»Moment«, unterbrach ihn Rupert. »Dein Volk hat gegen ein Dämonenrudel gekämpft? Wo war das?«
»Bei der Kupfermine«, berichtete der kleinste Kobold.
»Wir haben Ketschup aus ihnen gemacht, ehrlich! Schmecken übrigens scheußlich, die Typen – nur Knochen und Knorpel.
Und nun mach dir keine Sorgen um deine Burg, edler Held, wir werden sie für dich bewachen. Wir kennen eine Menge hässlicher Tricks mit kochendem Öl…«
»Kann ich mir gut vorstellen«, sagte Rupert. »Um noch einmal auf die Kupfermine zu kommen…«
»Nette kleine Bergwerksiedlung. Ich denke an so manche Nacht, als ich und meine Kumpel dort Hühner und Kälber gestohlen haben. Das ist vorbei, leider.«
»Warum?«
»Dämonen«, meinte der kleinste Kobold. »Haben alles in Fetzen gerissen. Keine Menschen mehr da. Spurlos verschwunden. Aber jetzt muss ich weiter, edler Held, sonst hole ich die Kameraden nicht mehr ein. Eine gute Reise wünsche ich.«
»Danke, tapferer Kobold. Und benehmt euch anständig!
Wenn ich höre, dass ihr auch nur einen rechtschaffenen Reisenden zwischen hier und der Residenz belästigt habt, sorge ich persönlich dafür, dass man euch dem Burggraben-Ungeheuer zum Fraß vorwirft! Hast du das verstanden?«
»Aber klar doch«, versicherte der kleinste Kobold eilig.
»Wir Waldbewohner müssen zusammenhalten. Nicht einen Einzigen, hast du gesagt?«
»Nicht einen Einzigen!«
»Spaßverderber«, maulte der kleinste Kobold. Dann grinste er, verbeugte sich rasch und hetzte hinter seinen Freunden her. Die Soldaten schauten den Kobolden nach, bis sie verschwunden waren, und wandten sich dann Rupert mit neuem Respekt zu. Jemand, der es schaffte, eine Schar bewaffneter Kobolde einzuschüchtern, ohne auch nur die Stimme zu erheben, war ein Führer, den man ernst nehmen musste.
»Die Kupfermine«, sagte der Champion langsam. »Wir könnten gegen Abend dort sein.«
»Sie kennen den Ort?«, erkundigte sich Rupert.
»Ein Bergwerk, in dessen Nachbarschaft eine Kleinstadt entstanden ist. Achthundert Menschen leben dort – einschließlich einer halben Kompanie Soldaten. Es kann nicht sein, dass sie der Finsternis zum Opfer gefallen sind…«
»Der Dunkelwald muss näher sein, als wir dachten«, sagte Rupert. »Achthundert Menschen… ich denke, wir sollten uns den Ort ansehen.«
Der Champion nickte grimmig und führte den Trupp tiefer in den Wald hinein.
Die Sonne sank rasch hinter den Horizont, als Rupert und der Champion in die Kupferstadt einritten. In den Häusern der Bergarbeiter brannte kein Licht, und die schmalen Gassen waren angefüllt mit Schatten. Die Männer spähten argwöhnisch die stummen Fassaden entlang und rückten ihre Schwerter zurecht. Dumpf brachen sich die Hufschläge an den dicken Steinmauern und hallten unnatürlich laut durch die Stille. Die Pferde warfen die Köpfe hoch und wieherten ängstlich. Rupert starrte umher, während er seine Leute durch die kleine Stadt führte, und die vielen unverschlossenen Fenster starrten zurück wie leere schwarze Augenhöhlen. Man sah keine Spuren von Gewalt oder Verwüstung, aber die Häuser wirkten verlassen. Irgendwo in der wachsenden Dämmerung schlug der Wind eine Tür auf und zu. Niemand kam, um sie zu schließen. Rupert gab das Zeichen zum Anhalten und zügelte sein Einhorn.
»Sir Champion?«
»Aye, Sire?«
»Halten Sie mein Einhorn! Ich möchte mir einige dieser Häuser näher ansehen.«
»Ich wäre vermutlich von mehr Nutzen für Sie, wenn ich Ihnen Rückendeckung gebe.«
Rupert sah den Champion von der Seite an. Dann nickte er kurz und schwang sich aus dem Sattel. Kettenhemden rasselten, als die Gardesoldaten ihre Waffen zogen und die Gasse an beiden Enden absperrten. Rupert nahm die Laterne vom Sattelknauf und versuchte die Kerze mit Feuerstein zu entfachen.
»Rupert…«, begann das Einhorn.
