Rupert gab alles, aber es war nicht genug.
Er hatte nie auch nur den Hauch einer Chance.
Der Champion parierte jeden Hieb, ließ Rupert heran, bis er müde war, und drang dann mit einem Wirbel harter Stöße auf ihn ein, bis Rupert übel zugerichtet und hilflos mit dem Gesicht nach unten auf dem blutverschmierten Kopfsteinpflaster lag. Er nahm verschwommen wahr, dass der Champion sich über ihn beugte. Tränen traten ihm in die Augen, als eine kräftige Hand seinen Haarschopf packte und ihn umdrehte.
»Tut mir Leid, Sire«, sagte der Champion ruhig. »Aber es war ein Fehler, Harald in aller Öffentlichkeit zu demütigen.
Hüten Sie sich davor, ihn zu wiederholen.« Die Hand ließ los, und das Kopfsteinpflaster raste auf Ruperts Gesicht zu. Die Stimme des Champions schien aus weiter Ferne zu kommen.
»Wir reiten in einer halben Stunde, Sire. Ich erwarte, dass Sie bis dahin reisefertig im Sattel sitzen. Wenn nicht, lasse ich Sie auf dem Einhorn festschnallen.«
Er entfernte sich ohne Eile, und die Wachsoldaten folgten ihm einer nach dem anderen, bis Rupert allein zurückblieb, zusammengekrümmt vor Schmerzen. Nach einer Weile wurde das lärmende Treiben im Burghof wieder aufgenommen.
Lange Zeit lag Rupert einfach da, bis er Schritte in der Nähe hörte und zwei Hände ihn an den Schultern hochzuziehen versuchten. Er wollte schreien, brachte aber keinen Ton hervor, und wich vor den Händen zurück, aus Angst vor neuen Schmerzen.
»Rupert, Liebster, was haben sie mit dir angestellt?«, fragte Julia.
Ruperts Gedanken ordneten sich langsam. Ihm kam zu Bewusstsein, dass Julia neben ihm kniete.
»Was ist geschehen, Rupert?«
»Ich wollte Sieger bleiben«, murmelte er und spuckte Blut auf die Pflastersteine. »Nur ein einziges Mal wollte ich Sieger bleiben. Kannst du mir auf die Beine helfen?«
Schwer auf Julias Arm gestützt, richtete er sich langsam auf. Sie führte ihn zur Mauer, damit er sich anlehnen konnte.
Um ihn drehte sich alles, aber er hielt still, während Julia ihm mit einem seidenen Taschentuch das Gesicht von den schlimmsten Kampfspuren reinigte.
»Schade um die schöne Seide.« Sein Lächeln misslang.
»Wer war das?«, fragte Julia. Ihre Stimme zitterte vor Wut.
»Der Champion«, entgegnete Rupert. »Ich hätte ihm niemals den Rücken zukehren dürfen.«
»Ich bringe ihn um!«, fauchte Julia, und Rupert packte rasch ihr Handgelenk.
»Nein! Allein der Gedanke daran ist gefährlich, Julia! Er würde dich nicht töten, aber er hätte überhaupt keine Bedenken, dir ein paar hässliche Narben zu verpassen, um dir eine Lektion zu erteilen. Du bist gut mit dem Schwert, Mädchen, aber ich bin besser – und er hat mich fertig gemacht, ohne auch nur ins Schwitzen zu geraten.« Er merkte, dass er immer noch ihre Hand umklammert hielt, und ließ sie hastig los.
»Außer meinem Stolz ist nichts verletzt, Julia. Er hat sorgsam vermieden, irgendwelche bleibenden Schäden anzurichten.
Ich hätte wissen müssen, dass ich Harald nicht ungestraft besiegen durfte.«
»Du hast Harald besiegt?«
»Ja.« Rupert grinste und zuckte zusammen, als ihm aus einem Riss in der Lippe frisches Blut in den Mund floss. »Der Ärmste sieht ziemlich ramponiert aus! Und er kann von Glück reden, dass ich ihm nicht meine Initialen in die Haut geritzt habe!«
Julia klatschte begeistert in die Hände. »Ach, das hätte ich zu gern gesehen!«
»Blutrünstiges Weib!«, tadelte Rupert und musste lachen, als sie zerknirscht nickte.
»Weshalb hat dich der Champion angegriffen?«
»Zum Teil, um mich in meine Schranken zu weisen. Zum Teil, um meine Autorität beim Garderegiment zu untergraben.
