»Wie ich Zedd kenne, kann einem jeder leid tun, der ihm dabei in die Quere zu kommen versucht.«
»Rikka ist bei ihm.«
»Rikka! Was in aller Welt hat sie dort verloren! Das hatte ich ihr doch ausdrücklich untersagt!« Plötzlich wurde Verna bewußt, wie sich das anhören mußte. »Wir hielten es für zwecklos, weil wir glaubten, sie hatte keine Chance und wir würden sie sinnlos verlieren.«
»Rikka ist eine Mord-Sith. Sie hat ihren eigenen Kopf.«
Verna schüttelte den Kopf. »Nun, ich hatte es ihr zwar eigentlich verboten, aber jetzt, wo ich Euch wiedersehe und weiß, daß auch Zedd entkommen ist, bin ich ganz froh, daß dieses eigensinnige Frauenzimmer nicht auf mich gehört hat.«
»Captain Zimmer befindet sich ebenfalls auf dem Weg hierher.«
»Captain Zimmer!«
»Ganz recht. Er und einige seiner Männer hatten ebenfalls beschlossen, uns zu Hilfe zu kommen. Sie sind auf dem Weg hierher, wie sie sich normalerweise fortbewegen – unsichtbar im Schutz der Nacht.«
Auf Kahlans ausdrückliche Anordnung waren diese Männer keinem Kommando unterstellt und konnten nach eigenem Ermessen handeln; trotz gelegentlicher Schwierigkeiten hatten sie die Erwartungen aller bislang stets übertroffen.
»Zedd wollte, daß ich diesen Leuten bei der Flucht helfe.« Adie bedachte Verna mit einem vielsagenden Blick. »Leider konnten wir nicht allen helfen.«
Verna sah zu den Leuten hinüber, die eng aneinander geschmiegt auf der Ladefläche des Wagens kauerten. »Was Jagang mit diesen Leuten angestellt hat, kann ich bestenfalls vermuten.«
»Nein«, erwiderte Adie. »Das bezweifele ich.«
Schließlich wechselte Verna zu einem noch erschreckenderen Thema. »Hat Jagang unter den aus der Burg der Zauberer stammenden Gegenständen bislang etwas gefunden, das er gegen uns einzusetzen gedenkt?«
»Glücklicherweise nein. Zedd hat einen Bann ausgelöst, durch den alle aus der Burg der Zauberer gestohlenen Gegenstände zerstört wurden. Es gab mitten in ihrem Lager eine gewaltige Explosion.«
»Etwa so wie jene damals in Aydindril, der so viele von ihnen zum Opfer gefallen sind?«
»Das nicht, trotzdem hat sie enorme Zerstörungen verursacht und auch einige Personen von Rang getötet – ich glaube, sogar einige der Schwestern in Jagangs Truppen.«
Verna hätte nie geglaubt, sie würde sich jemals über den Tod einiger Schwestern des Lichts freuen. Aber diese Frauen befanden sich in der Gewalt des Traumwandlers und waren, als man ihnen die Freiheit anbot, zu verängstigt gewesen, um sich ihren Rettern anzuvertrauen. Plötzlich kam ihr ein Gedanke; sie packte Adies Gewand. »Ware es möglich, daß Zedds Bann auch Jagang getötet hat?«
Adie blickte mit ihren vollkommen weißen Augen den Dobbin-Paß hinauf zum Lager der Imperialen Ordnung. »Ich wünschte, ich hätte erfreulichere Neuigkeiten für Euch, Prälatin, aber als wir bereits auf dein Weg aus dem Lager waren, erzählte mir Captain Zimmer, unmittelbar vor unserer Rettung sei es einem gedungenen Meuchler gelungen, bis in den Kommandobereich des Feldlagers vorzudringen.«
»Ein gedungener Mörder? Wer kann das gewesen sein? Woher kam er?«
»Das weiß keiner von uns. Äußerlich war er den anderen Soldaten aus der Alten Welt sehr ähnlich. Offenbar wurde der Eindringling von der unbedingten Entschlossenheit getrieben, sich bis zu Jagang durchzuschlagen und ihn umzubringen. Irgendwie muß es ihm gelungen sein, den inneren Verteidigungsring zu überwinden, einige Soldaten zu töten und die Uniform eines Elitesoldaten zu erbeuten, um sich auf diese Weise bei Jagang einzuschleichen. Doch dann fiel den Wachtposten auf, daß er nicht zu ihnen gehörte, und sie hackten ihn in Stücke, ehe er auch nur in die Nähe Jagangs gelangen konnte.
