»Ich scheine dich ohne deinen Schild angetroffen zu haben«, sagte Harald scheinheilig.
»Passt schon«, entgegnete Rupert. »Ich brauche keinen.«
Harald entging weder die entspannte Haltung noch die gefasste Miene des Bruders. Er warf dem Champion einen raschen Blick zu. Der alte Haudegen schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Mir wäre es lieber, wenn du einen Schild hättest«, beharrte Harald. »Es soll schließlich ein Kampf mit fairen Bedingungen sein.«
»Lass das nur meine Sorge sein«, sagte Rupert. »Was ist nun – willst du reden oder kämpfen?«
Ein belustigtes Murmeln lief durch die Zuschauergruppe, und Harald lief rot an. Er ging mit der natürlichen Anmut langer Praxis in einen Ausfallschritt und beobachtete Rupert über den Rand des Schildes hinweg, während er vorsichtig näher kam. Rupert trat ihm entgegen. Mit geübtem Auge musterte er die Haltung seines Bruders, suchte nach möglichen Schwächen, die er ausnutzen konnte. Es war nicht zu übersehen, dass Harald die Techniken des höfischen Duells besser beherrschte als die Hiebe des echten Zweikampfs, bei dem es um Leben und Tod ging. Er wirkte verweichlicht, während Rupert sich draußen im Dunkelwald den letzten Schliff geholt hatte. Noch einmal wallte die ganze Bitterkeit in Rupert auf, die er empfunden hatte, wenn er freiwillig gegen den älteren Bruder verlor. Ein Wolfsgrinsen glitt über seine Züge. Diesmal hatte sich Harald auf einen Kampf eingelassen, an den er bis an sein Lebensende denken sollte.
Mit leichten Hieben und Stößen prüfte er Haralds Verteidigung.
Eine Zeit lang hörte man im Burghof nur das Stampfen und Scharren von Stiefeln auf dem Kopfsteinpflaster und ein gelegentliches Klirren, wenn sich die Klingen trafen. Die Brüder umkreisten einander lauernd, ihr Atem dampfte in der kalten Luft – und plötzlich schnellte Harald vor. Sein Schwert fuhr in einem blitzenden Bogen nach unten und zielte auf Ruperts ungeschützte Rippen. Rupert parierte den Hieb mit Leichtigkeit, bog die Klinge zur Seite und trat Harald gegen das Knie. Einen Moment lang verlor Harald das Gleichgewicht, und Rupert rammte ihm ein Knie voll in den Magen.
Harald krümmte sich vor Schmerzen, sein Atem ging rasselnd, und er kippte nach vorn, als wolle er sich vor seinem Bruder verneigen. Rupert tänzelte zurück und ließ Harald Zeit, sich zu erholen. Er hatte lange genug auf diesen Sieg gewartet und sah jetzt keinen Grund, die Sache zu überstürzen. Die Gardesoldaten hatten den kurzen Austausch von Unfreundlichkeiten mit Gemurmel kommentiert, und Rupert sah aus dem Augenwinkel, dass Wetten abgeschlossen wurden. Er grinste, doch in diesem Moment begann sein Bruder mit dem zweiten Angriff. Harald hielt Schwert und Schild ruhig, aber er schonte das linke Bein. Rupert unterdrückte ein grimmiges Lachen. Harald war bereits geschlagen, auch wenn er es noch nicht wusste.
Kaltblütig machte sich Rupert daran, den Beweis dafür zu erbringen.
Sein Schwert sang, als er es doppelhändig durch die Luft sausen ließ. Er trieb Harald vor sich her, Hieb um Hieb, Stich um Stich, immer im Kreis. Splitter flogen aus dem Schild, als die Klinge gegen den Rand schlug und die Deckung des Gegners durchbrach. Harald, der bereits aus einem Dutzend kleiner Schnitte blutete, wich tänzelnd aus und zielte wutentbrannt auf Ruperts ungeschützten Kopf und Körper, aber der Jüngere wandte sein ganzes Geschick und jeden schmutzigen Trick an und fügte ihm einen Treffer nach dem anderen zu.
Rupert war der bessere Kämpfer. Jeder sah, dass er Harald eine Lektion erteilte. Die Gardesoldaten klatschten Beifall und feuerten ihn an. Rupert lachte laut. In einer plötzlichen Aufwallung von Ungeduld drückte er Haralds Schild zur Seite, schlug ihm das Schwert aus der Hand und brachte ihn mit einem Tritt zu Fall. Dann setzte er dem hilflos am Boden Liegenden die Schwertspitze an die Kehle.
»Ergib dich!«, murmelte er heiser.
»Ich ergebe mich«, entgegnete Harald ruhig, aber mit einem hasserfüllten Unterton.
