nicht unbedingt erfreuliche.
Rupert zügelte das Einhorn und wandte sich dem Drachen zu.
»Äh, Drache… ich halte es für besser, wenn du… also, wenn du…«
»Wenn ich mich erst mal rar mache?« Der Drache lächelte und entblößte einige Reihen nadelspitzer Zähne. »Ich verstehe, Rupert. Wir wollen sie nicht gleich zu Tode erschrecken, stimmt's?«
Rupert grinste den Drachen erleichtert an. »Genau. Es wird ihnen zunächst schwer genug fallen, so zu tun, als freuten sie sich über meine Rückkehr.«
»Da wären sie mit mir glatt überfordert.« Der Drache legte sich flach hin und wartete geduldig, bis Julia abgestiegen war. Dann verließ er ohne Eile die Straße, schlug sich in die umliegenden Büsche und war verschwunden.
Rupert klappte die Kinnlade nach unten. »Ich wusste nicht, dass sich Drachen unsichtbar machen können.«
»Können wir auch nicht«, erklärte eine körperlose Stimme vom Straßenrand. »Aber wir verstehen etwas von Tarnung, sonst müssten wir glatt verhungern. Ein zehn Meter langer Drache fällt im Allgemeinen auf, wenn er sich seiner Beute zu nähern versucht.«
»Gut«, sagte Rupert. »Sehr gut. Ich hole dich später ab, sobald ich Gelegenheit hatte, den Hofstaat auf deinen Besuch vorzubereiten. Ach, und noch etwas, Drache… wenn du zufällig auf ein paar fette, dämlich dreinblickende Vögel stoßen solltest, dann friss sie lieber nicht! Sie stehen unter dem persönlichen Schutz des Königs.«
»Zu spät«, meinte der Drache mit vollem Mund.
Rupert schüttelte resigniert den Kopf. »Nun ja, war wohl ohnehin Zeit, die Dodo-Population ein wenig auszudünnen.«
Er wandte sich Julia zu, die ungeduldig mitten auf der Straße wartete.
»Seid ihr beide mit eurem Palaver bald fertig?«, fragte sie drohend. »Es wird spät…«
»Keine Panik«, entgegnete Rupert. »Das Schloss ist gleich um die Ecke. Wir haben es fast geschafft.« Er zögerte und schwang sich aus dem Sattel.
»Was wird das jetzt wieder?«, erkundigte sich Julia.
»Nun ja«, meinte Rupert unbeholfen, »es macht sich vielleicht nicht so gut, wenn ich auf dem Einhorn reite und du zu Fuß gehst. Steig auf!«
»Nein, danke.«
»Aber du kennst die Hofleute…«
»Nein«, wiederholte Julia mit fester Stimme.
»Warum?«
»Weil ich nicht auf einem Einhorn reiten kann – darum!«
Rupert starrte zu Boden und zog mit der Stiefelspitze Kreise in den Staub.
»Hm«, sagte er schließlich.
»Was bedeutet das im Klartext?«
»Es bedeutet, dass er nachdenkt«, sagte das Einhorn. »Das ist immer ein schlechtes Zeichen.«
»Mein Gott, Jungfrau hin oder her!«, rief Julia gereizt. »Es gibt schlimmere Dinge.«
»Hierzulande leider nicht«, sagte Rupert. »Einhorn, du lahmst.«
»Stimmt doch gar nicht«, widersprach das Einhorn.
»Doch, du lahmst. Deshalb gehen Julia und ich zu Fuß.«
»Willst du damit etwa andeuten, dass ich humpeln soll?«, fragte das Einhorn.
»Du hast das Problem voll erfasst!«, sagte Rupert. »Und sieh zu, dass du überzeugend wirkst, sonst sorge ich dafür, dass du einen Monat lang nur Gras zu fressen bekommst!«
»Erpressung!«, maulte das Einhorn. Es setzte sich langsam in Bewegung und probierte dabei verschiedene Arten des gequälten Humpelns aus. Rupert und Julia sahen sich lächelnd an und folgten ihm.
Der Wald zu beiden Seiten der Straße lichtete sich, und schon bald erreichten sie den Schlossgraben. Rupert runzelte erstaunt die Stirn, als er die hochgeklappte Zugbrücke sah; solche Vorsichtsmaßnahmen wurden im Allgemeinen nur getroffen, wenn sich das Land im Ausnahmezustand befand.
Sein Stirnrunzeln vertiefte sich nach einem Blick auf die verlassene Brustwehr, und er rief sich das Land in Erinnerung, das sie seit dem Verlassen des Dunkelwaldes durchquert hatten. Es konnte während seiner Abwesenheit weder einen Krieg noch eine Rebellion gegeben haben, sonst wären sie an ausgebrannten Höfen vorbeigekommen oder hätten auf den Feldern Leichen gesehen, die man den Aaskrähen zum Fraß vorgeworfen hatte. Die Pest? Rupert fröstelte, als ihm in den Sinn kam, dass er unterwegs keiner Menschenseele begegnet war, aber gleich darauf rief er sich zur Vernunft. Im Falle einer Seuche hätte er zumindest Schwefelfeuer oder schwarze Kreuze an den Türen gesehen.
»Was ist los?«, fragte Julia.
»Ich weiß nicht recht.« Rupert spähte zum Torhaus des Bergfrieds hinüber. »Ho, Torwachen!«, rief er. »Lasst die Zugbrücke herunter!«
Während er ungeduldig auf eine Antwort wartete, wandte Julia ihre Aufmerksamkeit der Burganlage zu.
»Übermäßig groß ist sie ja nicht«, meinte die Prinzessin.
Rupert lächelte schwach. Er musste zugeben, dass die Residenz des Waldkönigreichs auf den ersten Blick nicht gerade imposant wirkte. Das von Wind und Regen angenagte Mauerwerk war rissig, die hohen, mit Zinnen geschmückten Türme sahen schief und arg mitgenommen aus – und dennoch rührten die vertrauten, bröckeligen Wehrgänge und die von Efeu umrankten Wälle sein Herz. Die Burg hatte Kriegen und Seuchen getrotzt, Dunkelheit und Verfall, hatte getreulich Wache über das Reich und seine Vorfahren gehalten. Vierzehn Generationen seiner Familie waren innerhalb dieser Mauern groß geworden, vierzehn Generationen im Dienste des Waldkönigreichs. Rupert seufzte leise. Manchmal lastete die Vergangenheit schwer auf seinen Schultern. Und obwohl er die meiste Zeit seines jungen Lebens gebetet hatte, der Enge dieser Burg entfliehen zu können, war sie letztlich doch sein Zuhause, auf das er sich freute.
»Die Burg macht wesentlich mehr her, wenn du sie von innen siehst«, versicherte er der Prinzessin.
»Das hoffe ich sehr«, sagte Julia.
»Wir haben vier separate Flügel mit je tausend Räumen, zwölf Bankettsäle, drei Ballsäle, dazu die Unterkünfte der Wachen und Diener, Ställe, Innenhöfe…«
Julia musterte die bescheidene Anlage, die höchstens hundert Meter breit und nicht mal dreißig Meter hoch war. »So viel Platz – da drinnen? «
»Mhm«, bestätigte Rupert lässig. »Die Burg ist innen grö
ßer als außen.«
»Wie das?«
»Architekten-Pfusch«, meinte Rupert grinsend.