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Kurz darauf senkte sich eine unheimliche Stille über den Morgen, unterbrochen nur vom leisen Stöhnen der Verwundeten. Richards Männer scharten sich um ihn, unsicher, was soeben geschehen war, voller Sorge, daß das, was diesen Kriegern widerfahren war, sich plötzlich gegen sie richten könnte. Richard wurde bewußt, daß sie den Angriff des Zaubererfeuers und die Magie mit anderen Augen sahen als er; ihnen mußte es wie ein erlösendes Wunder erschienen sein.

In der Nähe eines Gebäudes an der Seitenfront des freien Platzes erblickte Richard zwei Gestalten, eine beträchtlich größer als die andere. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er sie zu erkennen, vermochte aber beim besten Willen nicht festzustellen, wer die beiden waren. Eine Hand auf Toms Schulter gestützt, steuerte er auf die beiden zu.

»Richard, mein Junge«, begrüßte ihn Nathan, nachdem er es bis zu ihm geschafft hatte. »Ich bin erfreut zu sehen, daß du wohlauf bist.«

Ann setzte ihr verschmitztes Lächeln auf, aus dem Freude und Zufriedenheit sprach, gepaart mit einer gewissen Portion verständnisvoller Nachsicht.

»Ich bezweifle, daß ihr auch nur ahnt, wie froh ich bin, euch zu sehen«, sagte Richard, der noch immer nach Atem rang und dabei versuchte, nicht zu tief Luft zu holen. »Aber was tut ihr hier? Wie in aller Welt habt ihr mich gefunden?«

Nathan, ein schlaues Lächeln auf den Lippen, beugte sich vor. »Die Prophezeiungen, mein Junge.«

Er trug hohe Schaftstiefel, dazu ein weißes Rüschenhemd mit Weste sowie ein elegantes grünes, an seiner rechten Schulter befestigtes Cape. Der Prophet machte eine ziemlich gute Figur darin.

In diesem Moment bemerkte Richard, daß Nathan ein vortreffliches Schwert in einer polierten Lederscheide trug. Es kam ihm überaus merkwürdig vor, daß ein Zauberer, der über Zaubererfeuer gebot, mit einem Schwert bewaffnet war; sein Unbehagen nahm noch zu, als er ihn die Waffe plötzlich ziehen sah.

Ann entfuhr ein überraschtes Keuchen, als plötzlich jemand hinter dem Gebäude hervorsprang und sie packte. Es war eine der Stadtbewohnerinnen, die sich auf dem Platz versammelt hatten, um die Soldaten zu beschützen, eine abgehärmt aussehende Frau mit finsterer Miene und einem langen Messer in der Hand.

»Ihr Mörder!«, geiferte sie, daß ihr glattes Haar von einer Seite auf die andere geschleudert wurde. »Ihr seid erfüllt von Haß!«

Der Boden rings um Ann und diese Frau wölbte sich, Erdbrocken und Grasstücke flogen in die Luft. Ann, die Hexenmeisterin, versuchte offenbar, sich ihrer Angreiferin zu erwehren, doch die war damit nicht zu beeindrucken. Nathan, etwas seitlich neben Ann, warf sich sofort dazwischen und durchbohrte die Frau ohne großes Federlesens mit dem Schwert. Ann starrte auf die tote Frau hinunter, ehe sie Nathan mit mißbilligendem Blick musterte. »Flott bist du, das muß man dir lassen.«

Nathan schmunzelte über ihren privaten Scherz. »Ich sagte doch, sie sind immun gegen Magie.«

»Nathan«, warf Richard ein, »ich verstehe noch immer nicht ...«

»Komm her, meine Teure«, unterbrach ihn Nathan, drehte sich um und machte ein Zeichen. Sogleich kam Jennsen hinter dem Gebäude hervorgelaufen und schlang ihre Arme um Richard.

»Ich bin so froh, daß du wohlauf bist«, sagte sie. »Du bist hoffentlich nicht böse auf mich. Gerade warst du mit den Männern aufgebrochen, da tauchte Nathan plötzlich im Wald auf. Ich hab ihn sofort wiedererkannt – aus dem Palast des Volkes in D’Hara. Ich wußte, er ist ein Rahl, also habe ich ihm unsere Situation geschildert. Er und Ann haben sofort ihre Hilfe angeboten, und dann sind wir so schnell es ging hierher geeilt.«

Jennsen sah Richard abwartend in die Augen, bis er ihr schließlich mit einer Umarmung ihre Besorgnis nahm.

»Das hast du ganz richtig gemacht«, erklärte er. »Du hast in einer unvorhersehbaren Situation deinen Verstand gebraucht.«

Jetzt, da der Höhepunkt des Gefechts vorüber war, fühlte er sich schwindliger als je zuvor – so sehr, daß er sich bei Tom aufstützen mußte.