Rupert starrte lange auf ihn hinab, ehe er das Schwert hob und einen Schritt zurücktrat. Ein Kindheitstraum war in Erfüllung gegangen. Er hatte seinen Bruder besiegt, auch wenn er das Geschehen irgendwie noch nicht richtig fassen konnte.
Die jubelnden Männer verstummten, als Harald sich mühsam hochrappelte. Sein Schildarm hing schlaff herunter, das sonst so makellose Kettenhemd wies Risse und Blutflecken auf, und das Schwert war so verbogen, dass er es achtlos am Boden liegen ließ. Ohne auf das Blut zu achten, das ihm über das Gesicht lief, wandte er sich an Rupert und bedachte ihn mit einem kühlen Lächeln.
»Ich hätte schon vor Jahren dafür sorgen sollen, dass du für immer aus dem Waldkönigreich verschwindest, Rupert.
Falls du durch ein Wunder die Reise zum Schwarzen Turm überlebst, dann sieh dich vor! Ich werde kein zweites Mal den Fehler begehen, nach den Regeln eines Ehrenmannes zu kämpfen!«
Er wandte sich ab, stieß die hilfreich ausgestreckten Arme der Gardisten beiseite und humpelte allein davon. Ruperts Blicke folgten ihm. Nach all den Jahren, all den Kränkungen, all den Schmerzen hatte er endlich seinen Bruder besiegt. Er fühlte sich längst nicht so befreit, wie er es sich vorgestellt hatte. Achselzuckend drehte er sich um und grinste die Männer an. Sie wirkten seltsam gedämpft, fast als warteten sie auf etwas… Plötzlich kam Rupert ein Verdacht, und er wollte eben herumfahren, als ihm eine gepanzerte Faust mit voller Wucht ins Kreuz hämmerte und ihn zu Boden schleuderte. Er kam mühsam hoch, aber noch ehe er halbwegs wieder auf den Beinen war, grub sich ein eisenverstärkter Stiefel in seinen Magen. Er krümmte sich auf dem kalten Pflaster und japste nach Luft.
»Nehmen Sie nie die Deckung herunter, Rupert«, sagte der Champion ruhig. »Dieser Grundsatz sollte Ihnen eigentlich bekannt sein.«
Wieder schoss sein Stiefel vor, traf Rupert an der Hüfte und kickte ihn in die Füße der schweigend dastehenden Soldaten. Er kam auf die Knie und griff nach seinem Schwert.
Der Champion holte zum nächsten Tritt aus, aber diesmal war Rupert vorbereitet. Anstatt auszuweichen, umklammerte er den Knöchel des Angreifers mit beiden Händen und riss den Champion zu Boden. Bis der Mann wieder auf die Beine kam, erwartete ihn Rupert mit gezogenem Schwert.
»Schon besser«, meinte der Hüne anerkennend. Sein Schwert fuhr wie der Blitz aus der Scheide und ritzte Rupert die linke Wange, doch dann musste sich der Champion mit einem Satz nach hinten in Sicherheit bringen, als Ruperts Klinge ihm das Kettenhemd über dem Brustkorb aufriss. Ein Blick nach unten verriet ihm, dass Blut durch die Metallringe quoll.
»Sie werden alt, Sir Champion«, sagte Rupert undeutlich.
»Es gab eine Zeit, da hätten Sie mir keine Chance gelassen.«
Der Champion lächelte. »Für Sie reicht es immer noch, mein Junge. Los, zeigen Sie, was Sie können!«
Rupert ging vorsichtig in Stellung. Das Schwert schien vor seinen Augen hin und her zu schwanken. Die beiden Kämpfer umkreisten einander angespannt und schlugen dann so unvermittelt los, dass das Auge den Bewegungen kaum zu folgen vermochte. Ihre eisenbeschlagenen Stiefel schlugen Funken aus dem Pflaster. Sie trennten sich und belauerten sich von Neuem. Blut quoll aus einem breiten Schnitt auf Ruperts Stirn und nahm ihm die Sicht. Im Kettenhemd des Champions klaffte ein zweiter dunkel verfärbter Riss. Rupert wischte sich mit dem Handrücken das Blut aus den Augen und konnte die Attacke des Champions nicht rechtzeitig parieren. Frisches Blut rann ihm über den Arm und machte den Schwertgriff glitschig. Und so ging der Kampf weiter. Rupert wandte jeden Trick an, den er kannte, vereinte seine ganze Kraft und sein ganzes Talent zu einer Schwertkampf-Demonstration, die Begeisterungsstürme bei den Zuschauern hervorrief. Immer wieder warf er sich gegen den Champion, ließ sein Schwert durch die kalte Morgenluft sausen, auf und ab, auf und ab.