»Danke, daß Ihr gekommen seid, um mich zu retten.«
Sie zeigte ihm ein gerissenes Lächeln. »Ich würde Euch niemals diesen Bestien überlassen – nicht nach allem, was Ihr für uns getan habt. Außerdem hat Lord Rahl Cara, die ihn beschützt; ich bin sicher, er wünscht sich auch für seinen Großvater den Schutz einer Mord-Sith.«
Zedd hatte sich also nicht getäuscht. Die ganze Welt stand Kopf.
»In einem Versteck haben wir Pferde sowie ein paar Vorräte untergebracht«, sagte Chase. »Trotzdem sollten wir auf dem Weg aus dem Lager ein zusätzliches Pferd für Rikka mitnehmen.«
Rachel hatte die Arme um Chases Hals geschlungen und blickte über seine Schulter. Die Stirn in ernste Falten gelegt, meinte sie leise zu Zedd: »Chase ist bedrückt, weil er die meisten seiner Waffen zurücklassen muß.«
Zedds Blick fiel auf die Streitaxt an seiner Hüfte, das Schwert an seiner anderen und auf die beiden Messer, die er hinten in seinem Gürtel stecken hatte. »Ja, ich sehe ein, daß es einen Mann verdrießlich stimmen kann, wenn er nur unzureichend bewaffnet ist.«
»Hier gefällt es mir nicht«, flüsterte Rachel Chase ins Ohr und schmiegte ihren Kopf an seine Schulter. Er tätschelte ihr den Rücken. »Nicht mehr lange, und wir sind wieder im Wald, Kleines.«
Ein innigeres Bild hätte sich Zedd hier, inmitten von Gebrüll und Tod, nicht vorzustellen vermocht.
54
Verna zögerte, als der Posten im Dunkeln auf sie zugelaufen kam, und griff die Zügel ihres Pferdes kürzer, näher an der Trense, um zu verhindern, daß es scheute.
»Prälatin – ich glaube, es könnte sich um eine Art Angriff handeln«, stieß der Soldat in atemloser Besorgnis hervor.
Sie musterte ihn stirnrunzelnd. »Was könnte sich um eine Art Angriff handeln?«
»Es kommt etwas die Straße herauf.« Er deutete hinter sich, Richtung Dobbin-Paß. »Ein Wagen, glaube ich.«
Der Gegner schickte fortwährend irgend etwas zu ihnen herüber: Soldaten, die sich heimlich bei Dunkelheit anschlichen. Pferde, die – mit einem Bann belegt, der eine Bresche in ihre Schilde sprengen sollte -wie von Sinnen auf sie zugerast kamen, harmlos aussehende Wagen, in deren Innerem sich Bogenschützen verbargen, kräftige, von einem Zauber angetriebene Winde, versetzt mit magischen Bannen aller Art.
»Da es bereits dunkel ist, hielt der Kommandant ihn für verdächtig und hat ausgegeben, daß wir kein Risiko eingehen sollen.«
»Klingt vernünftig«, bemerkte Verna.
Sie mußte dringend zurück ins Lager. Sie hatte selbst die Runde gemacht, um sich – vor der allabendlichen Zusammenkunft im Lager, bei der die Tagesberichte durchgegangen wurden – einen genauen Überblick über die Verteidigungsanlagen zu verschaffen und den Männern auf den Außenposten einen Besuch abzustatten.
»Der Kommandant möchte den Wagen zerstören, ehe er zu nahe kommt. Ich hab mich selbst überzeugt, Prälatin – im Augenblick sind keine anderen Schwestern verfügbar. Wenn Ihr Euch der Sache nicht selbst annehmen wollt, könnten wir die Männer oben am Hang einen Erdrutsch auslösen lassen, der den Wagen unter sich begräbt.«
Verna mußte dringend zurück zu ihrem Treffen mit den Offizieren. »Am besten, du richtest deinem Kommandanten aus, er möge die Sache selbst in die Hand nehmen, wie immer er es für angemessen hält.«
Der Soldat salutierte mit einem knappen Faustschlag auf sein Herz.
Verna zog ihr Pferd herum und setzte einen Fuß in den Steigbügel. Wieso glaubte man im Lager der Imperialen Ordnung, einen Wagen über den Paß schmuggeln zu können, noch dazu bei Nacht? Diese Leute waren mit Sicherheit nicht so töricht anzunehmen, er würde im Dunkeln nicht gesehen. Sie zögerte und sah dem Soldaten hinterher, der bereits im Begriff war sich zu entfernen.
»Warte.« Er blieb stehen und drehte sich herum. »Ich habe es mir anders überlegt. Ich werde dich begleiten.«
Sie folgte dem einfachen Soldaten den Pfad entlang bis zu dem Aussichtspunkt, wo seine Einheit wartete. Die Soldaten hielten durch die Bäume Ausschau auf die etwas unterhalb liegende Straße, die im Licht des aufgehenden Mondes silbrig schimmerte.
