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Von den überhängenden Ästen fielen unentwegt Tropfen, und ein dumpfer, fauliger Geruch hing in der unbewegten Luft.

Rupert betrachtete den Kokon und begann plötzlich zu frösteln, als ihm in den Sinn kam, dass er sich mit dem Schwert einen Weg durch das Gespinst hatte bahnen wollen. Raubtiere gab es in vielerlei Gestalt, besonders im Schlingpflanzenwald.

Er seufzte ergeben. Müde oder nicht, er musste seinen Weg fortsetzen.

»Einhorn! Wo bist du?«

»Hier«, ertönte eine höfliche Stimme aus den tiefsten Schatten.

»Kommst du jetzt endlich heraus oder muss ich dich erst holen?«, knurrte der Prinz. Nach kurzem Zögern erschien das Einhorn zaghaft auf dem schmalen Pfad. Rupert starrte es so wütend an, dass es den Blick senkte.

»Wo warst du, als ich Kopf und Kragen im Kampf mit dem Dämon riskierte?«

»Im Gebüsch versteckt«, entgegnete das Einhorn. »Das erschien mir das einzig Logische.«

»Und warum hast du mir nicht geholfen?«

»Weil ich mir dachte, dass dir mit meiner Hilfe wenig gedient wäre, wenn du mit Schwert und voller Rüstung nichts gegen den Dämon ausrichten könntest«, sagte das Einhorn ruhig.

Rupert seufzte. Irgendwann würde er lernen, dass es keinen Sinn hatte, mit dem Einhorn zu diskutieren.

»Wie sehe ich aus?«

»Furchtbar.«

»Vielen Dank.«

»Wahrscheinlich bleiben ein paar Narben zurück«, fügte das Einhorn hilfreich hinzu.

»Großartig. Genau das, was ich brauche.«

»Heißt es nicht, dass Narben im Gesicht der Schmuck des wahren Helden sind?«

»Wer immer diesen Blödsinn verzapft hat, sollte sich mal auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen. Diese verdammten Barden… Hilf mir auf die Beine, Einhorn!«

Das Einhorn trabte rasch neben ihn. Rupert umklammerte den Steigbügel und zog sich schwerfällig aus dem Dreck. Das Einhorn blieb geduldig stehen, während Rupert erschöpft an seiner Flanke lehnte, in der Hoffnung, seine Schmerzen würden wenigstens so weit nachlassen, dass er sich in den Sattel schwingen konnte.

Das Einhorn beobachtete ihn besorgt. Prinz Rupert war ein hoch gewachsener, gut aussehender Jüngling Mitte zwanzig, aber das Blut, die Schmerzen und die Erschöpfung machten ihn um zwanzig Jahre älter. Seine Haut war grau und schweißbedeckt, seine Augen glänzten fiebrig. Er befand sich ganz offensichtlich nicht in der Verfassung, weiterzureiten, aber das Einhorn wusste, dass Ruperts Stolz ihn zwingen würde, es zumindest zu versuchen.

»Rupert…«, begann das Einhorn.

»Ja?«

»Warum… führst du mich nicht eine Weile am Zügel? Du weißt, wie leicht ich in diesem Schlamm ausrutsche.«

»In Ordnung«, sagte Rupert. »Ich mache das.«

Er nahm müde den Zügel und marschierte mit hängendem Kopf los. Langsam und mit Bedacht führte ihn das Einhorn an dem reglosen Kokon vorbei und den Pfad entlang, der immer tiefer in den Schlingpflanzenwald vordrang.

Zwei Tage später saß Rupert wieder im Sattel und näherte sich rasch der Grenze zwischen Schlingpflanzen- und Dunkelwald. Seine Schmerzen waren dank eines Beutels mit Heilkräutern, den ihm der Hofastrologe vor Antritt seiner Reise aufgenötigt hatte, so gut wie ausgestanden, und obwohl er mehr als einmal bedauerte, keinen Spiegel zu besitzen, hatte er das Gefühl, dass der Schorf über den Gesichtswunden ordentlich abheilte. Alles in allem hatte sich Ruperts Stimmung beträchtlich aufgehellt – oder war zumindest nicht mehr so rabenschwarz wie nach dem Kampf.

