Rupert starrte den Astrologen an.
»Ich hätte mich freiwillig als Heerführer gegen den Dämonenfürsten melden sollen«, sagte er schließlich. »Das wäre sicherer gewesen.«
»Aber du wirst es tun«, sagte König Johann.
»Natürlich«, entgegnete Rupert bitter. »Das war dir klar, noch bevor ich in den Thronsaal kam.«
»Einen Augenblick!« Julia trat mit ein paar schnellen Schritten zwischen Rupert und den König. »Was geht hier vor, Rupert? Wer ist dieser Große Zauberer?«
»Ein Magier«, erklärte Rupert knapp. »Schon seit Jahren von hier verbannt. Sehr mächtig und sehr gefährlich. Er fasst Besucher nicht gerade mit Samthandschuhen an.«
»Du musst diese Aufgabe nicht übernehmen.« Julia legte ihm sanft eine Hand auf den Arm. »Du hast bereits genug geleistet.«
»Nein«, wehrte Rupert müde ab. »Vater hat Recht. Es ist sonst niemand da, den sie… entbehren können.«
»Dann komme ich mit.«
»Oh – da muss ich leider Einspruch erheben«, meldete sich Harald zu Wort.
»Schnauze, Blödmann!«, rief Julia. Harald starrte sie mit offenem Mund an, während die Höflinge diskret hüstelten.
Julia beachtete sie nicht. Ihre Augen waren flehentlich auf Rupert gerichtet, doch der schüttelte entschieden den Kopf.
»Ich kann dich nicht mitnehmen, Julia. Nicht zum Schwarzen Turm. Ich weiß, dass mir niemand den Rücken besser freihalten könnte als du, aber ich lasse nicht zu, dass du schon wieder dein Leben für mich riskierst. Ich habe kein Recht dazu. Du bist hier sicher… solange du Harald einigermaßen auf Abstand hältst.«
»Aber…«
»Nein, Julia.« Rupert hielt ihrem Blick unbeugsam stand, bis sie schließlich wegschaute.
»Das ist nicht nett von dir«, sagte sie leise.
»In diesem Punkt sind wir uns einig.« Rupert wandte sich dem König zu, der ihn eingehend musterte.
»Nun, Rupert, mir scheint, dass sich zwischen dir und Prinzessin Julia so etwas wie zarte Bande entwickelt haben.«
Rupert nickte wortlos.
»Sie ist Harald versprochen«, erklärte König Johann. »Der Vertrag wurde vor langer Zeit besiegelt.«
»Ich kenne meine Pflicht«, sagte Rupert. »Ich habe meine Pflicht immer gekannt. Das ist auch der einzige Grund, weshalb ich diese Mission nicht ablehne. Und noch etwas! Wenn ich mich schon auf die Suche nach dem Großen Zauberer mache, verlange ich ein volles Garderegiment, das mir Rückendeckung gibt.«
»Es wird morgen früh bereitstehen«, versprach der König.
»Und ich verlange ferner, dass der Champion die Männer führt…«
»Es wäre mir eine Ehre, an Ihrer Seite zu reiten, Sire«, sagte der Champion.
»… unter meinem Befehl!«, ergänzte Rupert.
Der König zögerte und nickte dann. »Es ist deine Unternehmung, Rupert. Aber ich empfehle dir nachdrücklich, den Ratschlägen des Champions Gehör zu schenken.«
»Solange er es bei Ratschlägen belässt…«
»Selbstverständlich, Sire.« Der Champion verneigte sich.
Er nennt mich wieder Sire, dachte Rupert verdrossen. Das deutet auf eine verzweif elte Lage hin.
»Also schön«, sagte er schließlich mit einem Seufzer.
»Wir brechen morgen auf, sobald es hell wird, Sir Champion. Allerdings habe ich noch keine Ahnung, wie wir den Großen Zauberer dazu bewegen können, uns auf die Burg zu begleiten.«
»Er ist unsere letzte Hoffnung«, erklärte der Astrologe.
»Dann fangt am besten damit an, weiße Flaggen zu nähen«, fauchte Rupert.
»Ich erkläre die Debatte hiermit für beendet«, fiel der König hastig ein, »und gestatte dem Hofstaat, sich zurückzuziehen.«
Die Höflinge steuerten unter angeregtem Geplauder auf die breite Lücke zu, an deren Stelle sich noch vor kurzem ein massives Portal befunden hatte. Rupert trat auf Julia zu, die ihm den Rücken zukehrte.
