»Ich weiß«, sagte der König. »Aber ohne dieses Zugeständnis hätte mir Rupert diesmal den Gehorsam verweigert.«
Der Astrologe nickte lächelnd. »Er wird allmählich erwachsen…«
Ihre Blicke trafen sich einen Moment, ehe sich der König abwandte und sorgenvoll zu Boden starrte.
»Ich bete darum, dass sie den Großen Zauberer zur Rückkehr bewegen können«, sagte er leise. »Er ist unsere einzige Hoffnung, nachdem wir hier alles verbockt haben.«
KAPITEL DREI
Duelle
NEBELSCHLEIER WOGTEN TRÄGE in der frostigen Morgenluft, als Rupert im Burghof sein Einhorn sattelte. Die Sonne, die eben erst am Horizont erschien, tauchte den Himmel in ein blutiges Rot. Nicht das beste Omen für die Reise, die vor ihnen lag. Rupert grinste müde und musste dann so heftig gähnen, dass er sich für einen Moment gegen das geduldig wartende Einhorn lehnte. Nach seiner Wasseruhr hatte er fast sechs Stunden geschlafen, aber ihm kam es so vor, als sei er kaum in die Kissen gesunken, ehe ihn ein Diener bereits wieder wach rüttelte.
Ein lauwarmes Bad und ein kaltes Frühstück hatten seine Laune nicht gebessert. Der Gipfel aber war, dass ihn sein eigener Geleittrupp beflissen übersah. Rupert fluchte leise vor sich hin, weil seine klammen Finger verdammte Mühe mit dem Reitgeschirr hatten. Eine Schnalle entglitt ihm, und obwohl er den Gardesoldaten den Rücken zukehrte, merkte er, dass einige lachten. Er lief rot an, während er den Sattelgurt festzog, in dem sicheren Wissen, dass er das Ziel ihres Gespötts war. Eine blöde Bemerkung, dachte er wütend, eine einzige blöde Bemerkung, und ich lasse den Witzbold seinen Kettenpanzer f ressen, Glied f ür Glied! Rupert lächelte bitter und schüttelte den Kopf. Noch nicht jenseits des Burgtors, aber schon im Begriff, einen seiner Begleiter anzugreifen! Er schloss die Augen und atmete tief durch, um sich einigerma
ßen zu beruhigen. Vor ihm lag eine lange Reise, die ihm und seinen Leute jede Menge Zeit gab, um eine Hackordnung aufzustellen.
Falls sie lange genug am Leben blieben.
Rupert verdrängte den Gedanken und befestigte rasch die letzten Riemen, ehe er sich umdrehte und einen lässigen Blick in die Runde warf. Ein halbes Hundert Gardesoldaten hatte sich mit den Pferden im Hof versammelt; Diener und Rossknechte hasteten umher; bunt gekleidete Händler standen an lodernden Kohlebecken und hielten Krüge mit Met und billige Süßwaren feil; und hier und da unterhielten sich ein paar Männer leise mit Priestern, die ihre Kapuzen tief ins Gesicht gezogen hatten. Ein Dutzend Gardisten übte sich unter dem scharfen Blick des Champions im Zweikampf.
Stahl klirrte auf Stahl, und der Gefechtslärm hallte von den hohen Mauern wider. Andere Gardisten schauten zu, polierten ihre Klingen mit ölgetränkten Lumpen und bemühten sich, möglichst kriegerisch dreinzuschauen. Rupert fand ihre Tüchtigkeit zugleich beängstigend und beruhigend. Er zog den Umhang enger um sich und stampfte mit den Füßen, um die Zehen aufzutauen. Sein Atem dampfte in der stillen Morgenluft. Rupert runzelte die Stirn. Eigentlich war es viel zu kalt für diesen Frühherbsttag. Der Dunkelwald musste näher sein, als alle annahmen… Unwillkürlich tastete er nach seinem Schwert. Je eher er aufbrach, desto besser.
Und dennoch zögerte er. Er beobachtete die Hiebe und Paraden der Gardisten, das helle Blitzen ihrer Schwerter im düsteren Burghof. Schweiß glänzte auf den Gesichtern, und ihr Atem rasselte, während sie sich immer heftiger ins Zeug legten, um den entscheidenden Stoß anzubringen, der die Haut des Gegners ritzte und Blut hervorquellen ließ. Rupert entsann sich nur zu deutlich, wie er selbst hier draußen gekämpft hatte, in der Kälte des frühen Morgens. Bittere Erinnerungen stiegen auf. Die verächtlichen Blicke, mit denen der Fechtmeister den ungeschickten Jungen bedacht hatte, der geschützt war durch einen schlecht sitzenden Kettenpanzer und gerüstet mit einem Schwert, das viel zu schwer schien für die dünnen Arme. Sein Duellpartner war ein drahtiger, muskulöser Gardeoffizier gewesen, fast zwanzig Jahre älter und um Welten besser als er. Gemeinsam hatten der Fechtmeister und der Gardist den jungen Prinzen allmählich zu einem Schwertkämpfer erzogen. Eine teuer erkaufte Fertigkeit, bezahlt mit Blut und Demütigungen. Rupert zog nachdenklich die Stirn kraus. Er würde wohl nie so elegant mit der Waffe umgehen können wie sein Bruder, aber er hatte in dieser harten Schule Tricks erlernt, die bei Haralds Standardlektionen vernachlässigt worden waren.
