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»So sollte es eigentlich auch sein. In deinem Fall jedoch hat sich die Gabe zu einem Knoten verschlungen, der dich innerlich zu erdrosseln droht.«

»Aber du bist doch ein Prophet, ein Zauberer; Ann, du bist Hexenmeisterin. Ihr beide zusammen wißt wahrscheinlich mehr über Magie als irgend jemand sonst in den letzten paar tausend Jahren.«

»Richard, seit dreitausend Jahren ist niemand mehr geboren worden, der so ist wie du. So viel wissen wir also gar nicht über die Funktionsweise deiner speziellen Spielart der Gabe.« Ann unterbrach sich, um ein paar verirrte graue Haarsträhnen in den Dutt an ihrem Hinterkopf zu stecken. »Wir haben es versucht, Richard. Ich schwöre es, wir haben beide unser Bestes gegeben. Selbst wenn ich seine Kraft mit Hilfe meines Talents unterstütze, sind Nathans Möglichkeiten, dir zu helfen, mit deiner Gabe überfordert. Was wir auch versucht haben, es hat nichts genützt. Wir können dir nicht helfen.«

»Was soll ich also tun?«

Nathan wandte seine tiefblauen Augen ab. »Deine Gabe ist im Begriff, dich umzubringen, Richard. Die Ursache dafür ist mir nicht bekannt, ich fürchte aber, sie ist bereits in eine Phase eingetreten, in der sie nicht mehr zu beherrschen und damit tödlich ist.«

Richards Blick ging von einem bestürzten Gesicht zum anderen. »Schätze, im Grunde spielt es ohnehin keine Rolle mehr«, meinte er schließlich bedrückt.

Nathan runzelte die Stirn. »Was soll das heißen, es spielt keine Rolle mehr?«

Richard erhob sich und tastete mit der Hand nach der Wand, um sich daran abzustützen. »Ich bin vergiftet worden. Das Gegenmittel wurde vernichtet ... es besteht keine Hoffnung mehr auf Heilung. Ich fürchte, meine Zeit ist abgelaufen. Welch eine Ironie auf Kosten meiner Gabe – etwas anderes wird mich zuerst umbringen.«

Ann stand auf und faßte ihn mit beiden Händen an den Oberarmen. »Richard, im Augenblick können wir dir nicht helfen, aber du könntest dich doch wenigstens ausruhen. Wir wissen nicht, was mit deiner Gabe aus dem Lot geraten ist, aber wir können daran arbeiten. Deshalb brauchen wir dich hier, damit wir deine Kraft sofort wieder richten können, sobald wir eine Lösung gefunden haben.«

»Aber begreift Ihr nicht? So lange werde ich gar nicht mehr leben. Das Gift ist im Begriff, mich umzubringen. Dieser Prozeß verläuft in drei Phasen, in deren dritte – den Verlust der Sehkraft – ich im Moment gerade eintrete. Ich habe nicht mehr lange zu leben; deshalb muß ich die mir noch verbliebene Kraft nutzen, um Kahlan zu finden. Ich bin nicht mehr imstande, euch anzuführen, aber wenn es mir gelingt, sie aus Nicholas’ Gewalt zu befreien, wird sie den Kampf an meiner statt anführen können.«

»Demnach weißt du, wo sie sich befindet?«, fragte Nathan.

»Ja, ich glaube schon.«

Richard riß die Tür auf. Cara, die unmittelbar davor gewartet hatte, war augenblicklich auf den Beinen, doch ihre erwartungsvolle Miene fiel rasch in sich zusammen, als ihr sein Kopfschütteln zu verstehen gab, daß der Versuch fehlgeschlagen war.

»Wir müssen aufbrechen, sofort. Ich glaube jetzt zu wissen, wohin Nicholas Kahlan gebracht hat. Wir müssen uns beeilen.«

»Du glaubst es zu wissen?«, fragte Jennsen ungläubig.

»Ja, durch Nathans Hilfe. Wir müssen sofort aufbrechen.«

»Und, wo ist sie?«, hakte Jennsen nach.

Richard gestikulierte ungeduldig. »Owen, erinnerst du dich noch, wie du uns von einem befestigten Lager erzählt hast, eingerichtet von den Truppen der Imperialen Ordnung unmittelbar nach ihrem Überfall auf Bandakar, als sie noch um ihre Sicherheit besorgt waren?«

»Ja, es liegt ganz in der Nähe meines Heimatortes.«

Richard nickte. »Genau. Ich denke, dorthin hat er sie gebracht. Der Ort ist gut gesichert, schließlich wurde er als Lager für einen Teil der verschleppten Frauen angelegt. Dort gibt es genügend Soldaten für seine persönliche Sicherheit, darüber hinaus wurde er eigens so angelegt, daß er sich verteidigen läßt, wodurch eine Annäherung erheblich schwieriger sein dürfte als bei seinem Sitz hier in der Stadt.«

»Wie sollen wir uns ihm dann überhaupt nähern?«, fragte Jennsen.

