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»Wenn Ihr mich wollt, müßt Ihr bis zur Brückenmitte kommen und das Fläschchen diesem Mann hier übergeben, der es dann, entsprechend Nicholas’ Angebot, überbringen wird.«

Der Mann verharrte eine Weile regungslos auf der Stelle, so als dächte er nach. Er sah aus wie ein Soldat und entsprach keineswegs der Beschreibung Nicholas’, die Owen ihr gegeben hatte. Schließlich machte er sich auf und betrat den Brückenbogen. Owen raunte ihr zu, er sehe aus wie der Kommandant, den er bei Nicholas gesehen habe. Kahlan wartete ab und beobachtete den Mann, der sich ihr im Mondlicht näherte. An der einen Seite trug er ein Messer, an seiner anderen Hüfte ein Schwert.

Er hatte sie fast erreicht, als er unvermittelt stehenblieb und wartete.

Kahlan streckte ihre Hand vor. »In dem Brief war von einem Austausch die Rede. Meine Person gegen etwas, das sich in Nicholas’ Besitz befindet.«

Der Mann mit der seitlich gekrümmten platten Nase grinste. »So stand es dort geschrieben.«

»Ich bin die Mutter Konfessor. Entweder Ihr händigt mir das Fläschchen jetzt aus, oder Ihr sterbt gleich hier auf der Brücke.«

Er holte das rechteckige Fläschchen aus seiner Tasche hervor und legte es ihr in die Hand. Kahlan konnte erkennen, daß es mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt war. Sie entkorkte es und roch daran; es verströmte, wie die anderen Fläschchen mit dem Gegenmittel zuvor, ein schwaches Zimtaroma.

»Dieser Mann wird umgehend mit dem Fläschchen zurückgehen«, erklärte Kahlan dem finster dreinblickenden Soldaten, indem sie das Fläschchen an Owen weitergab.

»Und Ihr werdet mit mir kommen«, erwiderte dieser und faßte sie am Handgelenk. »Oder wir alle sterben hier auf dieser Brücke. Er darf gehen, wie ausgemacht, aber wenn Ihr zu fliehen versucht, sterbt Ihr.«

Kahlan sah Owen an. »Geh jetzt«, knurrte sie.

Owens Blick schweifte zu dem Mann mit dem schwarzen Haaren, dann wieder zurück zu Kahlan. Er schien noch eine Menge sagen zu wollen, beließ es dann aber bei einem knappen Nicken und eilte über die Brücke zurück zu der Stelle, wo Tom und Jennsen standen und das Geschehen verfolgten.

Als er bei den beiden eintraf, sagte der Soldat soeben: »Gehen wir, es sei denn, Ihr wollt gleich hier sterben.«

Mit einem Ruck befreite Kahlan ihren Arm. Als er darauf kehrt machte und sich in Bewegung setzte, folgte sie ihm den Rest des Weges bis zum Ende der Brücke, wahrend sie die Schatten am gegenüberliegenden Flußufer, die unzähligen Verstecke zwischen den Gebäuden jenseits und den weiter entfernten Straßen mit den Augen absuchte. Sie sah keine Menschenseele, was aber keineswegs dazu beitrug, daß sie sich besser fühlte.

Irgendwo dort in der Dunkelheit lauerte Nicholas und wartete darauf, sie in seine Gewalt zu bekommen.

Plötzlich erstrahlte die Nacht hinter ihnen in taghellem Licht. Kahlan fuhr herum und sah die Brücke in einen wallenden Feuerball gehüllt, dessen Flammen, je höher sie in den Himmel schlugen, in schwarzen Qualm übergingen. Gesteinsbrocken schossen über dem Inferno in die Höhe. Als die leuchtende Flammenwolke sich hob, sah sie die Brücke unter dem tosenden Feuerball in sich zusammenstürzen. Die Stützbögen gaben nach, bis schließlich die gesamte Konstruktion ihren tiefen Sturz in den Fluß begann.

Kahlan überlief eiskalte Angst, als sie sich fragte, ob es wohl noch weitere Brücken über den Fluß gab. Wie sollte sie gegebenenfalls wieder zu Richard zurückgelangen? Wie sollte ihr umgekehrt jemand zu Hilfe kommen können?

Drüben, auf dem anderen Ufer, konnte sie Tom, Jennsen und Owen die Straße entlanglaufen sehen, zurück zu dem Gebäude, in dem Richard schlief. Offenbar hatten sie nicht die Absicht, ihre Zeit damit zu verschwenden, sich die Zerstörung einer Brücke anzusehen. Beim Gedanken an Richard hätte sie beinahe laut geschluchzt.

Unerwartet versetzte ihr der Soldat einen Stoß. »Macht schon, weiter.«

Sie erwiderte sein Grinsen, die selbstgefällige Dreistigkeit, die sie in seinen Augen las, mit einem wütenden Funkeln.

