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Auf diesem Thron saß unbewegt und unerschütterlich König Johann IV., sein Vater. Der große Löwenkopf erschien fast zu schwer für den gebrechlichen Körper, und weder die reich bestickte Robe noch die prunkvolle goldene Krone konnten darüber hinwegtäuschen, dass seine graue Mähne struppig nach allen Seiten abstand und der Bart ungepflegt wirkte.

Selbst in besseren Tagen hatte Ruperts Vater ein wenig abgerissen ausgesehen – fast so, als habe man ihn rückwärts durch eine Hecke gezerrt. Aber trotz seiner Jahre und der Müdigkeit, die ihn einzuhüllen schien wie ein vertrauter alter Mantel, strahlte König Johann Würde aus, und seine tief liegenden Augen verrieten eine große innere Ruhe.

An seiner Seite stand Thomas Grey, der Hofastrologe, hoch gewachsen, breitschultrig und auf seine düstere Art durchaus anziehend. Der schwarz gekleidete Magier besaß alles, was einen Mann von Rang auszeichnete – nur keine edle Herkunft. Den Sohn eines Hufschmieds hatte von Kindheit an eine enge Freundschaft mit dem König verbunden, und nach Johanns Thronbesteigung war es für ihn selbstverständlich gewesen, seine vielversprechende Karriere an der Zauberer-Akademie abzubrechen und dem Jugendgespielen als Ratgeber an den Hof zu folgen.

Rupert hegte eine tiefe Abneigung gegen ihn. Der Mann lächelte einfach zu viel.

Die Höflinge musterten den Prinzen mit feindseligen Blicken, als er den Thronsaal betrat. Seine Schritte hallten laut in der Stille wider.

»Nun?«, wandte er sich an den Zeremonienmeister, der immer noch fassungslos das zersplitterte Portal angaffte.

»Willst du uns nicht dem König melden?«

»Ich glaube, er weiß, dass wir hier sind, Rupert«, sagte eine belustigte Stimme hinter ihm. Rupert unterdrückte ein Grinsen.

»Es geht darum, die Form zu wahren, Julia.«

»Ich lasse mir von Ihnen keine Befehle erteilen«, erklärte der Zeremonienmeister hochmütig. »Da könnte schließlich jeder…« Seine Stimme erstarb, als hinter Ruperts Schulter der Kopf des Drachen auftauchte. Aschfahl sah er zu, wie sich der Koloss durch den Türrahmen zwängte und wie dabei erneut ein paar Balken zu Bruch gingen. Er schluckte schwer.

»Sofort, Sire!«

Hastig trat er vor, warf sich in Pose und verkündete:

»Prinz Rupert vom Waldkönigreich, zweiter Thronanwärter, Verteidiger der Schwachen, Krieger des Reiches, Grundherr und Steuereinnehmer…« Er warf einen ängstlichen Blick nach hinten und fügte mit schwankender Stimme an: »Mit Freunden…«

Julia vollführte einen anmutigen Hofknicks und merkte dann erst, dass sie immer noch den Dolch in der Faust hielt.

Achselzuckend schob sie das Hosenbein hoch und verstaute die Waffe im Stiefelschaft. Der Drache ließ sich zu einem Lächeln herab, das seine spitzen Zahnreihen entblößte. Einige der näher stehenden Höflinge zogen sich in ungewohnter Bescheidenheit in die hinteren Reihen zurück. Das Einhorn warf unruhig den Kopf hin und her und pinkelte an den Türpfosten.

»Du mit deiner schwachen Blase!«, zischte ihm Rupert zu.

»Rupert, mein Bester, wie schön, dich unversehrt wiederzusehen!«, dröhnte eine Stimme aus dem Hintergrund, und Rupert sah, wie die Höflinge eine Gasse bildeten, um Harald durchzulassen. Sein Bruder war jeder Zoll der Held, den die Barden besangen – groß, stattlich und gut aussehend, zumindest nach dem Volksgeschmack. Er klopfte Rupert auf den Rücken und zerquetschte ihm zur Begrüßung fast die Hand.

»Geiler Drache«, fuhr er heiter fort. »Allerdings ist es üblich, die Dinger zu töten, ehe man sie anderen Leuten ins Haus schleppt!«

»Du kannst es ja versuchen«, feixte Rupert, während er unauffällig seine tauben Finger massierte. Harald musterte den Drachen, der sich mit gespaltener Zunge die Lefzen leckte und den älteren Prinzen hungrig ansah.