»Oh! Du wirst doch nicht zu schmollen aufhören und wieder mit mir reden?«
»Ich habe nicht geschmollt. Ich habe nachgedacht.«
»Worüber?«
»Hauptsächlich über dich. Du hast dich verändert, Rupert.«
»Ja? Inwiefern?«
»Nun, zum einen warst du früher vernünftiger. In diesen Häusern könnten sich jede Menge Dämonen verstecken.«
»Ich weiß.« Rupert grinste breit, als der Docht endlich zu glimmen begann. »Deshalb sehe ich ja nach.« Er schloss die Laterne und hielt sie in die Höhe, während er vorsichtig auf das nächstgelegene Haus zuging. Das Einhorn machte Anstalten, ihm zu folgen, blieb aber stehen, als der Champion vor der weit offenen Eingangstür zu Rupert aufschloss.
»Bereit, Sire?«
»Bereit, Sir Champion.«
Rupert trat leise über die Schwelle und stieß gleich darauf die Tür hart gegen die Wand – für den Fall, dass sich etwas dahinter verbarg. Nichts bremste den Schwung. Ein lautes Dröhnen hallte durch das Haus und entlockte der Holzdecke einen ächzenden Laut. Rupert ging weiter, dicht gefolgt vom Champion, und schaute sich um. Schmutzige Strohmatten bedeckten den Lehmboden. Auf den nackten Steinwänden breiteten sich Feuchtigkeitsränder und dunkle Schimmelflecken aus. Die rußgeschwärzte Feuerstelle enthielt nichts außer Asche und einem Kohlehäufchen. Ein roh gezimmerter Tisch und vier Stühle, die nicht zusammenpassten, einer davon ein Kinderhochsitz. Holzteller, für eine Mahlzeit hergerichtet. Der ganze Raum maß bestenfalls drei mal drei Meter, und die Decke war so niedrig, dass Rupert unwillkürlich den Kopf einzog. Ein furchtbarer Gestank quoll ihnen entgegen.
Rupert rümpfte angewidert die Nase. »Wie können Menschen in einem solchen Elend hausen?«
»Bergleute sind und bleiben bettelarm«, sagte der Champion. »Wenn sie die vom Aufseher festgesetzten Förderquoten nicht erfüllen, bekommen sie keinen Lohn. Wenn sie die Quoten zu leicht erfüllen, werden die Forderungen nach oben geschraubt, bis sie ihr Pensum nicht mehr schaffen. Die Löhne sind niedrig, die Preise hoch. Die wenigen Läden hier befinden sich im Besitz der Aufseher. Mit dem Kupfer, das ein Bergmann an einem Tag fördert, könnte er seine Familie ein Jahr lang ernähren – aber auf den Diebstahl von Erz steht die Todesstrafe.«
»Das wusste ich nicht«, sagte Rupert leise. »Ich… habe nie darüber nachgedacht…«
»Warum sollten Sie auch?«, entgegnete der Champion.
»Sie haben Ihre Pflichten, die Armen haben andere. So ist das nun mal auf der Welt.«
»Kein Mensch sollte so vegetieren müssen«, erklärte der Prinz kategorisch.
»Wir können nicht alle in Schlössern leben, Sire. Jemand muss das Kupfer fördern.«
Rupert warf dem Champion einen wütenden Blick zu, und dann erstarrten sie beide, als irgendwo über ihnen ein Poltern zu hören war. Der Champion erreichte mit wenigen Schritten die einzige Tür an der rückwärtigen Wand des Raumes und riss sie auf. Dahinter kam eine schmale, wacklige Stiege zum Vorschein. Er spähte in das Dunkel und stieg langsam die knarrenden Stufen hinauf. Rupert sah sich noch einmal um, ehe er dem Champion mit gezücktem Schwert folgte.
Die Stiege führte ins Obergeschoss; der gleiche winzige Raum, diesmal durch einen Vorhang geteilt und mit zwei einfachen Betten möbliert. Der Champion schob den Vorhang zurück und entdeckte ein Fenster. Einer der schief in den Angeln hängenden Läden schlug im Wind hin und her. Mit einem Kopf schütteln steckte er die Waffe weg und schloss den Laden. Rupert musterte mit gerunzelter Stirn die beiden Betten. Sie waren für die Nacht aufgeschlagen, aber niemand hatte darin geschlafen. Einen Moment lang überlegte er, ob er einen Blick unter die Bettgestelle werfen sollte, aber sie waren zu niedrig, um irgendetwas außer einem Nachttopf zu verbergen. Er hielt die Laterne hoch und spähte umher. Auf einem der Betten lag eine zerlumpte Stoffpuppe mit aufgemaltem Gesicht. Rupert schob sein Schwert in die Scheide und hob die Puppe auf.