Verna beobachtete, wie der Wagen, gezogen von einem einzelnen, schwerfällig dahintrottenden Pferd, sich gemächlich die Straße hinaufbewegte. Bogenschützen, die neben sich eine Blendlaterne bereitstehen hatten, um Brandpfeile entzünden und den Wagen in Brand schießen zu können, warteten schußbereit in angespannter Körperhaltung.
Im Wagen vermochte Verna niemanden zu erkennen; ein leerer Wagen, das wirkte in der Tat verdächtig. Sofort mußte sie an Anns merkwürdige Nachricht denken, in der sie sie dringend aufgefordert hatte, einen leeren Wagen durchzulassen.
Nur hatten sie das längst getan. Verna meinte sich zu erinnern, daß das Mädchen mit der Nachricht von Jagang auf ebendiesem Weg bis zu ihnen durchgekommen war. Klopfenden Herzens und voller Sorge überlegte Verna, welche Botschaft Jagang ihnen wohl diesmal schicken mochte.
Womöglich die Köpfe von Zedd und Adie.
»Nicht schießen«, rief sie den Bogenschützen zu. »laßt ihn durch, aber haltet euch bereit, für den Fall, daß es sich um ein Täuschungsmanöver handeln sollte.«
Verna begab sich den schmalen Pfad zwischen den Bäumen hinunter, ging hinter einem Dickicht aus Fichtenzweigen in Deckung und spähte hindurch. Als der Wagen nahe genug war, öffnete sie eine schmale Lücke in dem ausgedehnten Schild, den sie und die anderen Schwestern über den Paß gelegt hatten; der dabei verwendete Zauber war mit allen Häßlichkeiten der Magie versehen, derer sie fähig waren. An dieser Stelle war der Paß so schmal, daß er mit den Schilden allein zu halten war, und viel zu eng, als daß der Feind ihn im Falle eines Angriffs in großer Zahl erstürmen konnte. Selbst ohne den mächtigen magischen Schild wäre der Paß vergleichsweise leicht zu halten gewesen.
Kaum hatte der Wagen den Schild passiert, schloß Verna die Lücke wieder, und als er schließlich nahe genug war, trat einer der Soldaten aus dem Schutz der Bäume hervor und brachte das Pferd in seine Gewalt. Schließlich kam der Wagen zum Stehen; Dutzende von Bogenschützen – sowohl hinter dem Wagen als auch auf der anderen Seite, hinter Verna – spannten ihre Waffen. Verna umgab ihn mit einem magischen Netz, bereit, es beim geringsten Anlaß zu entfesseln.
Schließlich wurde die Plane über der Ladefläche des Wagens ein Stück zurückgezogen, und ein kleines Mädchen richtete sich auf. Es war dasselbe Mädchen, das auch schon die erste Nachricht überbracht hatte. Ihre Miene hellte sich auf, als sie Vernas bekanntes Gesicht erblickte.
Vernas Herz setzte einen Schlag aus, als sie daran dachte, was sie wohl diesmal erwartete.
»Ich hab ein paar Freunde mitgebracht«, rief das Mädchen.
Schließlich wurde die Plane ganz zurückgezogen, und mehrere Personen, die auf der Ladefläche des Wagens gelegen hatten, begannen sich zögernd aufzurichten; dem Anschein nach waren es Eltern mit ihren völlig verängstigten Kindern.
Verna kniff erschrocken die Augen zusammen, als sie einige von ihnen Adie aufhelfen sah. Die Hexenmeisterin machte einen erschöpften Eindruck; ihr schwarzgraues Haar war nicht mehr säuberlich gescheitelt, sondern so unordentlich, wie man es sonst nur von Zedds Haar gewohnt war.
Verna eilte hinüber und beugte sich über die Seitenwand, um sie zu stützen. »Adie! Was bin ich froh, Euch wiederzusehen!«
Die alte Hexenmeisterin lächelte. »Ich freue mich auch über alle Maßen, Euch wiederzusehen, Verna.«
Mit klopfendem Herzen ließ Verna den Blick suchend über die auf der Ladefläche kauernden Personen schweifen. »Wo ist Zedd?«
»Er hat ebenfalls fliehen können.«
Verna schloß die Augen zu einem stillen Dankgebet.
Dann schlug sie sie wieder auf. »Aber wo ist er, wenn er entkommen konnte?«
»Auf dem Weg zur Burg der Zauberer in Aydindril«, antwortete Adie mit ihrer schnarrenden Stimme. »Sie ist von unseren Feinden erobert worden.«
»Wir haben davon gehört.«
»Dieser alte Kerl ist fest entschlossen, seine Burg zurückzuerobern.«