Plötzlich hörte Richard Cara aus einer schmalen Lücke zwischen zwei Häusern beharrlich seinen Namen rufen. Im ersten Moment dachte er, sie wäre in Schwierigkeiten, doch als er um die Ecke bog, sah er einen kräftigen Mann vor ihr auf den Knien liegen. Eine Hand in seinem fettigen, schwarzen Haar, hatte sie ihm den Kopf in den Nacken gerissen. Eines seiner Ohren protzte mit einer Reihe Silberringe. Cara presste ihm den Strafer an den Hals. Blut troff von seinem Kinn herab.
»Sag es ihm!«, schrie sie ihn an, als Richard herbeigeeilt kam.
»Ich weiß nicht, wo sie sind!«
In einem Wutanfall rammte Cara ihm die Spitze ihres Strafers gegen den Schädel. Ein Ruck ging durch seinen Körper, während seine Arme unter dem niederschmetternd schmerzhaften Schock, der ihm keinen Schrei, sondern nur ein tonloses Keuchen entlockte, zu zittern begannen. Er verdrehte die Augen. Cara zog ihn an seinen verfilzten Haaren rückwärts über ihr Knie, um zu verhindern, daß er in sich zusammensackte.
»Sag es ihm«, knurrte sie.
»Sie sind fort«, murmelte er. »Nicholas ist gestern Abend abgereist. Sie haben eine Frau fortgetragen, aber wer das war, weiß ich nicht.«
Richard ließ sich auf ein Knie herunter und packte sein Hemd. »Wie sah sie aus?«
Seine Augen rollten noch immer blicklos hin und her. »Langes Haar.«
»Wohin sind sie aufgebrochen?«
»Keine Ahnung. Fort eben. Sie waren in Eile.«
»Was hat Nicholas vor seiner Abreise zu dir gesagt?«
Allmählich fanden seine Augen wieder ihr Ziel. »Nicholas wußte, Ihr würdet im Morgengrauen angreifen. Er verriet mir, auf welchem Weg Ihr in die Stadt einfallen würdet.«
Richard konnte kaum glauben, was er da hörte. »Wie in aller Welt konnte er davon erfahren haben?«
Erst zögerte der Soldat, doch dann bewog ihn ein Seitenblick auf Caras Strafer, den Mund aufzumachen.
»Ich weiß nicht. Vor seiner Abreise teilte er mir noch mit, wie groß Eure Truppe ist, wann Ihr angreifen würdet und über welche Route. Er trug mir auf, die Stadtbewohner zusammenzutrommeln, als Schutzschild gegen Euren Angriff. Also haben wir unsere fanatischsten Helfer zusammengetrieben und ihnen weisgemacht, Ihr würdet kommen, um uns zu ermorden und einen Krieg vom Zaun zu brechen.«
»Wann ist Nicholas aufgebrochen? Wohin hat er die Frau gebracht?«
Von seinem Kinn troff weiterhin Blut herab. »Keine Ahnung. Sie sind einfach gestern Abend in großer Eile aufgebrochen. Das ist alles, was ich weiß.«
»Wenn ihr wußtet, daß wir kommen würden, warum habt ihr dann keine besseren Vorkehrungen zu eurer Verteidigung getroffen?«
»Hatten wir ja. Nicholas übertrug mir die Sicherung der Stadt, worauf ich ihm versicherte, eine so kleine Streitmacht könne uns unmöglich besiegen.«
Irgend etwas war an der Geschichte mehr als faul. »Wieso nicht?«
Zum ersten Mal ging so etwas wie ein Grinsen über das Gesicht des Kriegers. »Weil Ihr nicht wißt, über wie viele Krieger wir tatsächlich verfügen. Nachdem ich wußte, wo Euer Angriff erfolgen würde, konnte ich meine gesamten Streitkräfte zusammenziehen.« Sein Grinsen wurde breiter. »Hört Ihr in der Ferne das Horn? Sie sind bereits auf dem Weg hierher.« Tief aus seinem Bauch drang ein selbstgefälliges Lachen. »Ihr seid so gut wie tot.«
Zwischen zusammengebissenen Zähnen preßte Richard hervor: »Aber du zuerst.« Mit einem wuchtigen Stoß bohrte er dem Offizier sein Schwert durchs Herz.
»Das Beste ist, wir ziehen unsere Männer sofort ab«, sagte Richard, indem er Caras Arm ergriff und zur Häuserecke rannte.
»Sieht aus, als wäre es bereits zu spät dafür«, erwiderte sie, als sie hinter ihrer Deckung hervorkamen und die gegnerischen Soldaten in Scharen von allen Seiten herbeiströmen sahen.
