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Ein paar Tagereisen später hatte Rupert den letzten Proviant verbraucht. Es gab kein Wild im Dunkelwald, und wenn er hin und wieder auf Wasser stieß, roch es faulig. Der Durst brannte ihm in der Kehle, und der Hunger machte sich als dumpfer Bauchschmerz bemerkbar.

Seit er die Lichtung der Nachthexe hinter sich gelassen hatte, bewegte er sich durch absolute Schwärze. Die Stille bedrückte ihn. Er sah weder den Weg vor sich noch das Einhorn unter sich; und seine Hand erkannte er nicht einmal dann, wenn er sie dicht vor die Augen hielt. Der einzige Beweis, dass die Zeit verging, waren seine wachsenden Bartstoppeln. Er wurde zunehmend schwächer, während das Einhorn ihn immer tiefer in den Dunkelwald trug, und obwohl sie anhielten und rasteten, wann immer sie erschöpft waren, konnte Rupert nicht schlafen. Die Finsternis hielt ihn wach.

Etwas konnte sich unbemerkt heranschleichen, während er schlief.

Er fuhr sich mit zitternden Fingern über die trockenen, aufgesprungenen Lippen und zog die Stirn kraus, als ihm zu Bewusstsein kam, dass das Einhorn stehen geblieben war. Er wollte fragen, was los sei, aber seine Zunge war so geschwollen, dass sie fast die ganze Mundhöhle ausfüllte. Mühsam rutschte er aus dem Sattel und lehnte sich gegen die Flanke des Einhorns, bis seine Beine zu zittern aufhörten. Dann stolperte er ein paar Schritte vorwärts, die Hände nach vorn ausgestreckt. Er stöhnte, als sich spitze Stacheln schmerzhaft in sein Fleisch bohrten. Vorsichtiges Tasten verriet ihm, dass die Ausleger eines Dornengestrüpps den schmalen Pfad überwucherten. Rupert zog sein Schwert und merkte zu seinem Entsetzen, dass er inzwischen zu schwach war, um es mit einem Arm zu schwingen. Er nahm seine letzten Kräfte zusammen und machte sich daran, mit ungeschickten, an den Muskeln zerrenden Hieben eine Gasse durch das Gestrüpp zu bahnen. Das Einhorn folgte ihm langsam, den einst so stolz erhobenen Kopf mit dem gedrehten Horn müde gesenkt.

Die Pausen zwischen den Schwerthieben wurden länger, und Rupert kämpfte gegen die wachsenden Schmerzen in Brust und Armen an. Die widerspenstigen Dornen zerkratzten ihm Hände und Gesicht, aber er war so erschöpft, dass er die Risse kaum spürte. Das Schwert wog immer schwerer in seinen schlaffen Fingern, und seine Beine zitterten, aber er gab nicht auf. Er war Prinz Rupert vom Waldkönigreich. Er hatte gegen einen Dämon gekämpft und dem Dunkelwald getrotzt, und er wollte verdammt sein, wenn er sich jetzt von einem blöden Dornenstrauch besiegen ließ. Während er mit dem Schwert wild auf das Hindernis einhackte, drang er immer tiefer in das Gestrüpp ein – und schrie auf, als ihm plötzlich Sonnenlicht entgegenflutete.

Rupert hob eine Hand, um die Augen vor der gleißenden Helle abzuschirmen, und stolperte blind vorwärts. Lange Zeit konnte er nichts weiter tun als zwischen den Fingern hervor blinzeln und den Tränen des Schocks freien Lauf lassen. Als er sich endlich an das Licht gewöhnt hatte, starrte er verblüfft die Landschaft an, die sich vor ihm ausbreitete. Er war hoch oben auf einem steilen Hügel aus dem Dunkelwald getreten und sah zu seinen Füßen einen Fleckenteppich aus bestellten Felder – Weizen, Mais und Gerste, die in der Mittagshitze reiften. Lange Reihen hoch gewachsener Eichen dienten als Windschutz, und Sonnenlicht spiegelte sich hell in glitzernden Flüssen. Niedrige Steinmauern markierten die Ackergrenzen, und eine unbefestigte Straße wand sich zu einem mächtigen dunklen Berg, der den Horizont beherrschte und mit seinem Gipfel bis in die Wolken stieß.

Der Berg, den man Drachenfels nannte.

Rupert riss mühsam den Blick von dem bedrohlichen Ungetüm los und sah sich in seiner näheren Umgebung um.

Dann stockte ihm der Atem. Keine zehn Schritte vom Rand des Dunkelwaldes entfernt sprudelte ein Wildbach aus einer verborgenen Quelle und schoss sprühend und schäumend zu Tal. Rupert ließ das Schwert fallen, stolperte vorwärts und sank am Ufer in die Knie. Er schöpfte mit einer Hand das Nass und leckte vorsichtig seine Finger ab. Das Wasser war klar und rein. Rupert spürte, wie ihm erneut die Tränen über die Wangen liefen, als er sich nach vorn beugte und das Gesicht in den Bach tauchte.