Rupert hatte nie der Versuchung nachgegeben, sein Geschick mit dem Schwert unter Beweis zu stellen. Hin und wieder trugen die Brüder unter den kritischen Blicken des Champions ein Duell aus. Rupert verlor immer. Das war sicherer für ihn. Als durchschnittlicher Kämpfer bedeutete er keine Gefahr für Haralds Position – und so ertrug er schweigend die Wunden und den Spott. Aber er vergaß sie nie.
Ruperts Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück, und er musterte erneut die Gardesoldaten, die stöhnend und keuchend mit Schwert und Schild übten. Zu seiner Überraschung beeindruckten sie ihn längst nicht mehr so wie beim ersten Hinschauen. Sie waren kräftig und trickreich, aber Taktik und Stehvermögen ließen doch sehr zu wünschen übrig. Sie waren gut, aber er war vermutlich besser. Eine Woge der Erregung durchlief ihn, als er dies erkannte.
Ruperts Miene verdüsterte sich plötzlich, als er einen der Gardisten erkannte, einen drahtigen großen Mann mit finsteren Gesichtszügen. Rob Hawke war ein Meister im Schwertkampf und derart geübt und reaktionsschnell, dass er mit der Klinge in der Hand als unschlagbar galt. Er war außerdem störrisch, verschlagen und aufsässig und wäre ohne sein seltenes Talent im Umgang mit dem Schwert längst aus der königlichen Garde entlassen worden. Rupert beäugte ihn argwöhnisch und überlegte, ob ihm der König noch mehr solche faulen Eier untergeschoben hatte.
Eine scharfe Stimme zerschnitt plötzlich seine Gedanken.
Er drehte sich um und sah Harald neben dem Champion stehen. Rupert fiel auf, dass sein Bruder einen Kettenpanzer und einen großen, mit Nieten beschlagenen Schild trug. Außerdem lächelte er.
»Rupert, ich dachte, ein kleiner Schwertkampf vor der Abreise könnte dir nicht schaden – nur so zum Aufwärmen. Was hältst du davon, mein Bester?«
Klare Schiebung, dachte Rupert. Er ist gut gerüstet und ausgeruht. Ich habe nicht mal einen Schild.
Er sah sich um. Das emsige Treiben im Burghof war plötzlich zum Erliegen gekommen. Die Männer hatten ihre Duelle unterbrochen und beobachteten ihn gespannt. Alle schienen damit zu rechnen, dass er sich mit einer Ausrede vor dem Kampf drückte. Es wäre das einzig Vernünftige gewesen.
Harald war in der Absicht gekommen, sich für die Schmach zu rächen, die er vor versammeltem Hofe erlitten hatte, und ganz nebenbei den ohnehin nicht allzu großen Respekt der königlichen Garde vor ihrem neuen Führer zu unterhöhlen.
Eine gut geplante Intrige, die wohl zu jedem anderen Zeitpunkt gelungen wäre. Aber diesmal nicht. Zum ersten Mal in seinem Leben brannte Rupert darauf, seinen Gegner zu besiegen. Er musste plötzlich über seinen eigenen Eifer lachen.
Harald sah ihn verunsichert an. Die Miene des Champions blieb ausdruckslos.
»Danke, Bruderherz.« Ruperts Stimme hallte vernehmlich von den massiven Steinmauern wider. »Die Übung tut mir sicher gut.«
Er kehrte Harald den Rücken zu, streifte den Umhang ab und warf ihn über den Sattel des Einhorns.
»Hältst du das wirklich für einen guten Einfall?«, murmelte das Einhorn.
»Nein«, sagte Rupert gut gelaunt. »Aber das spielt jetzt keine Rolle.«
»Manchmal verstehe ich dich einfach nicht.«
»Dann sind wir schon zu zweit.«
Das Einhorn schnaubte hörbar. »Sieh dich vor, Rupert!«
Rupert nickte und schlenderte lässig zu Harald hinüber, der mit dem Schwert in der Hand auf ihn wartete. Während Rupert locker die Waffe zog, kamen die Gardesoldaten näher und bildeten einen Kreis um die beiden Prinzen.