»Komm zurück, wohin du gehörst«, sprach er mit leiser Stimme auf sie ein.
In der Absicht, ihr den Weg zu weisen, ließ er das Zentrum seiner Kraft durch ihren Körper wandern. Es war, als tastete er sich mittels des Lichts seines tief im Innern verborgenen Talents durch völliges Dunkel. Die genaue Wirkungsweise hätte er nicht beschreiben können, trotzdem gelang es ihm, sein Wollen, sein Streben, bewußt zu bündeln.
»Komm zu mir zurück, Kahlan. Ich bin hier.«
Kahlan keuchte. Trotz ihres noch immer schlaffen Körpers spürte er in seinen Armen ihre frisch erwachte Lebenskraft. Wieder schnappte sie nach Atem, so als wäre sie um ein Haar ertrunken und gierte jetzt nach Luft.
Endlich spürte er eine Bewegung in seinen Armen; ihre Glieder bewegten sich tastend, tappend. Blinzelnd schlug sie die Augen auf, schaute hoch und ließ sich erstaunt wieder in seine Arme zurücksinken.
»Richard ... ich konnte dich hören. Ich war so allein. Bei den Gütigen Seelen! Ich wußte nicht mehr ein noch aus ... dann hörte ich plötzlich Nicholas’ Schrei. Ich fühlte mich so verloren und allein. Ich wußte nicht, wie ich zurückkehren sollte. Dann, plötzlich, habe ich dich gespürt.«
Sie klammerte sich so fest an ihn, als wollte sie ihn nie wieder hergeben.
»Du hast mir den Weg gewiesen und mich aus der Dunkelheit zurückgeholt.«
Richard betrachtete sie lächelnd. »Ich bin ein Waldführer, schon vergessen?«
Sie sah ihn verwundert an. »Wie hast du das nur gemacht?« Ihre wunderschönen grünen Augen weiteten sich hoffnungsvoll. »Richard, deine Gabe ...«
»Das Problem mit meiner Gabe habe ich gelöst. Kaja-Rang höchstselbst hat mir die Lösung verraten. Eigentlich kannte ich sie schon die ganze Zeit, nur war ich mir dessen nicht bewußt. Mit meiner Gabe steht alles wieder zum Besten, und auch die Magie des Schwertes gehorcht mir wieder. Ich war so mit Blindheit geschlagen, daß ich gar nicht weiß, ob ich dir das alles überhaupt erzählen will.«
Richards Atem stockte; unfähig, den Reiz länger zu unterdrücken, bekam er einen Hustenanfall. Nicht einmal sein schmerzverzerrtes Gesicht konnte er verbergen.
Erschrocken faßte Kahlan ihn bei den Armen. »Das Gegenmittel – was ist mit dem Gegenmittel passiert! Ich hatte Owen doch gebeten, es dir zu bringen. Hast du es etwa nicht bekommen?«
Richard, gepackt von einem neuerlichen Hustenanfall, schüttelte den Kopf; der Schmerz schien ihn innerlich zu zerreißen. Endlich kam er wieder zu Atem. »Nun, das ist zugegebenermaßen ein Problem. In dem Fläschchen befand sich nicht das Gegenmittel, sondern nur Wasser, mit ein wenig Zimt versetzt.«
Kahlans Gesicht wurde leichenblaß. »Aber ...« Ihr Blick ging zu Nicholas’ Körper, zu seinem Kopf der am Ende einer blutigen, quer über den Fußboden reichenden Spur auf der Seite lag.
»Wie sollen wir jetzt, da Nicholas tot ist, an das Gegenmittel kommen. Richard?«
»Es existiert überhaupt kein Gegenmittel. Nicholas wollte meinen Tod, mit allen Mitteln. Vermutlich hat er es schon vor langer Zeit vernichtet. Und um dich in seine Gewalt zu bekommen, hat er dir dann eine Fälschung ausgehändigt.«
Die Freude auf ihrem Gesicht wich blankem Entsetzen.
»Aber ohne das Gegenmittel ...«
64
»Wir haben im Augenblick keine Zeit, um uns den Kopf über das Gift zu zerbrechen«, erklärte Richard, während er ihr auf die Beine half.
Keine Zeit? Sie sah, wie er unsicheren Schritts zur anderen Seite des Raumes hinüberwankte und dort ungeschickt nach dem Fenstersims tastete, um sich festzuhalten.
An der kleinen Fensteröffnung in der äußeren Umwallung der Festungsanlage gab er mit dem hohen, hellen Pfeifen des gemeinen Fliegenschnäppers ein Zeichen – es war das Pfeifen, das Cara für das des legendären kurzschwänzigen Föhrenhabichts hielt.