Er sollte also einen Drachen töten, aber genau genommen hatte seit ewigen Zeiten niemand mehr ein solches Untier gesehen, weshalb Drachen eigentlich nur noch in Legenden vorkamen. Und Rupert empfand mittlerweile eine gewisse Ernüchterung in Bezug auf Legenden; sie verweilten endlos bei Ehre und Ruhm und ließen dafür die wichtigen Dinge weg, etwa wie man wen oder was immer tötete, ohne selbst getötet zu werden. Die Auskunft, dass man zu diesem Zweck

›reinen Herzens‹ sein musste, war keine große Hilfe, wenn man es mit einem Drachen zu tun hatte. Wetten, dass der meine Feuer speit?, dachte Rupert trübsinnig. Er arbeitete gerade mühsam an einer logischen Begründung, die es ihm ermöglichen würde, an den Hof zurückzukehren, fast ohne das Gesicht zu verlieren, als sich seine Blase nachdrücklich bemerkbar machte. Rupert lenkte das Einhorn mit einem Seufzer an den Wegrand. Wieder so ein Punkt, den die Barden nie erwähnten.

Er stieg rasch ab und ging daran, die komplizierten Klappen zu öffnen, die seine Lenden schützten. Er schaffte es gerade noch rechtzeitig und pfiff laut vor sich hin, während er gegen einen Baumstamm pinkelte. Wenn er nicht bald eine andere Kost bekam, würde er der erste und einzige Held sein, der mit offenem Hosenstall in die Schlacht ritt…

Dieser Gedanke gab den Ausschlag, und sobald er sein Geschäft erledigt hatte, machte sich Rupert daran, seine Rüstung abzustreifen. Er hatte das verdammte Blech nur getragen, weil man ihm versichert hatte, dass es nach alter Tradition ein Muss für jeden war, der auszog, um Heldentaten zu vollbringen. Scheißtradition, dachte Rupert glücklich, und seine Laune besserte sich mit jedem verbeulten Teil, das in den Morast am Wegrand fiel. Nach kurzem Überlegen beschloss er, wenigstens die eisengenieteten Stiefel zu behalten; vielleicht bekam er ja Gelegenheit, jemandem einen Tritt zu versetzen. Mit Lederwams, Reithose und seinem besten Umhang angetan, fühlte sich Rupert zum ersten Mal seit Wochen bequem. Zugegeben, er fühlte sich auch verwundbar, aber wenn er bedachte, wie viel Pech er in jüngster Zeit gehabt hatte, wäre das Ding wohl irgendwann eingerostet und hätte ihn eingesperrt bis zum qualvollen Hungertod.

»Ich hasse Gras«, sagte das Einhorn mürrisch.

»Warum frisst du es dann?«, fragte Rupert, während er sein Schwert umschnallte.

»Weil ich hungrig bin.« Das Einhorn kaute angewidert.

»Und da wir schon seit Wochen kein anständiges Futter mehr haben…«

»Was stört dich an Gras?«, erkundigte sich Rupert sanft.

»Pferde fressen es ständig.«

»Ich bin kein Pferd!«

»Das habe ich nie behauptet…«

»Ich bin ein Einhorn, absolut reinrassig, und habe Anspruch darauf, ordentlich versorgt zu werden. Mit Hafer und Gerste und…«

»Im Schlingpflanzenwald?«

»Ich hasse Gras«, murmelte das Einhorn. »Das Zeug bläht so.«

»Versuch's mal mit einer Hand voll Disteln«, schlug Rupert vor.

Das Einhorn warf ihm einen empörten Blick zu. »Habe ich auch nur entfernte Ähnlichkeit mit einem Esel?«, fragte es drohend.

Rupert drehte den Kopf zur Seite, um sein Grinsen zu verbergen, und entdeckte ein Dutzend Kobolde, die lautlos aus den Schatten traten und ihm den Weg versperrten. Sie waren etwa einen Meter groß, dürr wie Vogelscheuchen, spitzohrig und mit kurzen rostzerfressenen Schwertern und schartigen Hackebeilen bewehrt. Ihre unförmigen Bronze- und Silberrüstungen hatten sie offensichtlich von Rittern auf der Durchreise erbeutet, und ihr hässliches Grinsen verriet nur zu deutlich, was sie mit den Vorbesitzern angestellt hatten. Wütend dar­

über, dass er sich so auf dem linken Fuß hatte erwischen lassen, zog Rupert das Schwert und ließ seine Blicke grimmig über die Kerlchen schweifen. Die Kobolde umklammerten ihre Waffen und sahen einander zaghaft an. Lange Zeit rührte sich keiner vom Fleck.

»Nun steht nicht wie angewurzelt da!«, knurrte eine tiefe Stimme aus den Schatten. »Packt ihn!«

Die Kobolde traten unsicher von einem Fuß auf den anderen.

»Habt ihr das Riesenschwert gesehen?«, fragte der Kleinste aus der Schar.