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Jennsen dachte einen Moment darüber nach. »Aber wenn der Fall der Grenze der Imperialen Ordnung die Eroberung der Neuen Welt erst ermöglicht hat, warum hat Richard sie dann überhaupt zerstört?«

Kahlan hielt sich mit einer Hand an der Seitenwand des Wagens fest, als dieser über eine Unebenheit im Gelände holperte. Den Blick starr nach vorn gerichtet, betrachtete sie Richard, der durch die gleißende Helligkeit dieser Ödnis stapfte.

»Er hat es meinetwegen getan«, antwortete Kahlan mit ruhiger Stimme. »Es war einer dieser Fehler, über die wir soeben gesprochen haben.« Sie seufzte erschöpft. »Einer dieser Versuche mit Ungewissem Ausgang.«

8

Richard ging in die Hocke und besah sich die merkwürdige Stelle auf dem felsigen Untergrund. Er hatte schon wieder pochende Kopfschmerzen, bemühte sich aber nach Kräften, sie zu ignorieren. Mittlerweile kamen und gingen die Kopfschmerzen ohne erkennbaren Anlaß, so daß er gelegentlich schon zu der Annahme neigte, ihre Ursache sei vielleicht doch die unerträglichen Hitze und nicht seine Gabe.

Während er jetzt die Spuren auf dem Boden betrachtete, waren seine Kopfschmerzen schlagartig vergessen. Irgend etwas an dem felsigen Boden kam ihm vertraut vor – nicht einfach nur vertraut, sondern beunruhigend vertraut.

Ein paar halb von langen Strähnen zottigen Fells bedeckte Hufe blieben in erwartungsvoller Haltung neben ihm stehen. Betty, in der Hoffnung, etwas zu fressen oder doch wenigstens ein wenig Zuneigung zu ergattern, stupste ihn behutsam mit dem Kopf an.

Nachdem sie zwei Tage lang leidend im Wagen gelegen und jegliche Nahrung verweigert hatte, schien sich die Ziege allmählich vom Verlust ihrer beiden Jungen zu erholen und zu neuem Leben zu erwachen. Mit ihrem Appetit war offenkundig auch ihre Neugier zurückgekehrt. Ganz besonders liebte sie es, Richard auf seinen Erkundungsgängen zu begleiten.

Auch die Landschaft hatte sich während der letzten Tage verändert. Inzwischen waren wieder die ersten Spuren von Leben zu erkennen. Zunächst waren es nicht mehr als ein paar rostbraune Verfärbungen gewesen, hervorgerufen durch auf dem Trümmergestein wachsende Flechten, aber schon kurz darauf hatten sie in einer Senke den ersten dornigen Strauch entdeckt. Mittlerweile bedeckten diese genügsamen Pflanzen in großen Abständen die gesamte Landschaft. Vor allem Betty schätzte die harten Sträucher, an denen sie sich gütlich tat, als wären sie das köstlichste Grünfutter. Auch die Pferde hatten von dem Gestrüpp gekostet, sich aber rasch wieder abgewendet; offenkundig war es nicht nach ihrem Geschmack.

Die Flechten, die jetzt immer häufiger auf dem Gestein zu beobachten waren, glichen verkrusteten, mit farbigen Stellen durchsetzten Flächen. Mancherorts waren sie dunkel, dick und lederartig, dann wieder wuchsen sie so spärlich, daß sie nicht mehr zu sein schienen als eine hauchfeine Schicht grüner Farbe. Diese grünliche Verfärbung war vor allem in Felsspalten und Bodenrissen oder auf der Unterseite von Steinen zu finden, wo sie nicht der bleichenden Kraft der Sonne ausgesetzt waren. Zog man einen der halb aus dem Boden ragenden Steine heraus, konnte man darunter die feinen Ranken einer dunkelbraunen unterirdisch wachsenden Pilzart erkennen.

Winzige Insekten mit langen Fühlern flitzten von Fels zu Fels, und gelegentlich zockelte ein grünlich schimmernder Käfer mit ausladenden Kieferzangen durch den Sand. Winzige rote Ameisen schichteten dunkelrote Staubhaufen um die Eingänge ihrer Baue. In den Astgabelungen der vereinzelten kleinen, dürren Sträucher hingen an Rohbaumwolle erinnernde Spinnennetze. Auf manchen Felsen saßen schlanke grüne Echsen und wärmten sich in der Sonne, während sie die vorüberziehenden Menschen beobachteten. Kamen diese ihnen zu nahe, huschten die winzigen Geschöpfe in Deckung und waren so blitzartig verschwunden, als hätten sie sich überhaupt nicht bewegt.

