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Der Champion saß wie erstarrt im Sattel, und Rupert spürte, wie das Räderwerk hinter seiner Stirn arbeitete. Dann nahm der Recke mit ausdrucksloser Miene die Zügel wieder auf. Rupert wusste, dass er gewonnen hatte.

»Mein Wort bindet mir die Hände, Sire«, sagte der Champion langsam. »Auf dieser Reise haben Sie das Kommando.«

»Gut.« Rupert bemühte sich, die Erleichterung in seiner Stimme zu unterdrücken. »Denn wenn Sie noch einmal versuchen sollten, meine Autorität bei den Gardesoldaten zu untergraben, werde ich Ihnen die Kehle durchschneiden.«

»Sie müssen mir nicht drohen, Sire. Mein Wort gilt.«

Rupert nickte von oben herab. »Haben Sie den Männern mitgeteilt, dass wir den Dunkelwald betreten müssen, um zum Turm des Zauberers zu gelangen?«

»Aye«, entgegnete der Champion. »Ich selbst bin noch nie durch die lange Nacht geritten, Sire. Was erwartet uns?«

Rupert ließ seine Gedanken zurückwandern. Er spürte die Angst und die Schmerzen, die seine Seele immer noch wie Ketten einschnürten. »Es ist dunkel«, sagte er schließlich.

»Dunkel genug, um den stärksten Willen zu brechen.«

Der Champion wartete eine Weile und merkte dann, dass Rupert seine Worte nicht näher erläutern würde.

»Ich werde die Männer versammeln, Sire. Sie möchten vor dem Aufbruch sicher eine Ansprache halten.«

»Muss das sein?«

Der Champion zog eine Augenbraue hoch. »Es ist üblich, die Soldaten vor dem Kampf auf die Gefahren hinzuweisen, die ihnen drohen werden.«

»Ja? Also schön, lassen Sie die Leute antreten, Sir Champion!«

Der Champion ritt davon, und Rupert beobachtete, wie er mit ein paar lauten Befehlen Ordnung in das Gewühl der Gardisten brachte. Dann versuchte er mühsam, seine Gedanken zu sammeln. Wie zum Henker sollte er die Gefahren des Dunkelwalds Männern begreiflich machen, die ihn noch nie gesehen hatten? Die wenigsten Bewohner des Waldkönigreichs setzten je einen Fuß in die lange Nacht; dafür sorgte der Schlingpflanzenwald. Rupert runzelte nachdenklich die Stirn. Nach Auskunft des Champions hatte die Finsternis den Schlingpflanzenwald verschlungen, und Dämonen durchstreiften ungehindert das Waldkönigreich. Rupert zuckte mit den Schultern, und seine Hand tastete nach dem Griff des Regenbogenschwerts. Wenn alles andere versagte, musste er eben erneut einen Regenbogen beschwören.

Es dauerte eine Weile, bis sich die Soldaten vor ihm versammelt hatten. Pferde stampften und wieherten ungeduldig, Atemwolken standen in der kühlen Morgenluft, und die ersten Sonnenstrahlen reflektierten golden von schimmernden Kettenhemden. Das Garderegiment wirkte tüchtig und verwegen, und dem Prinzen sank ein wenig der Mut, als ihm klar wurde, dass die Männer das wahre Grauen des Dunkelwaldes nie begreifen würden, solange sie es nicht selbst erlebt hatten. Es war ein Grauen, das zu tief in seiner Seele saß, als dass er es schildern konnte. Und doch musste er es versuchen.

»Der Dunkelwald«, sagte er schließlich, »ist gefährlich.

Immer. Selbst wenn ihr die Dämonen nicht sehen könnt – sie sind da und beobachten euch. Es gibt kein Licht außer den Fackeln, die wir mitnehmen. Es gibt kein Trinkwasser und nichts Essbares außer den Vorräten in unserem Gepäck. Ich habe den Dunkelwald zweimal durchquert und bin beide Male nur knapp mit dem Leben davongekommen. Ich hatte auf der zweiten Reise einen Drachen an meiner Seite – aber das bedeutete so gut wie keinen Unterschied.«

Er machte eine Pause und sah sich um, während das Echo seiner Stimme auf dem Burghof verklang. Die Männer begegneten seinen Blicken unbewegt und aufmerksam, aber auch mit einer Spur von Respekt. Kein Mensch in der langen Geschichte des Waldkönigreichs hatte den Dunkelwald zweimal bezwungen und war lebend zurückgekehrt. Und ich stehe im Begrif f , es ein drittes Mal zu versuchen, dachte Rupert verdrossen. Ich muss verrückt sein. Er bedachte die Soldaten mit einem grimmigen Lächeln.