Woher konnte Nicholas gewußt haben, wann und wo sie attackieren würden? Es war absolut niemand in der Nähe gewesen – keine Riesenkrähen, nicht einmal eine Maus war zugegen gewesen, als sie auf ihrem Vormarsch quer durch das Gelände ihre Pläne geschmiedet hatten. Wie konnte er davon erfahren haben?
»Bei den Gütigen Seelen«, stöhnte Cara. »Ich hätte nie gedacht, daß sie so viele Truppen in Bandakar stationiert haben.«
Das Gebrüll der heranstürmenden Soldaten war ohrenbetäubend. Richard war längst am Ende seiner Kräfte. Jeder tiefe Atemzug ging mit quälenden Schmerzen einher. Er wußte, sie hatten keine Wahl.
Er mußte eine Möglichkeit finden, zu Kahlan zu gelangen. Wenigstens bis dahin mußte er noch durchhalten.
Mit einem Pfiff gab er seinen Männern das verabredete Zeichen, sich zu sammeln. Als Anson und Owen angelaufen kamen, schaute er sich um und erblickte auch den größten Teil der anderen.
»Wir werden einen Durchbruch wagen müssen, um hier rauszukommen; es sind zu viele. Bleibt dicht beieinander. Wir versuchen durchzustoßen. Sobald wir es geschafft haben, verteilt ihr euch und versucht, euch bis zum Wald durchzuschlagen.«
Flankiert von Cara auf der einen und Tom auf der anderen Seite, stürmte Richard an der Spitze seiner Männer auf die gegnerischen Linien zu. Tausende Soldaten der Imperialen Ordnung strömten aus den Straßen und Gassen der Stadt ringsum auf den freien Platz. Der Anblick war furchterregend; es waren solche Massen, daß der Boden selbst sich zu bewegen schien.
Aber noch bevor es zum Zusammenprall mit den Soldaten kam, erglühte der Morgen unter mehreren gleißend hellen Feuerexplosionen. Tosende Flammensäulen fraßen sich durch die gegnerischen Linien und töteten die Soldaten zu Hunderten. Grasnarben, Bäume und Soldaten wurden in die Luft geschleudert; plötzlich war der Boden ringsum bedeckt mit einem wüsten Durcheinander aus Soldaten, Kleidungsstücken, Haaren und schmauchenden Fleischfetzen.
Richard vernahm ein lautes Heulen, das sich irgendwie vertraut anhörte. Er wandte sich gerade noch rechtzeitig herum, um einen Ball kochenden, flüssig-gelben Feuers heulend durch die Luft heranrasen zu sehen, der, innerlich brodelnd vor tödlicher Energie, rotierend immer größer wurde. Zaubererfeuer.
Das weiß glühende Inferno toste unmittelbar über ihre Köpfe hinweg, senkte sich, kaum hatte es Richard und seine Männer passiert, herab und landete, alles unter sich zermalmend, inmitten der feindlichen Soldaten, die es mit einer wahren Flut flüssigen Todes überzog. Zaubererfeuer haftete an allem, was es berührte, um dort unter ungeheurer Hitzeentwicklung zu verglühen. Ein einziger winziger Tropfen vermochte sich durch das Bein eines Mannes bis auf den Knochen durchzufressen. Seine Wirkung war von grauenhafter Tödlichkeit. Die Schmerzen, hieß es, seien so unerträglich, daß jeder, der es überlebte, seinen Tod herbeisehnte.
Die Frage war nur: Von wem stammte es?
Drüben, auf der anderen Seite des Platzes, fielen die Ordenssoldaten wie die Fliegen, als irgend etwas ihre Reihen niedermähte. Fast hätte man meinen können, eine einzige Klinge strecke sie zu Hunderten nieder und reiße sie mit blutrünstigem Ingrimm in Stücke. Doch wer steckte dahinter?
Zum Stehenbleiben und Sichwundern war keine Zeit. Richard und seine Männer mußten zur Seite abschwenken, um sich dort den Soldaten entgegenzuwerfen, die den vernichtenden Zauber überlebt hatten. Jetzt, da ihre Reihen derart dezimiert waren, waren die Ordenstruppen außerstande, einen wirkungsvollen Angriff auf die Beine zu stellen. Ihr Ansturm fiel unter den Klingen von Richards Kriegern in sich zusammen.
Noch während die Kämpfe tobten, raste weiteres todbringendes Feuer heran, um all jene abzufangen, die zu fliehen oder sich zu einem Gegenangriff zu massieren versuchten. Andernorts gingen Soldaten zu Boden, ohne auch nur von Richard oder seinen Männern berührt zu werden; keuchend faßten sie sich, erkennbar unter ungeheuren Schmerzen, an die Brust und brachen tot zusammen.