Nathan legte Richards anderen Arm über seine Schulter. »Wie ich höre, hast du Schwierigkeiten mit deiner Gabe. Vielleicht kann ich dir helfen.«

»Dafür ist keine Zeit. Nicholas der Schleifer hat Kahlan in seiner Gewalt. Ich muß sie finden, sonst ...«

»Spiel nicht den Narren«, fiel Nathan ihm ins Wort. »Deine Gabe wieder ins Lot zu bringen wird nicht lange dauern. Du brauchst die Hilfe eines Zauberers, um wieder über sie verfügen zu können – so wie letztes Mal, als ich dir geholfen habe –, oder du wirst überhaupt niemandem mehr helfen können. Komm jetzt, wir bringen dich in eines dieser Häuser, wo es ruhig ist. Dann kann ich dich wenigstens von dieser einen Sorge erlösen.«

Natürlich wußte er, daß Nathan Recht hatte. Er hätte vor Erleichterung weinen mögen, daß ihm endlich jemand half. Wer, wenn nicht ein Zauberer, konnte ihm helfen, seine Gabe wieder unter Kontrolle zu bekommen?

Richard hatte auf eine solche Gelegenheit nicht einmal mehr zu hoffen gewagt. »Aber beeil dich bitte«, bat er Nathan.

Nathan setzte das ihm eigene, typisch rahlsche Lächeln auf. »Komm jetzt. Deine Gabe wird im Handumdrehen wiederhergestellt sein.«

»Danke, Nathan«, murmelte Richard, während er sich von dem hünenhaften Propheten durch eine nahe Tür helfen ließ.

60

Nathan war es gewesen, der Richard damals über seine Gabe aufgeklärt hatte, der ihm erklärt hatte, daß Kriegszauberer wie Richard nicht wie gewöhnliche Zauberer waren. Statt das Energiezentrum in ihrem Innern anzuzapfen, steuerten sie ihren Willen über ihre Gefühle.

Es war ihm nicht leicht gefallen, diese Vorstellung zu begreifen. Nathan war es auch gewesen, der Richard erklärt hatte, seine Kraft funktioniere über seinen Zorn.

»Verliere dich in meinen Augen«, forderte Nathan ihn mit ruhiger Stimme auf.

Richard wußte, er mußte versuchen, seine Sorge um Kahlan abzustreifen.

Bemüht, so gleichmäßig wie möglich zu atmen, um nicht husten zu müssen, blickte er in Nathans himmelblaue Augen. Nathans Blick schien ihn in sich hineinzuziehen; es war als stürze er nach oben in einen wolkenlosen, blauen Himmel. Sein Atem ging in abgehackten Stößen, und das ganz ohne sein Zutun. Er spürte Nathans gebieterische Worte mehr, als daß er sie hörte.

»Rufe den Groll herbei, Richard. Rufe deinen Zorn herbei. Rufe deinen Haß und deine Wut.«

Ihm drehte sich der Kopf. Er konzentrierte sich darauf, seinen Ärger herbeizurufen, dachte an Nicholas, der Kahlan in seiner Gewalt hatte, und hatte keine Mühe, seinen Zorn abzurufen.

Er spürte eine zweite Kraft innerhalb seiner eigenen, so als sei er im Begriff zu ertrinken, während jemand anderes versuchte, seinen Kopf über Wasser zu halten.

Plötzlich trieb er allein an einem dunklen, stillen Ort. Zeit schien jede Bedeutung verloren zu haben.

Er mußte rechtzeitig zu Kahlan gelangen; er war ihre einzige Hoffnung.

Richard schlug die Augen auf. »Tut mir leid, Nathan, aber...«

Nathan war schweißgebadet. Ann, die neben ihm saß, hielt seine linke Hand, Nathan seine rechte. Richard fragte sich, was geschehen sein mochte.

Er sah von einem Gesicht zum anderen. »Was ist passiert?«

Die beiden machten ein betrübtes Gesicht. »Wir haben alles versucht«, sagte Nathan leise. »Es tut mir leid, aber wenigstens haben wir es versucht.«

Richard runzelte die Stirn. Sie hatten doch erst vor wenigen Augenblicken angefangen.

»Was soll das heißen? Wieso gebt ihr schon so schnell auf?«

Nathan warf Ann einen Seitenblick zu. »Wir sind bereits seit zwei Stunden dabei, Richard.«

»Zwei Stunden?«

»Ich fürchte, ich kann nichts mehr für dich tun, Junge.« Der Klang seiner Stimme ließ keinen Zweifel daran, daß es ihm ernst war.

Richard fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Aber was redest du da? Du selbst hast mir letztes Mal, als ich dieses Problem hatte, erklärt, es ließe sich bei einer Sitzung mit einem Zauberer wieder richten. Du sagtest, für einen Zauberer wäre es eine Kleinigkeit, diese Entfremdung von der Gabe zu beheben.«