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Richard sah die Verzweiflung in ihren Augen; sie hatte entsetzliche Angst, ihn zu verlieren. Unter keinen Umständen wollte er daß sie sich seinetwegen ängstigte.

»Sie hat Recht, Lord Rahl«, versicherte ihm Owen. »Ich werde das Gegenmittel holen und Euch bringen.«

»Und während wir hier warten, kannst du dich ein wenig ausruhen«, sagte Kahlan. »Ein wenig schlafen ist das Beste, was du tun kannst, bis sie dir das Gegenmittel bringen.«

Richard vermochte nicht zu bestreiten, daß er unsäglich müde war, trotzdem behagte ihm die Vorstellung, nicht selbst zu gehen, kein bißchen.

»Tom könnte ihn doch begleiten«, schlug Cara vor.

Richard blickte hoch in Caras blaue Augen, sah wieder in Kahlans Augen und wußte, er hatte die Auseinandersetzung verloren.

»Wie weit ist es bis dorthin?«, wandte er sich an Owen.

»Noch ein gutes Stück. Hier befinden wir uns erst in den Außenbezirken der Stadt. Ich wollte uns an einen Ort bringen, wo es ziemlich unwahrscheinlich ist, daß wir auf Soldaten stoßen. Das Gegenmittel befindet sich höchstens eine Stunde von hier. Ich hielt es für das Beste, wenn wir für den Fall, daß wir schnell verschwinden müssen, nicht allzu weit in die Stadt vordringen, gleichzeitig aber weit genug, damit Ihr nicht so lange auf das Gegenmittel warten müßt.«

Richard nickte. »Also gut. Wir werden hier auf dich und Tom warten.« Während Kahlan in dem kleinen, feuchten Kellerraum auf und ab lief, saßen die anderen an die Wand gelehnt da und warteten schweigend. Die Anspannung war beinahe unerträglich; sie erinnerte viel zu sehr an eine Totenwache.

Das Ziel war so greifbar nahe, daß es plötzlich in unerreichbare Ferne gerückt schien. Sie hatten schon so lange gewartet, daß ihr das bißchen Zeit, das sie jetzt noch ausharren mußten, wie eine nicht enden wollende Ewigkeit vorkam. Kahlan beschwor sich, ruhiger zu werden. Nur noch kurze Zeit, dann würde Richard das Gegenmittel bekommen, und es würde ihm wieder besser gehen. Danach wäre er endlich von dem Gift geheilt.

Was aber, wenn es nicht funktionierte, wenn schon zu viel Zeit vergangen und er unrettbar verloren war? Nein, der Alte, der Gift und Gegenmittel hergestellt hatte, hatte Owen versichert, die letzte Dosis des Gegenmittels würde Richard endgültig kurieren.

Und wenn ihm doch ein Fehler unterlaufen war?

Kahlan rieb sich, während sie auf und ab ging, die Schultern und schalt sich, weil sie unaufhörlich neue Probleme erfand, über die sie sich den Kopf zerbrechen konnte. Sie hatte bereits genug Probleme, auch ohne daß sie ihre Phantasie mit sich durchgehen ließ. Zuerst würden sie das Gegenmittel beschaffen und sich erst danach Richards Problem mit der Gabe widmen. Anschließend mußten sie sich dann mit den gewichtigeren Fragen wie Jagang und seiner Armee befassen.

Als ihr Blick auf Richard fiel und sie sah, daß er in einen tiefen Schlummer gesunken war, beschloß sie, nach draußen zu gehen und dort nach Tom und Owen Ausschau zu halten. Cara, die neben Richard an der Wand lehnte und im Schlaf über ihn wachte, nickte, als Kahlan ihr leise erklärte, was sie vorhatte. Als Jennsen Kahlan zur Tür gehen sah, folgte sie ihr leise nach draußen.

Die mondhelle Nacht war merklich abgekühlt. Eigentlich, fand Kahlan, hätte sie schläfrig sein sollen, statt dessen war sie hellwach. Sie folgte dem mit Ziegeln gepflasterten Pfad zwischen den Gebäuden hindurch bis zur Hintergasse.

»Owen wird bestimmt bald zurück sein«, sagte Jennsen. »Versuch dir nicht so viele Sorgen zu machen. Es ist bald vorbei.«

Kahlan warf ihr im Dunkeln einen Blick zu. »Selbst wenn er das Gegenmittel eingenommen hat, müssen wir uns noch immer um seine Gabe kümmern. Bis zu Zedd ist es viel zu weit; wir werden also sofort zu Nicci aufbrechen müssen. Sie ist die Einzige, die nah genug ist und womöglich weiß, wie man ihm helfen kann.«

»Glaubst du, die durch seine Gabe hervorgerufenen Beschwerden haben sich verschlimmert?«

Die Schmerzen, die sie so oft in seinen Augen sah, ließen Kahlan schon seit längerem keine Ruhe mehr. Aber das allein war es nicht.