Ihre Wut stand, während sie vor diesem Kerl herging, der ihr ab und zu einen Stoß versetzte, kurz vor dem Siedepunkt. Sie verspürte den Drang, ihre Kraft zu entfesseln und diesen Abscheu erregenden Rohling auszuschalten, aber sie mußte sich auf die bevorstehende Aufgabe konzentrieren: Nicholas.

Auf dem Weg über die vom Fluß fortführende Straße konnte sie gerade eben einige Soldaten ausmachen, die sich auf der dunklen Straßenseite in die Schatten drückten, um sämtliche Fluchtwege abzuriegeln. Es war ihr egal. Was sie im Augenblick interessierte, war nicht Flucht, sondern einzig und allein ihr Ziel. Ungeachtet seines arroganten Gebarens war der Mann hinter ihr überaus wachsam und behandelte sie mit einer Mischung aus Vorsicht und Verachtung.

Je weiter sie in die Stadt auf der anderen Seite des Flusses vordrang, desto dichter drängten sich die Gruppen gedrungener Häuser zusammen. Gewundene Seitenstraßen führten zwischen den baufälligen Gebäuden in ein Gewirr aus völlig übervölkerten Wohnbezirken. Die wenigen Bäume, die es gab, standen unmittelbar am Straßenrand; ihre Äste reichten über sie hinweg wie Arme, erhoben, um sie mit ihren Krallen zu greifen. Kahlan versuchte, den Gedanken, wie tief sie in feindliches Gebiet vordrang und wie viele Soldaten sie hier umzingelten, zu verdrängen.

Als sie das letzte Mal von solchen Wilden umringt und in einen Hinterhalt gelockt worden war, hatte man sie brutal zusammengeschlagen, und sie wäre beinahe dabei umgekommen. Für ihr ungeborenes Kind, Richards Kind, hatte es das Ende bedeutet. An jenem Tag damals hatte sie eine gewisse Art der Unschuld verloren, das naive Gefühl der eigenen Unbesiegbarkeit. An seine Stelle war das Bewußtsein der Vergänglichkeit des Lebens getreten.

Ein Mann trat rechts von ihr aus dem Schatten eines Gebäudes. Er trug ein schwarzes, offenbar mit mehreren Schichten Stoffstreifen besetztes Gewand, das ein wenig so aussah, als wäre er über und über mit schwarzen Federn bedeckt. Sie hoben sich sanft im Luftzug seines forschen Schritts, was seinen Bewegungen etwas verstörend Schwebendes, ja Ungreifbares verlieh.

Sein Haar war mit Öl nach hinten geglättet, das im Mondschein glänzte. Eng beieinander stehende, kleine schwarze Augen, rot gerändert, linsten ihr aus einem durch und durch verdorbenen Gesicht entgegen. Er hielt seine Handgelenke an die Brust gepreßt, so als wollte er seine mit schwarzen Fingernägeln versehenen Krallen vor ihr verbergen.

Kahlan mußte ihm nicht vorgestellt werden, um zu wissen, daß dies Nicholas der Schleifer war. Sie hatte Männern Geständnisse abgenommen, die nach außen hin nichts weiter zu sein schienen als höfliche, junge Burschen, berufstätige Familienväter oder freundliche Großväter, die in Wahrheit jedoch Verbrechen von skrupellosester Grausamkeit begangen hatten. Wenn man sie betrachtete, wie sie hinter ihrer Werkbank standen und Schuhe fertigten, wie sie Brot verkauften oder draußen auf dem Feld ihre Tiere versorgten, wäre es einem schwer gefallen, sie so abscheulicher Verbrechen für fähig zu halten. Aber als sie jetzt Nicholas vor sich sah, offenbarte sich ihr eine Verdorbenheit von so ungeheurem Ausmaß, daß sie alles an ihm, bis hin zu seinen obszön zusammengekniffenen Augen, mit seinem Gift durchdrungen hatte.

»Der Fang aller Fänge«, zischte er. Er streckte eine Hand vor und ballte sie zur Faust. »Und jetzt gehört er mir.«

Kahlan bekam kaum mit, was er sagte; sie hatte sich bereits ihrer unwiderruflichen Entschlossenheit hingegeben, von ihrer Kraft Gebrauch zu machen. Dieser Mann hatte unzählige Menschen als Geiseln genommen. Dieser Mann, dessen Schatten nichts als Leid und Tod bedeutete, würde sie und Richard töten, sobald sich ihm die Gelegenheit böte.

Sie packte sein vorgestrecktes Handgelenk, das er mit seiner anderen Hand umfaßt hielt.

Er stand vor ihr wie eine Statue.

Die Nacht unter dem mit Sternen übersäten Himmelsgewölbe wirkte kalt und abweisend. Sie spürte, wie seine Muskeln sich unter ihrem Griff anspannten, so als wollte er seinen Arm zurückziehen. Doch dafür war es längst zu spät.