»Julia…«
»Wir hätten nie in deine Residenz zurückkehren dürfen, Rupert.«
»Ich tat, was ich für das Beste hielt.«
»Ich weiß«, sagte Julia müde. »Es ist nicht deine Schuld.«
Rupert nahm sie sanft am Arm und drehte sie so herum, dass sie ihn anschauen musste. »Julia, ich habe dich nicht vor den Dämonen gerettet, um dich an meinen Bruder zu verlieren. Komm jetzt! Ich bin müde und muss morgen in aller Frühe aufstehen.«
Julia sah ihn einen Moment lang forschend an und lächelte dann zögernd. »Es war ein langer Tag, nicht wahr? Gehen wir!«
»Entschuldige«, sagte Harald und schnitt seinem Bruder elegant den Weg ab. »Aber findest du nicht auch, dass ich Prinzessin Julia zu ihren Gemächern geleiten sollte? Verdammt noch mal, immerhin ist sie meine Verlobte.«
»Harald«, entgegnete Rupert ruhig, »ich bin jetzt wirklich nicht in der Stimmung für diese Art von Blödsinn. Ich bin selten in der Stimmung – und heute weniger denn je. Also geh mir aus dem Weg, sonst kriegst du eine gescheuert! Oder noch schlimmer, ich lasse Julia den Vortritt.«
Harald betrachtete Julia nachdenklich. Sie schenkte ihm ein aufreizendes Lächeln und legte die Rechte lässig auf den Schwertgriff. Harald verbeugte sich vor ihr und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Rupert zu.
»Wie tapfer du geworden bist, Rupert, seit du einen Drachen an deiner Seite weißt«, sagte er liebenswürdig. »Falls du deine Reise zum Schwarzen Turm überlebst, solltest du auf schnellstem Wege heimkehren. Ich habe dich nämlich zu meinem Brautführer auserkoren.« Er grinste, als Rupert die Zornröte in die Wangen stieg. »Ich dachte mir schon, dass dir das Spaß machen würde, Bruderherz. Und wir beide sehen uns morgen, Julia. Wir haben eine Menge zu… besprechen.«
Er trat einen Schritt zurück, verbeugte sich noch einmal vor beiden und rauschte majestätisch aus dem Thronsaal.
Rupert und Julia sahen ihm nach.
»Ein netter Kerl«, sagte Julia. »Versteht sich gut darauf, Salz in eine Wunde zu streuen.«
»Ja«, bestätigte Rupert. »Aber wir sollten ihn mit Nachsicht behandeln. Schließlich hat er nicht mehr lange zu leben.«
»Warum das?«
»Weil ich ihn in nicht allzu ferner Zeit umbringen werde!«
Julia schien der Gedanke Freude zu bereiten. »Kann ich dir dabei behilflich sein?«
Sie lachten beide und begaben sich zu dem schlafenden Drachen. Rupert rüttelte ihn, schrie ihm ins Ohr und boxte ihm sogar gegen die knochige Stirn, aber die beiden dünnen Rauchfahnen, die von seinen Nüstern aufstiegen, zitterten nicht einmal. Mit einem Seufzer schritt Rupert um den Koloss herum, nahm sorgfältig Maß, holte schwungvoll aus und trat ihm ins Hinterteil. Der Drache öffnete langsam die Augen, während Rupert eine Weile auf einem Bein umhertanzte und mit beiden Händen den Fuß des anderen massierte. Mürrisch wuchtete sich der Drache hoch und blickte verschlafen in die Runde.
»Julia – wo sind die anderen alle?«
»Schon gegangen.«
»Schade. Mein Magen fängt allmählich zu knurren an. Warum hüpft Rupert dauernd auf und ab und flucht leise vor sich hin?«
»Ich glaube, das ist eine Art Volkstanz«, erklärte Julia ernst.
»Ach so.« Der Drache sah Rupert zweifelnd an und fragte:
»Wo ist eigentlich das Einhorn?«
»Hier«, drang eine melancholische Stimme hinter einem Wandbehang hervor. »Immer wenn sich Rupert mit seiner Familie unterhält, kriegt er schlechte Laune und lässt sie dann an mir aus.«
»Komm sofort hierher«, fauchte Rupert und humpelte ein paar Schritte, um sich auf Julia zu stützen.
»Was habe ich gesagt?« Das Einhorn kam vorsichtig aus seinem Versteck. »Ich schlage vor, dass wir gehen, nachdem keine Leute mehr da sind, die ihr erschrecken könnt. Vielleicht ist es eurer Aufmerksamkeit entgangen, aber unsere letzte Mahlzeit liegt geraume Zeit zurück, und mein Magen glaubt allmählich, jemand habe mir die Kehle durchgeschnitten.«