»Ich habe eine Pfahlleiter benutzt«, erläuterte er. »Cara ist bereits auf dem Weg hierher.«
Kahlan wollte zu ihm hingehen, doch ihr Körper fühlte sich beängstigend fremd an. Steifbeinig legte sie ein paar unbeholfene Schritte zurück; sie kam sich in ihrem eigenen Körper wie eine Fremde vor. Es erschien ihr fremd, selbst atmen, mit ihren eigenen Augen sehen, mit ihren eigenen Ohren hören zu müssen. Die Berührung der Kleidungsstücke auf ihrer Haut war ungewohnt, fast lästig.
Richard reichte ihr die Hand, um sie zu stützen. Bei aller Unsicherheit fand sie, daß sie immer noch sicherer auf den Beinen stand als er.
»Wir werden uns den Weg nach draußen freikämpfen müssen, aber zumindest haben wir ein wenig Unterstützung. Du bekommst das erste Schwert, das mir in die Finger fällt.«
»Richard, ich ... bin es noch nicht wieder gewöhnt, in meinem Körper zu sein. Ich glaube, ich bin noch nicht so weit, daß ich da hinaus gehen kann.«
»Uns wird kaum etwas anderes übrig bleiben; wir müssen von hier fort. Versuch, dich langsam wieder einzugewöhnen, ich werde dir dabei helfen.«
»Du kannst doch selbst kaum laufen.«
Cara, am oberen Ende der Pfahlleiter, die Richard zurechtgeschnitten hatte, war gerade dabei, ihren Oberkörper durch die kleine Fensteröffnung nach drinnen zu zwängen. Auf halbem Weg klappte ihr vor entzücktem Staunen der Unterkiefer herunter. »Mutter Konfessor – Lord Rahl hat es tatsächlich geschafft.«
»Ihr braucht gar nicht so überrascht zu tun«, murrte Richard, während er die Mord-Sith vollends nach innen zog.
Cara hatte von dem ausgestreckt am Boden liegenden Toten kaum Notiz genommen, als Kahlan sie bereits in die Arme schloß.
»Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, Euch zu sehen«, rief Cara.
»Und Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie froh ich bin, Euch mit meinen eigenen Augen zu sehen.«
»Ich wünschte nur, Euer Tausch hätte funktioniert«, setzte Cara bedrückt hinzu.
»Wir werden eine andere Möglichkeit finden«, beruhigte Kahlan sie.
Richard zog die Tür behutsam einen Spalt weit auf und spähte hinaus, ehe er sie wieder schloß und sich herumwandte.
»Die Luft ist rein. Die Türen auf der linken Seite und rings um die Galerie führen zu den Zimmern, in denen die Frauen gefangen gehalten werden. Die nächste nach unten führende Treppe befindet sich gleich rechts. Einige Zimmer im unteren Geschoß sind Offizieren vorbehalten, die übrigen Räumlichkeiten dienen den einfachen Soldaten als Quartier.«
Cara nickte. »Ich bin bereit.«
Kahlan sah fragend von einem zum anderen. »Bereit wofür?«
Richard nahm sie beim Ellenbogen beiseite. »Du mußt mir sehen helfen.«
»Dir sehen helfen? So weit ist die Vergiftung bereits fortgeschritten?«
»Hör einfach zu. Wir werden nach links die Galerie entlang gehen und dabei sämtliche Türen öffnen. Versuch nach Möglichkeit; die Frauen ruhig zu halten; wir werden sie aus diesem Gefängnis befreien.«
Dies alles war für Kahlan leicht verwirrend – denn es unterschied sich völlig von den Plänen, die sie in Nicholas’ Begleitung gehört hatte. Aber sie hatte keine Wahl, sie würde sich einfach Richards und Caras Führung anvertrauen müssen.
Draußen auf der einfachen, aus Planken zusammengezimmerten Galerie gab es weder Lampen oder Fackeln. Mittlerweile hatte sich der Mond hinter das tiefschwarze, langgestreckte Massiv des Gebirges zurückgezogen. Während sie sich in Nicholas’ Gewalt befunden hatte, hatte ihre Wahrnehmung dem Blick durch eine verschmutzte, wellige Glasscheibe geglichen, so daß ihr der funkelnde Sternenhimmel in diesem Moment so prachtvoll wie nie zuvor erschien. Im Schein der Sterne konnte Kahlan ein paar einfache Gebäude ausmachen, die sich an der äußeren Umwallung des befestigten Lagers entlangzogen.
Unterdessen liefen Richard und Cara über die Galerie und stießen Türen auf, worauf Cara kurz in jedem Zimmer verschwand. Während einige Frauen nur mit dem Nachthemd bekleidet ins Freie traten, hörte Kahlan andere drinnen hastig irgendwelche Kleidungsstücke überstreifen. Aus einigen Zimmern drang Kindergeschrei.