Was immer Richard bislang an Spuren des Lebens gesehen hatte, war bei weitem noch nicht üppig genug, um menschliches Überleben zu ermöglichen, trotzdem war es ein ungeheuer erleichterndes Gefühl, wieder in die von Leben bevölkerte Welt zurückzukehren – zumal er wußte, daß sie gleich jenseits des ersten Gebirgszuges auf Leben im Überfluß – und damit endlich wieder auf die ersten Menschen – stoßen würden.

Auch Vögel wurden allmählich wieder zu einem gewohnten Anblick. Meist handelte es sich um kleinere Exemplare – Erdbeerfinken, aschefarbene Mückenfänger, Felskönige und schwarzkehlige Spatzen. In der Ferne sah Richard einzelne Raubvögel am Himmel ihre Kreise ziehen, während die Spatzen sich zu kleinen unberechenbaren Schwärmen zusammenfanden. Da und dort ließen sich Vögel auf dem dornigen Gestrüpp nieder, wo sie auf der Suche nach Samenkörnern und Insekten munter umherhüpften. Sämtliche Vögel verschwanden sofort, sobald die Riesenkrähen in Sicht kamen.

Richard, den Blick starr auf die endlose Weite aus Felsgestein und offenem Gelände gerichtet, sprang erschrocken auf; plötzlich dämmerte ihm, warum ihm all dies so vertraut vorkam. Im selben Augenblick, da ihm die Erkenntnis kam, klangen seine Kopfschmerzen schlagartig ab.

Rechter Hand sah er Kahlan, begleitet von Cara, sich der Stelle nähern, wo er stand und auf den erstaunlichen Felsstreifen starrte, während der Wagen mit Tom, Friedrich und Jennsen ein gutes Stück entfernt weiter Richtung Süden holperte. Der vom Wagen und den Zugpferden aufgewirbelte Staub stand in der Luft und war meilenweit zu sehen. Verräterischer Staub spielte angesichts der Riesenkrähen, die ihnen in gewissen Abständen einen Besuch abstatteten, vermutlich keine Rolle, trotzdem wäre Richard froh, wenn sie endlich in ein Gelände kämen, wo sie zumindest die Möglichkeit hätten, sich etwas unauffälliger fortbewegen zu können.

»Hast du etwas Interessantes entdeckt?«, erkundigte sich Kahlan und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.

Richard verstreute ein paar kleine Steinchen auf dem Streifen felsigen Untergrunds, den er untersucht hatte. »Sag mir, was du darüber denkst.«

»Nun, ich denke, du siehst aus, als ginge es dir wieder besser«, antwortete Kahlan.

Cara ignorierte den innigen Blickwechsel zwischen Richard und Kahlan und beugte sich vor, um die Stelle selbst in Augenschein zu nehmen. »Und ich denke, Lord Rahl hat sich zu viele Steine angesehen. Dies ist einfach nur ein Stück felsigen Bodens, genau wie überall hier.«

»Tatsächlich?« Richard deutete auf das Gelände, das er soeben eingehender betrachtet hatte, dann deutete er auf einen anderen Punkt, unweit der Stelle, wo Kahlan und Cara standen. »Sieht es etwa genau so aus wie dort drüben?«

Cara musterte die beiden Stellen kurz, ehe sie die Arme trotzig vor ihrem Körper verschränkte. »Der Fels dort drüben, den Ihr so eingehend betrachtet habt, ist lediglich von einer etwas helleren braunen Farbe, das ist alles.«

Kahlan zuckte unschlüssig mit den Achseln. »Ich glaube, sie hat Recht, Richard. Bis auf die vielleicht etwas dunklere Farbe sieht der Fels ganz ähnlich aus.« Sie dachte einen Moment nach, während sie den Boden mit den Augen absuchte, ehe sie ihr Urteil ergänzte: »Ich denke, er ähnelt dem felsigen Untergrund, über den wir mehrere Tage lang marschiert sind, ehe wir auf die ersten Gräser und Sträucher stießen.«

Richard stemmte die Hände in die Hüften und betrachtete den auffälligen Felsstreifen, den er entdeckt hatte. »Dann erklär mir doch bitte, was an dem Felsgestein vor einigen Tagen, als wir uns noch in der Nähe der Säulen der Schöpfung befanden, charakteristisch war.«

Kahlan sah zu Cara, die mit ausdrucksloser Miene dastand, ehe sie Richard verständnislos anschaute. »Was daran charakteristisch war? Im Grunde gar nichts, die Gegend war absolut bar jeglichen Lebens. Dort wuchs überhaupt nichts.«

Richard erfaßte das Gelände, das sie derzeit durchquerten, mit einer ausladenden Handbewegung. »Und das hier?«

»Hier wächst ein wenig Gestrüpp.« Caras Interesse an seinen Betrachtungen über die Flora und Fauna dieser Ödnis hatte merklich nachgelassen.