»Das werden wir uns überlegen müssen, sobald wir dort sind und das Lager vor uns sehen.«

Nathan kam zu Richard an die Tür. »Ann und ich werden dich begleiten; vielleicht können wir dir ja helfen, Kahlan aus der Gewalt des Schleifers zu befreien. Vor allem aber können wir auf dem Weg dorthin an einer Lösung zur Entwirrung deiner Gabe arbeiten.«

Richard legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte sie dankbar. »In diesem Land sind Pferde unbekannt. Wenn ihr gut zu Fuß seid und mit uns Schritt halten könnt, seid ihr herzlich willkommen, aber ich kann mir nicht erlauben, euretwegen ein langsameres Tempo anzuschlagen. Ich vermute, daß Nicholas sie nicht lange dort festhalten wird; und sobald er Rast gemacht und Vorräte gefaßt hat, wird er das Land verlassen und noch schwieriger aufzustöbern sein.«

Nathan schlug enttäuscht die Augen nieder; Ann tröstete ihn. »Wir sind zu alt, um mit euch jungen Leuten Schritt zu halten. Komm zurück, sobald du sie aus der Gewalt des Schleifers befreit hast, dann versuchen wir, dir nach besten Kräften zu helfen. Bis du wieder zurück bist, haben wir bestimmt eine Lösung gefunden.«

Solange würde er gar nicht mehr leben, es hatte aber keinen Sinn, dies immer wieder zu betonen. »In Ordnung. Was weißt du über diese Schleifer?«

Nathan rieb sich nachdenklich mit dem Daumen übers Kinn, während er über die Frage nachdachte. »Schleifer sind Seelenräuber; es gibt keinen wirklichen Schutz gegen sie. Selbst ich wäre ihnen machtlos ausgeliefert.«

Das bedurfte nach Richards Ansicht keiner weiteren Erklärung. »Cara, Jennsen, Tom, ihr könnt mich begleiten.«

»Und was ist mit uns?«, wollte Owen wissen.

Owen und seine Gefährten hatten tapfer gekämpft; und wenn er Kahlan wirklich befreien wollte, würde er zumindest ein paar Helfer brauchen.

»Eure Hilfe ist mir hochwillkommen.«

Er wandte sich bereits zum Gehen, als Nathan ihn am Ärmel festhielt. »Soweit mir bekannt ist, besitzt du keinerlei Schutz gegen Seelenräuber, ich erinnere mich jedoch an ein Detail, über das ich in einem der alten Folianten in den Gewölbekellern des Palasts der Propheten gelesen habe.«

»Ich bin ganz Ohr.«

»Offenbar verlassen sie, indem sie ihre Seele auf Wanderschaft schicken, bisweilen ihren Körper ...«

Richard massierte seine Stirn mit den Fingerspitzen, während er sich Nathans Bemerkung durch den Kopf gehen ließ. »Das muß es sein; bestimmt hat er mich auf diese Weise beobachtet und meine Spur verfolgt – vermutlich mit den Augen einer hier sehr verbreiteten Vogelart, den sogenannten schwarz gezeichneten Riesenkrähen. Wenn es stimmt, was du sagst, verläßt er möglicherweise zu diesem Zweck wieder seinen Körper.« Richard sah hoch zu Nathan. »Nur, wie sollte mir das nützen?«

Nathan beugte sich noch weiter vor, neigte den Kopf zur Seite und musterte ihn mit einem azurblauen Auge. »Während dieser Zeit, wenn sie sich außerhalb ihres Körpers befinden, sind sie verwundbar.«

Richards Hand lag auf dem Griff seines Schwertes, als er fragte: »Irgendeine Idee, wie man ihn außerhalb seines Körpers erwischen kann?« Er ließ sein Schwert wieder zurückfallen.

Nathan richtete sich wieder auf. »Ich fürchte nein.«

Richard dankte ihm trotzdem mit einem Nicken, dann trat er zur Tür hinaus. »Owen, wie weit ist es bis zu diesem befestigten Lager?«

»Es liegt kurz vor der Stelle, wo der Pfad früher in das Grenzgebiet hineinführte.«

Deswegen hatte er es also nicht bemerkt; sie waren über die alte Strecke gekommen, die einst auch Kaja-Rang benutzt hatte. Der Weg dorthin würde gut eine Woche in Anspruch nehmen; nur hatten sie nicht einmal annähernd so viel Zeit.

Er betrachtete die ihm entgegenblickenden Gesichter. »Nicholas hat einen beträchtlichen Vorsprung, zudem dürfte er es eilig haben, mit seinem Fang zu entkommen. Wenn wir ein forsches Tempo anschlagen und keine längeren Ruhepausen einlegen, besteht dennoch eine gute Chance, ihn noch vor Erreichen des Lagers einzuholen. Aber wir müssen sofort aufbrechen.«