»Sie wiederholen sich«, sagte der König gereizt. »Dabei wissen Sie so gut wie ich, dass die Barone mir ihre Männer verweigern werden – aus Angst, ich könnte gegen sie selbst kämpfen. Und vielleicht tue ich das sogar, denn ihr Verhalten grenzt allmählich an Rebellion. Nein, Sir Champion, schlagen Sie sich den Gedanken an ein Heer aus dem Kopf!«
Der Champion blieb hartnäckig. »Ich muss mehr Leute bekommen, Majestät!«
»Die königliche Garde…«
»… reicht nicht aus für unseren Kampf gegen die Finsternis.«
»Sie muss ausreichen«, erklärte der König kategorisch.
»Alle sonstigen Wachen und Soldaten sind bereits im Reich verteilt, um die Straßen offen zu halten und mein Volk zu beschützen. Soll ich sie zurückholen, damit Sie ein Heer aufbauen können, und die Dörfer und Städte der vorrückenden Dunkelheit überlassen?«
»Nötigenfalls ja«, erklärte der Champion ruhig. »Man kann eine Krankheit nicht heilen, wenn man nur die Symptome bekämpft. Die Dämonen sind Kinder der Finsternis. Der einzige Weg, dem Ausbreiten der langen Nacht Einhalt zu gebieten, besteht darin, ein Heer in den Dunkelwald zu führen und sein Herz zu vernichten.«
Ruperts Magen verkrampfte sich plötzlich, als er begriff, was der Champion forderte. Wenn die Wachen zurückgeholt wurden, blieben die Dörfer wehrlos zurück, und die Dämonen würden in Scharen darüber herfallen. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, als er sich an die Klauen und Fänge der Kreaturen erinnerte, gegen die er und Julia Rücken an Rücken auf der Lichtung gekämpft hatten. Er erinnerte sich, dass er Todesängste ausgestanden und gebetet hatte, das Ende möge schnell kommen. Die Dämonen waren Teil der Finsternis.
Begriffe wie Ehre oder Gnade waren ihnen fremd. Mit Sensen und Mistgabeln bewaffnete Bauern waren hoffnungslos unterlegen gegen die Horden, die als Vorhut des Dunkelwaldes ausschwärmten. Blut würde die Nacht erfüllen und Schreie, die erst im Morgengrauen verstummten…
»Es muss einen anderen Weg geben«, stieß er hervor und musterte verzweifelt die ungerührten Züge des Champions.
»Es gibt einen anderen Weg«, warf Thomas Grey ein. »Wo Waffen nicht ausreichen, bleibt immer noch die Magie.«
Der Champion lächelte verächtlich. »Immer das alte Lied, Astrologe. Aber mit Prophezeiungen und Blendwerk richten Sie gegen den Dunkelwald wenig aus. Früher oder später müssen wir doch zum kalten Stahl greifen.«
»Sie reden, als sei die Finsternis ein wildes Tier, das man mit Schwert und Lanze aus dem Weg räumen könne«, fauchte der Astrologe. »Das Dunkel lässt sich nur mit Licht bekämpfen. Weiße gegen Schwarze Magie, Aufklärung gegen Unwissenheit. Schicken Sie ein Heer in den Dunkelwald, und Sie sehen es nie wieder!«
Sie starrten einander über den Thron hinweg an, der Champion hoch aufgerichtet und stolz in seinem schimmernden Kettenpanzer und dennoch irgendwie verloren im düsteren, imposanten Schatten des schwarz gekleideten Astrologen, in dessen eisblauen Augen sich geheimes Wissen spiegelte und den eine Aura aus Macht und bösen Ahnungen umhüllte wie ein Leichentuch. Rupert musterte ihn verwundert. In den wenigen Monaten, die er dem Hof fern gewesen war, schien Thomas Grey an Format und Einfluss gewonnen zu haben. Und an Mut, denn es gab nur wenige, die es wagten, dem Champion offen zu widersprechen. Rupert runzelte die Stirn. Der Astrologe trat für seinen Geschmack eine Spur zu siegessicher auf. Vielleicht war Magie die einzige Antwort auf das Dunkel, aber nur ein mächtiger Zauberer konnte es wagen, den Kampf gegen den Dunkelwald aufzunehmen. Und Thomas Grey war kein Zauberer.