Und zum Teil, um zu beweisen, dass er immer noch der beste Kämpfer ist, selbst nach all den Jahren als anerkannter Champion des Hofes. Je älter er wird, desto häufiger muss er es beweisen.«
Julia zog nachdenklich die Stirn kraus. »Ich denke, ich werde mich mal mit dem Drachen darüber unterhalten.«
»Bitte nicht! Ich möchte ihn selbst schlagen.«
Rupert entfernte sich von der Mauer und atmete tief durch, bis der Schwindel nachließ. Wenn er sich zu schnell bewegte, spürte er jeden Muskel, aber der Schmerz war erträglich. Im Dunkelwald hatte er Schlimmeres durchgemacht. Er hielt nach seinem Schwert Ausschau, und Julia brachte es ihm, bevor er sie darum bitten konnte. Mit einem dankbaren Lächeln schob er es in die Scheide. Erst dann sah er Julia zum ersten Mal richtig an.
Offenbar hatte der Hof beschlossen, eine richtige Prinzessin aus ihr zu machen. Julia trug ein fließendes langes Gewand in Mitternachtblau mit goldenen und silbernen Biesen.
Brillanten blitzten von Ringen, Armbändern und Halsketten, und man hatte ihr das Schwert weggenommen. Ihr langes blondes Haar war nach der neuesten Hofmode aufgesteckt.
Geschickt aufgetragene Schminke machte ihre Gesichtszüge weicher. Alles in allem fand Rupert sie schöner als je zuvor.
Auch wenn die neue Pracht völlig ungeeignet für einen Morgenspaziergang im schmutzigen Burghof war.
»Das Kleid gefällt mir«, sagte er bewundernd.
»Ich sehe bescheuert aus«, knurrte sie. »Fehlt nur noch eine Narrenkappe mit Schellen. Das Kleid ist viel zu eng, die Schuhe drücken, und diese verdammte Frisur macht mir Kopfschmerzen. Aber am schlimmsten ist die eklige Wollunterwäsche, die man mir auf gezwungen hat.« Sie begann sich heftig zu kratzen und merkte dann erst, dass sie immer noch das blutige Taschentuch in der Hand hielt, mit dem sie Rupert das Gesicht abgewischt hatte. Unbekümmert schob sie es in den weiten Ärmel. Dann warf sie dem Prinzen einen anklagenden Blick zu. »Du hättest dich glatt davongeschlichen, ohne Lebewohl zu sagen, was?«
Rupert zuckte hilflos die Achseln. »Ich hasse es, Abschied zu nehmen. Das hat so etwas Endgültiges an sich.«
»Rupert«, sagte Julia langsam, »wie gefährlich ist dieser Große Zauberer wirklich?«
»Hm. Der letzte Bote, den wir zu ihm sandten, kam…
verwandelt zurück.«
»Verwandelt? In was?«
»Das weiß niemand genau. Wir sprachen gestern über die Krokodile, die früher im Burggraben lebten…«
»Du meinst, wer oder was immer sie fraß…«
»Wir vermuten es.«
Julia runzelte die Stirn. »Und der Große Zauberer ist unsere einzige Hoffnung gegen den Dunkelwald?«
»Sieht so aus.«
»Dann sitzen wir echt in der Kacke.«
Rupert nickte feierlich, und dann mussten sie beide lachen.
»Nun, Julia, wie kommst du mit der feinen Hofgesellschaft zurecht?«
»Ich gewöhne mich daran. Langsam.«
»In letzter Zeit jemanden verprügelt?«
»Niemanden von Rang und Namen.«
Rupert lachte. »Dann ist ja alles in Ordnung.«
Sie standen nebeneinander, ohne recht zu wissen, wie sie ihre Gefühle in Worte kleiden sollten. Dann beugte sich Julia plötzlich vor und küsste ihn. Rupert zog sie in die Arme und hielt sie fest. Er spürte ihren Herzschlag. Nach einer Weile gab er sie sanft frei.
»Wir brechen gleich auf, Julia.«
»Ja.«
»Ich nähme dich mit, wenn ich könnte.«
»Ich weiß.«
»Wartest du auf mich?«
»Natürlich. Hast du noch meinen Gunstbeweis?«
Rupert schob die Hand in sein Lederwams und zog ein sehr zerfranstes und blutbeflecktes Taschentuch hervor. »Das Unterpfand meiner Liebsten! Es ist mir mehr wert als das ganze Waldkönigreich.« Als er aufschaute, sah er, dass auch in Julias Augen Tränen standen. Er wandte sich rasch ab und beobachtete das geschäftige Treiben auf dem Burghof, während er das Taschentuch wieder an der Brust verstaute. Er merkte, dass Julia dicht an ihn herantrat, und spürte ihren warmen Atem im Nacken.
»Kein Abschied, Rupert. Nur… komm heil zurück, sonst bin ich dir ernsthaft böse!«
Es entstand eine Pause. Dann drehte sie sich um und schritt rasch davon. Er dachte krampfhaft nach, was er noch hätte sagen können, aber ihm fiel nichts ein. Deshalb legte er die Hand auf sein Herz und spürte den sanften Druck des Seidentüchleins unter dem Lederwams. Allem Anschein nach hatten die Barden manchmal doch Recht. Pfeifend schlenderte er über den Hof auf das Einhorn zu.