Unmittelbar darauf verließ Jagang den Kommandobereich, bis seine Leute den Verteidigungsring überprüft und sich vergewissert hatten, daß keine weiteren Meuchler eingedrungen waren. Dabei wurde er zu seinem persönlichen Schutz von einer größeren Gruppe Schwestern begleitet. Ungefähr um diese Zeit zündete Zedd den Sonnenuntergangsbann. Da wußten wir noch nicht, daß Jagang den Kommandobereich verlassen hatte, aber es hätte ohnehin keinen Unterschied ausgemacht, denn Zedd hatte den Bann im dem Moment scharf machen müssen, als er ihm vorgelegt wurde. Ausgelöst wurde er dann später durch den Sonnenuntergang.«
Verna nickte. Einen Augenblick lang hatte sie gehofft ...
»Immerhin seid Ihr und Zedd entkommen, und das ist es, was jetzt erst einmal zahlt. Dem Schöpfer sei Dank.«
Die Grillen im Wald setzten ihr unablässiges Zirpen in unverminderter Stärke fort. Das Leben schien plötzlich wieder ein wenig freundlicher, ihre Situation etwas weniger hoffnungslos.
Sie seufzte. »Nun, wenigstens hoffe ich, der Schöpfer hilft Zedd und Rikka, die Burg der Zauberer zurückzuerobern.«
»Zedd ist auf die Hilfe des Schöpfers nicht angewiesen«, erwiderte Adie. »Dafür haben wir von ganz anderer Seite Hilfe bekommen; Chase ist ein alter Freund von Zedd, mir und Richard. Wer immer die Burg besetzt haben mag, Chase wird dafür sorgen, daß sie den Schöpfer um Hilfe anflehen.«
»Demnach können wir dem Tag, da die Burg wieder in unsere Hände fällt und Jagang endgültig jede Hilfe beim Durchbruch des Passes nach D’Hara verwehrt wird, also mit einiger Zuversicht entgegensehen.«
Verna gab ein Zeichen mit ihrem Arm, worauf die vier Paare, die an der Rückseite des Wagens standen, zögernden Schritts mit ihren Kindern näher kamen.
»Willkommen in D’Hara«, begrüßte sie Verna. »Hier seid Ihr in Sicherheit.«
»Vielen Dank, daß Ihr uns bei der Flucht aus dem Lager geholfen habt«, sagte einer der Männer mit einer höflichen Verbeugung zu Adie. »Jetzt schäme ich mich, was für schreckliche Dinge ich über Euch gedacht habe.«
Adie lächelte amüsiert, während sie seine Schulter mit ihren dürren Fingern drückte. »Mag sein. Aber das kann ich Euch nicht vorwerfen.«
Das Mädchen, das schon beim letzten Mal die Nachricht überbracht hatte, zupfte an Vernas Kleid. »Das sind meine Eltern. Ich hab ihnen erzählt, wie nett du zu mir warst.«
Verna ging in die Hocke und nahm das Mädchen in die Arme. »Willkommen, Kleines. Herzlich willkommen.«
55
Aus einem unerfindlichen Grund war Richard nicht minder angespannt als seine Bogensehne. Deutlich spürte er, daß etwas nicht stimmte, ohne jedoch zu wissen, was. Man hätte glauben können, dies sei eine idyllische Mondscheinnacht im Wald, doch Richards Verhalten, gepaart mit der bedrückenden Stille, bewirkte, daß über allem ein Gefühl dunkler Vorahnung lag.
Dank des Gegenmittels aus Northwick hatte sich Richards Zustand leicht gebessert; eine Weile hatte sich die Ausbreitung seiner Vergiftungssymptome verzögert, mittlerweile jedoch klang die vorübergehende Besserung bereits wieder ab. Kahlan war so in Sorge um ihn, daß es ihr den Appetit verschlagen hatte.
Mittlerweile begleitete sie mehr als die doppelte Anzahl Männer; zudem näherte sich eine noch weit größere Zahl auf anderen Wegen der Stadt Hawton. Diese anderen Gruppen beabsichtigten, die kleineren, in den Dörfern entlang der Strecke stationierten Einheiten der Soldaten der Imperialen Ordnung auszuschalten, während Richard, Kahlan und ihr Trupp so schnell wie möglich Richtung Hawton vorstoßen und dabei ganz bewußt jede Feindberührung vermeiden wollten, um dort zu sein, ehe Nicholas und seine Soldaten überhaupt Wind davon bekamen, daß sie unterwegs waren. Solange sie unbemerkt blieben, war ihre Chance, die letzte Dosis des Gegenmittels in die Hände zu bekommen, am größten.
Sobald sie dies geschafft hatten, konnten sie sich mit den übrigen Trupps zum entscheidenden Schlag zusammenschließen. Wenn es ihnen gelang, zunächst Nicholas auszuschalten, würde dies, dessen war Kahlan sicher, einen Sieg über die restlichen Truppen der Imperialen Ordnung erheblich erleichtern und weniger riskant machen. Falls sie eine Möglichkeit fand, in seine Nähe zu gelangen, würde sie ihn, so ihr Plan, mit ihrer Kraft berühren. Sie war allerdings klug genug gewesen, dies Richard zu verschweigen, da er niemals zugestimmt hätte.