»Die beiden letzten Male, als er sein Schwert benutzte, konnte ich sehen, daß ihn die Magie des Schwertes im Stich gelassen hatte. Seine Schwierigkeiten mit der Gabe sind größer, als er zuzugeben bereit ist.«

Jennsen biß sich auf die Unterlippe, während sie Kahlan beim Aufund Abgehen zusah. »Heute Nacht bekommt er das Gegenmittel«, meinte sie schließlich begütigend. »Dann können wir schon bald auf dem Weg zu Nicci sein.«

Am Ende der Gasse erschienen zwei dunkle Gestalten. An der Art, wie der eine den anderen überragte, glaubte Kahlan mit einiger Sicherheit zu erkennen, daß es Tom und Owen waren. Sie wollte ihnen schon entgegenlaufen, besann sich dann aber, daß ein Irrtum tödlich sein konnte, und zog Jennsen wieder mit zurück um die Ecke des Gebäudes, dorthin, wo die Schatten am tiefsten waren. Dies war nicht der rechte Augenblick für Unbesonnenheiten.

Als die beiden Männer den schmalen Ziegelweg erreichten und sich anschickten, in ihn einzubiegen, stellte sich Kahlan ihnen in den Weg, bereit, falls nötig, ihre Kraft zu entfesseln.

»Wir sind es, Mutter Konfessor, Tom und Owen«, gab sich Tom mit leiser Stimme zu erkennen.

Jennsen atmete erleichtert auf. »Wir sind so froh, daß ihr wieder da seid.«

Owen blickte sich um; als er sich wieder herumdrehte, sah Kahlan, wie sich das Mondlicht in den Tränen spiegelte, die ihm über die Wangen liefen.

»Es gibt Schwierigkeiten, Mutter Konfessor«, erklärte Tom.

Owen breitete in einer hilflosen Geste die Hände aus. »Mutter Konfessor, ich, ich ...«

Kahlan packte ihn mit beiden Händen. »Was ist schief gegangen? Das Gegenmittel war doch noch da, oder etwa nicht? Du hast es doch, oder?«

»Nein.« Owen unterdrückte seine Tränen und zog ein gefaltetes Blatt Papier hervor. »In dem Versteck fand ich statt des Gegenmittels dies.«

Kahlan riß ihm den Zettel aus den Händen und faltete das Blatt mit zitternden Fingern auseinander. Sie drehte es herum und hielt es sich so dicht vors Gesicht, daß sie es im Schein des Mondes lesen konnte.

Das Gegenmittel befindet sich in meinem Besitz. Im Übrigen hängt das Leben der Einwohner Bandakars an einem seidenen Faden; ich kann es ebenso mühelos beenden wie das Richard Rahls.

Ich bin jedoch bereit, das Gegenmittel sowie das Leben aller Bewohner des Reiches Bandakar gegen die Mutter Konfessor einzutauschen.

Bringt sie zur Flußbrücke eine Meile östlich von Eurem gegenwärtigen Standort. Befindet sie sich in einer Stunde nicht in meiner Gewalt, werde ich das Gegenmittel in den Fluß schütten und anschließend dafür sorgen, daß alle Bewohner dieser Stadt sterben.

Unterzeichnet: Kaiser Nicholas

Kahlan, deren Herz unkontrollierbar pochte, machte Anstalten, unverzüglich Richtung Osten loszumarschieren, doch Tom bekam ihren Arm zu fassen und hielt sie zurück. »Ich weiß, was dort steht Mutter Konfessor.«

Kahlans Hände wollten nicht aufhören zu zittern. »Dann wißt Ihr ja auch, weshalb mir keine andere Wahl bleibt.«

Jennsen versperrte Kahlan den Weg, um zu verhindern, daß sie gleich wieder loslief. »Was steht in dem Brief?«

»Nicholas verlangt mich im Austausch gegen das Gegenmittel.«

Jennsen hielt sie mit beiden Händen an den Schultern gepackt, um sie zurückzuhalten. »Was sagt du da?«

»So steht es in dem Brief. Nicholas verlangt mich im Austausch gegen das Leben aller Bewohner Bandakars sowie gegen das Mittel, das Richards Leben retten soll.«

»Das Leben aller Bewohner ... aber wie will er diese Drohung denn überhaupt wahr machen?«

»Nicholas ist ein Zauberer; einem Mann wie ihm stehen alle möglichen todbringenden Mittel zu Verfügung. Als letzte Möglichkeit könnte er Zaubererfeuer einsetzen und die gesamte Stadt in Schutt und Asche legen.«