»Später vielleicht«, versprach Harald und wandte sich rasch ab, um Julia mit einem strahlenden Lächeln zu beglücken. »Wie ich sehe, Rupert, hat sich dein Geschmack in puncto Frauen gebessert. Willst du uns nicht bekannt machen?«

»Ich habe das Gefühl, dass einer von uns beiden das bereuen wird«, murmelte Rupert. »Prinzessin Julia vom Hügelland, darf ich Ihnen meinen Bruder vorstellen – Prinz Harald vom Waldkönigreich.«

Obwohl Rupert an heftige Reaktionen gewöhnt war, wenn es um seine Freunde ging, erstaunte es ihn doch, dass der gesamte Hofstaat vor Entsetzen zu erstarren schien. Julia warf einen Blick auf Haralds ausgestreckte Hand und stieß ein lautes Zorngebrüll aus. Haralds Kinnlade klappte nach unten, nachdem er ebenfalls einen Blick auf Julias Hand geworfen hatte. Er trat einen Schritt zurück und suchte vergeblich nach ein paar besänftigenden Worten. Julia stand im Begriff, sich auf Harald zu stürzen, aber Rupert erkannte die Zeichen des Sturms und umklammerte die Prinzessin von hinten.

»Was ist denn nun schon wieder los?«, fragte er müde.

»Musst du wirklich mit jedem Streit anfangen?«

»Das ist er!«, kreischte die Prinzessin und versuchte sich von ihm loszureißen.

»Klar, das ist er – mein Bruder!« Rupert hielt sie eisern fest. »Ich kann es leider auch nicht ändern.«

Julia hörte unvermittelt zu strampeln auf, und Rupert gab sie erschöpft frei.

»Du hast ja keine Ahnung!«, murmelte sie dumpf. »Das ist der Prinz, den ich heiraten sollte – der Typ, vor dem ich in die Berge geflohen bin!«

Rupert schloss einen Moment lang die Augen. Immer wenn er glaubte, alles im Griff zu haben…

»Julia, konntest du das nicht früher sagen?«

»Ich wusste doch nicht einmal, wie er hieß, Rupert. Man verlobte uns, als wir noch Kinder waren. Die Hochzeit hätte am Tag meiner Volljährigkeit stattfinden sollen, und als Ehepfand tauschten unsere Väter gravierte Weißgoldringe.

Ich trage den meinen seit dem vierten Lebensjahr. Es ist genau der gleiche, den ich soeben bei Harald entdeckt habe.«

Rupert starrte seinen Bruder an, der mühsam um Fassung rang.

»Stimmt das? Du bist mit ihr verlobt?«

»Nun ja, ich war es zumindest, aber…«

»Aber was?«

»Aber dann lief sie weg«, sagte Harald missmutig. »Vater blieb nichts anderes übrig, als mir eine neue Braut zu besorgen. Ganz nettes Ding – die Tochter eines Barons. Anständige Mitgift und beste politische Verbindungen. Und jetzt kommst du…«

»Und jetzt kommst du, Rupert, und machst alles kaputt!«

Die trockene, kühle Stimme des Königs übertönte Haralds Worte mühelos. »Da dieser Ehevertrag mit dem Hügelland nie aufgelöst wurde, wird uns wohl keine andere Wahl bleiben, als ihn zu erfüllen. Sonst noch eine Katastrophe, die du uns zu melden hast?«

»Lass mich nachdenken«, entgegnete Rupert. »Mir fällt sicher noch was ein.«

Harald schlenderte von dannen und unterhielt sich im Flüsterton mit dem König, während Rupert sein Bestes tat, um die tobende Julia zu besänftigen.

»Ich denke nicht daran, ihn zu heiraten!«, fauchte sie. »Eher gehe ich ins Kloster.«

Rupert erschrak bei dem Gedanken, was Julia in einem Kloster anrichten könnte, bemühte sich aber, ruhig zu bleiben.

»Du musst ihn nicht heiraten«, beschwichtigte er sie. »Ich finde eine andere Lösung, Ehrenwort.«

Julia zog misstrauisch die Nase kraus und musterte Harald.

»Wie ist er so, dein Bruder?«

»Reich, charmant, umschwärmt. Drei gute Gründe, jeden zu hassen. Aber Harald ist außerdem noch ein aufgeblasener, pedantischer Blödmann, der gelegentlich hart arbeitet und deshalb die Meinung vertritt, Spaß sollte für jeden streng verboten werden, der nicht dem hohen Adel angehört. Als ich klein war, hat er mir das Leben zur Hölle gemacht. Einige der Narben sind mir bis heute geblieben. Im Grunde ist er ein brutaler Ellenbogentyp und wird deshalb einen prächtigen König abgeben.«