»Es ist eine mörderische Reise zum Schwarzen Turm, meine Freunde, und die Aussichten, unversehrt zurückzukehren, stehen schlechter als je in eurem Soldatenleben. Die meisten von euch werden den Tod finden. Dennoch müssen wir es wagen; das Schicksal des Waldkönigreichs hängt davon ab, dass wir den Großen Zauberer finden und in die Residenz bringen. Wenn wir versagen, wird sich die Finsternis über das gesamte Land ausbreiten und unsere Heimat verschlingen. Wenn wir es schaffen, wird man unsere Taten bis in alle Ewigkeit in Heldenliedern verherrlichen.

Ich stelle es jedem von euch frei, hier zu bleiben. Der Dunkelwald ist kein Ort für unfreiwillige Helden. Andererseits habt ihr einmal im Leben die Aussicht, etwas wahrhaft Großes zu vollbringen. Das Waldkönigreich braucht euch.

Und ich brauche euch.«

Er sah in die Runde und wartete auf eine Antwort. Seine Kehle war wie zusammengeschnürt. Und einer nach dem anderen zogen die Männer ihre Schwerter und reckten sie hoch in die Luft zum alten Treueschwur der Krieger. Rupert nickte langsam, ohne zu verbergen, wie viel ihm diese Geste bedeutete, und ein halbes Hundert Schwerter rasselte zurück in die Scheiden.

»Sir Champion?«

»Aye, Sire?«

»Wir brechen auf.«

Rupert lenkte das Einhorn auf das innere Burgtor zu. Der Champion ritt an seine Seite, und die Soldaten folgten ihnen in enger Formation. Die mächtigen Eichenflügel schwangen langsam auf, und Hufschlag hallte laut von den dicken Steinmauern wider, als der Prinz die Männer durch den Bergfried führte. Und dann hob sich das Fallgatter, die Zugbrücke fiel mit Gepolter über den Graben, und Rupert führte seine Schar in den Frühnebel hinaus.

Rupert zog fröstelnd den Umhang enger um die Schultern. Er war den ganzen Vormittag geritten, doch obwohl der Nebel sich schließlich aufgelöst hatte, wollte es nicht wärmer werden. Eine trübe, blutrote Sonne kämpfte gegen den bedeckten Himmel an, dessen dunkle Wolken von Sturm und Gewittern kündeten. Früher Frost hatte das Gras am Wegrand gebleicht, und der Boden unter den Hufen des Einhorns war hart und holprig. Düster und kahl ragten Bäume zu beiden Seiten des Pfades auf, und silbrige Spinnennetze hüllten die spärlichen Sträucher ein. Keine Tiere raschelten im Unterholz, und keine Vögel sangen. Ein trostloser Nachmittag war angebrochen.

Der Wald lag lautlos da, und die gedämpften Hufschläge von Ruperts kleiner Reiterschar klangen in der unnatürlichen Stille wie eine lästige Störung.

Rupert schlug die Fäuste gegeneinander, um den Blutkreislauf in Schwung zu bringen, aber trotz der dicken Lederhandschuhe, die er trug, nagte die Kälte an seinen Fingern. In den Zehen hatte er längst kein Gefühl mehr. Es ist doch erst Anf ang Herbst, dachte er verwirrt. So kalt war es um diese Jahreszeit noch nie… Der Wind peitschte ihm so eisig ins Gesicht, dass ihm die Wangen brannten. Rupert spürte, wie sich die Starre in seinen Gliedern ausbreitete, und wusste, dass der Wind seinen Ursprung in der endlosen Nacht hatte. Der böse Hauch, den der Dunkelwald vor sich hertrieb, legte sich wie Raureif über das Land, das die Finsternis in Bälde verschlingen würde. Rupert begann zu zittern und kam lange Zeit nicht dagegen an.

Der Champion hob plötzlich die Hand, und die Kolonne hielt ungeordnet an. Rupert zügelte sein Einhorn. Die Hand am Schwertgriff, spähte er rasch umher.

»Weshalb bleiben wir stehen, Sir Champion?«

»Wir werden beobachtet, Sire.«

Rupert runzelte die Stirn. »Ich sehe niemanden.«

»Sie sind in der Nähe«, sagte der Champion leise. »Sie belauern uns.«

Eine Weile rührte sich niemand. Die Gardesoldaten saßen steif auf ihren Pferden, spähten in die Schatten des Waldes und horchten auf die leisesten Geräusche. Die dürren Gespensterbäume umstanden sie dicht gedrängt und hüteten uralte Geheimnisse in der undurchdringlichen Dämmerung.