Er schlürfte gierig das eiskalte Wasser, verschluckte sich und musste husten. Irgendwie fand er die Kraft, sich von dem Bach loszureißen. Wenn er jetzt zu viel trank, würde ihm nur schlecht. Er streckte sich auf dem weichen Gras aus, den Bauch angenehm prall von dem köstlichen Nass. Sein Magen knurrte und erinnerte ihn daran, dass er lange nichts mehr gegessen hatte, aber das konnte noch eine Weile warten. Im Moment fühlte er sich zu wohl, um aufzustehen. Er beobachtete das Einhorn, das sehr beherrscht trank und dann zufrieden das Ufergras zu rupfen begann. Rupert lächelte zum ersten Mal seit Tagen. Er stützte sich auf einen Ellbogen und blickte zurück. Der Dunkelwald ragte schweigend hinter ihm auf, und kein einziger Sonnenstrahl vermochte die düstere Barriere zu durchdringen. Eine kalte Brise wehte von den morschen, dürren Bäumen herüber. Rupert grinste dem Dunkel triumphierend entgegen und schmeckte Blut, als seine spröden Lippen einrissen, aber das war ihm einerlei.

»Ich habe dich besiegt«, murmelte er. »Ich habe dich besiegt!«

»Mit meiner Hilfe«, erklärte das Einhorn. Rupert drehte sich um und fing einen besorgten Blick seines Reittiers auf.

Er streckte den Arm aus und tätschelte dem Gefährten die Schnauze.

»Ohne dich hätte ich es nicht geschafft«, sagte Rupert.

»Du warst immer da, wenn ich dich brauchte. Ich danke dir.«

»Bitte«, erwiderte das Einhorn. »Und nun möchte ich mich noch eine Weile an diesem herrlichen Gras gütlich tun und nicht gestört werden, bis ich satt bin. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«

Rupert lachte. »Mehr als klar. Keine Einwände von meiner Seite. Die Sonne steht hoch am Himmel, und ich habe jede Menge Schlaf nachzuholen. Danach zeige ich dir vielleicht, wie man eine Forelle hervorkitzelt.«

»Was geht mich das Vergnügen eines albernen Fisches an?«, fragte das Einhorn, aber Rupert schlief bereits wie ein Stein.

Rupert und das Einhorn brauchten fast einen Monat, bis sie den Drachenfels erreicht hatten. Regelmäßige Mahlzeiten und frisches Wasser halfen ihnen, sich von den Strapazen zu erholen und neuen Mut zu fassen, aber der Dunkelwald hatte seine Spuren hinterlassen. Jeden Abend, wenn die Sonne rot hinter dem Horizont versank, entfachte Rupert ein großes Feuer, obwohl die Nächte warm waren und keine gefährlichen Tiere die Gegend unsicher machten. Und jede Nacht deckte er die Glut vor dem Einschlafen sorgfältig mit Asche zu, um sicherzugehen, dass sie noch glomm, wenn er vor dem Morgengrauen erwachte. Sein Schlaf war unruhig und von Albträumen geplagt, an die er sich lieber nicht erinnerte. Zum ersten Mal seit seiner Kindheit fürchtete sich Rupert vor dem Dunkel. Jeden Morgen schlug er beschämt die Augen auf, verwünschte seine Schwäche und schwor sich, der Angst nicht mehr nachzugeben. Aber jeden Abend, wenn die Sonne unterging, entfachte er wieder ein Feuer.

Je näher der Drachenfels rückte, desto imposanter türmte er sich auf, und Rupert überlegte mit wachsendem Unbehagen, was er tun sollte, wenn er den Fuß des Berges erreicht hatte. Wenn die Karte der Nachthexe stimmte, würde er irgendwo in Gipfelnähe auf eine Drachenhöhle stoßen, aber als er sich seinem Ziel näherte, beschlichen ihn zunehmend Bedenken, dass ein gewöhnlicher Mensch die schroffe Basaltwand erklimmen konnte, die dunkel vor ihm aufragte und den Horizont verdrängte. Aber trotz seiner Zweifel und trotz der unvernünftigen Furcht, die ihn des Nachts quälte, dachte Rupert keinen Wimpernschlag lang an eine Umkehr. Er war zu weit geritten und hatte zu viel durchgemacht, um jetzt, so dicht vor dem Ziel, aufzugeben.

Zieh aus, mein Sohn, und erlege einen Drachen! Beweise, dass du des Thrones würdig bist!

In der Morgenluft lag noch die Kälte der Nacht, als Rupert die hügeligen Ausläufer des Berges erreichte. Spärliches Gras und niedrige Sträucher wichen bald blankem Fels, erodiert und ausgewaschen von Wind und Regen. Ein in die Bergflanke gehauener Pfad führte steil nach oben, und das Einhorn fluchte pausenlos vor sich hin, während es sich vorsichtig über das holprige Gelände tastete. Rupert hielt die Augen fest auf den Weg vor sich gerichtet und bemühte sich, nicht an den Abgrund zu denken, der hinter ihm lag. Der Pfad wurde immer schmaler und tückischer, je höher sie stiegen. Schließlich gelangten sie an eine Stelle, wo ihnen ein breiter Geröllstreifen den Weg versperrte. Das Einhorn warf einen Blick auf die losen Steine und blieb mit gespreizten Beinen stehen.