»Majestät!«, dröhnte eine volle, gebieterische Stimme aus dem Kreis der Höflinge. Ruperts Blicke fielen auf einen kleinen, fetten Mann in prunkvollen, allerdings von Soßeflecken verunzierten Gewändern, der sich einen Weg zum Thron bahnte. Scharfe Schweinsäuglein blinzelten unter sorgfältig gezupften Brauen hervor, und der geschminkte Mund wirkte ärgerlich verkniffen. Er blieb gegenüber dem Champion stehen und verneigte sich knapp vor dem König. »Majestät, als Ihr Kriegsminister protestierte ich schärfstens gegen…«
»Also schön«, unterbrach ihn der Champion gelassen, »wir nehmen Ihren Protest zur Kenntnis. Und jetzt machen Sie die Fliege, wir haben ernsthafte Dinge zu besprechen.«
Der Minister wurde zornrot, aber seine Stimme blieb kalt und hart. »Ob es Ihnen passt oder nicht, Sir Champion, ich bin der Kriegsminister dieses Reiches. Noch eine solche Unverschämtheit von Ihrer Seite, und ich lasse Sie auspeitschen!«
Die Hand des Champions legte sich auf den Schwertgriff.
Der Minister erbleichte und wich zurück.
»Sir Champion!«, warnte der König. »Wenn Sie die Waffe gegen einen meiner Minister erheben, sind Sie einen Kopf kürzer!«
Einen Moment lang schien es, als wolle sich der Champion über die Worte des Königs hinwegsetzen, aber der Moment verging, und er löste die Hand vom Schwertgriff. Der Minister begann wieder zu atmen.
»Er hat mich beleidigt«, sagte der Champion.
»Sie haben meinen Minister beleidigt«, entgegnete der König eisig. »Eine Ausfälligkeit gegen ihn ist eine Ausfälligkeit gegen mich. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
»Natürlich, Majestät.« Der Champion verneigte sich leicht.
»Ich lebe nur, um Ihnen zu dienen.«
Der König wandte seine Aufmerksamkeit dem Minister zu.
»Falls Sie etwas zu dieser Diskussion beizutragen haben, Lord Darius, dann sprechen Sie!«
»Majestät sind zu gütig«, sagte Lord Darius nach einem giftigen Seitenblick auf den Champion. »Mir scheint, dass sowohl der Champion als auch der Astrologe die einzig logische Antwort auf unsere gegenwärtigen Schwierigkeiten übersehen. Da meiner Ansicht nach weder Waffengewalt noch Magie gegen den Dunkelwald etwas auszurichten vermögen, müssen wir uns auf die letzte Möglichkeit besinnen, die uns noch bleibt – die Diplomatie.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Rupert wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte.
»Der Mann ist wahnsinnig«, bemerkte der Champion. »Mit Dämonen verhandeln? Ebenso gut können wir uns mit Blitz und Donner unterhalten. Dämonen morden, um zu leben, und leben, um zu morden.«
»Ausnahmsweise bin ich Ihrer Meinung, Sir Champion«, erklärte der Astrologe und bedachte Lord Darius mit einem eisigen Blick. »Der Dunkelwald ist die Inkarnation der Finsternis auf Erden. Alles, was unter seinem Schutz gedeiht, ist abgrundtief böse. Dämonen sind keine Lebewesen wie wir.
Sie existieren einzig und allein, um dem Dunkelwald zu dienen.«
»Sie dienen nicht nur dem Dunkelwald«, sagte Darius leise. Plötzlich verstummten alle Anwesenden. Rupert starrte den Minister mit wachsendem Entsetzen an, als ihm klar wurde, was der Mann andeutete.
»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!«, rief der Astrologe.
»Warum nicht?«, entgegnete Darius. »Wie sonst erklären Sie sich die plötzliche Ausbreitung des Dunkelwalds? Es gibt nur eine Erklärung. Der Dämonenfürst ist zurückgekehrt.«
»Eine Legende«, warf der Champion eine Spur zu hastig ein. »Ein Märchen, das kleine Kinder erschrecken soll.«
»Manche Legenden erweisen sich als wahr«, meinte Rupert leise, aber nur Julia hörte ihn. Sie nahm seine Hand und drückte sie kurz.
»Die Menschen haben sich schon früher auf Handelschaften mit dem Dämonenfürsten eingelassen«, fuhr Darius eindringlich fort. »Warum sonst sollten Dämonen das Burggelände Nacht für Nacht durchstreifen – so weit vom Dunkelwald entfernt? Sie warten darauf, dass wir zu ihnen kommen und einen Pakt mit ihnen schließen.«
»Ich denke nicht daran, einen Pakt mit den Mächten der Finsternis zu schließen«, erklärte König Johann.
»Aber wenn wir dem Dämonenfürsten geben, was er begehrt…« Der Minister verstummte unter dem eisigen Blick des Königs.
»Was schlagen Sie vor, Minister? Soll ich ihm etwa die Dörfer ausliefern, damit er meine Residenz verschont?«