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Kaum war Cara in einem Zimmer verschwunden, stieß Richard bereits die nächste Tür auf. Zu Kahlan sagte er mit gedämpfter Stimme: »Geh hinein und erkläre den Frauen, daß wir hier sind, um ihnen zur Flucht zu verhelfen. Sag ihnen, daß ihre Männer hier sind, um sie zu holen: aber sie müssen so leise sein wie möglich, sonst werden wir womöglich noch gefaßt.« So gut ihre unsicheren Beine es zuließen, stürzte Kahlan ins nächste Zimmer.

Kahlan vernahm das unverwechselbare Klirren von Stahl, als Richard sein Schwert zog. Mittlerweile stürzten aus etlichen Türen Soldaten hervor, um den beiden den Weg abzuschneiden. Offenbar gewohnt, mit diesen Leuten fertig zu werden, waren die Soldaten, die sich auf Richard stürzten, nicht sonderlich besorgt, er könnte sich ernsthaft zur Wehr setzen. Das sollte sich als fataler Irrtum erweisen!

Die gellenden Schreie der zu Boden gehenden Männer rissen das gesamte Lager aus dem Schlaf. Aus den Soldatenquartieren im Untergeschoß stürmten, Hemd und Hose erst halb übergestreift, Soldaten hervor, im Schlepptau ihre Waffengurte.

Im matten Sternenlicht drüben bei der Zugbrücke erspähte Kahlan Richard, der soeben zu einem mächtigen Schlag ausholte. Ein Funkenregen stob quer über den Palisadenwall, als er eine der schweren Ketten, die das Gatter hielt, durchtrennte. Sofort eilte er hinüber zur anderen Seite, um die Kette dort ebenfalls durchzuschlagen; zwei Ordenssoldaten holten ihn ein, die er jedoch mit einer einzigen fließenden Bewegung niederstreckte.

Während Cara jeden niederschlug, der sich auf Richard stürzen wollte, holte er abermals aus; Sekunden später war die Luft erfüllt von glühend heißen Stahlsplittern und dem scheppernden Geräusch zerreißenden Metalls. Unter lautem Ächzen begann das Tor sich langsam nach außen zu senken, bis es schließlich mit einem weithin hörbaren Krachen in einer gewaltigen Staubwolke auf den Boden knallte.

Schlagartig erhob sich Gebrüll, als die draußen wartenden Männer Schwerter, Äxte und Keulen schwingend über die zerstörte Zugbrücke ins Innere der Festung stürmten. Die Ordenssoldaten warfen sich den Eindringlingen entgegen, so daß es zu einem gewaltigen Zusammenprall von Männern und Waffen kam.

In diesem Moment gewahrte Kahlan, daß einige Soldaten die Treppe auf der anderen Seite der Galerie heraufstürmten.

»Lauft los!«, brüllte Kahlan all den Frauen zu, die sie aufgeweckt hatte, »wir müssen hier raus, sofort!«

Eine Hand am Geländer, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, hastete sie die Stufen hinunter, hinter sich eine wahre Flut von Frauen, nicht wenige mit ihren schreienden Säuglingen auf dem Arm. Am Fuß der Treppe kam Richard ihr bereits entgegen und warf ihr ein Kurzschwert mit gewickeltem Lederheft zu. Sie bekam es am Griff zu fassen, gerade noch rechtzeitig, um sich herumzudrehen und einen unter der Galerie hervorstürzenden Soldaten abzuwehren.

Unterdessen hatte sich auch Owen einen Weg durch das Gemetzel zu den Frauen gebahnt. »Kommt schon!«, rief er ihnen zu. »Zum Tor. Lauft!«

Von seinem Kommando ermutigt, setzten die Frauen zu einem Sturmlauf quer über das Lagergelände an. Als sie den Schauplatz des Gefechts erreichten, ergriffen einige von ihnen die Gelegenheit, sich, statt weiter auf das Tor zuzuhalten, hinterrücks auf die mit Owens Gefährten kämpfenden Soldaten zu werfen, sie mit Bissen in den Hals und Schlägen auf den Kopf zu traktieren oder ihnen die Augen auszukratzen. Die Ordenssoldaten erwehrten sich ihrer mit brutaler Hemmungslosigkeit, so daß mehrere von ihnen auf barbarische Weise zu Tode kamen – was die anderen jedoch nicht davon abhielt, sich ebenfalls in das Getümmel zu werfen.

Wären sie nur zum Tor gelaufen, hätten sie entkommen können, statt dessen fielen sie mit bloßen Händen über die Soldaten her. Lange, viel zu lange, waren sie diesen Männern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert gewesen. Kahlan vermochte sich kaum vorzustellen, was sie durchgemacht haben mußten, und konnte ihnen wahrlich keinen Vorwurf machen. Noch immer bereitete ihr jede Bewegung Mühe, weigerte sich ihr Körper, ihr zu gehorchen, sonst hätte sie sich mitten unter sie gemischt.

Auf einen wilden Schrei hin fuhr Kahlan herum – nur um einen Soldaten auf sie zustürzen zu sehen. Sie erkannte die Nase sofort wieder: Najari, Nicholas’ rechte Hand. Mit einem häßlichen Grinsen wollte er sich soeben auf sie werfen.

Geistesgegenwärtig zog sie ihr Kurzschwert hinter dem Rücken hervor und rammte es ihm in den Leib. Sein größter Wunsch, von Nicholas fest versprochen, würde ihm für immer verwehrt bleiben.

Gleich darauf wandte sich Kahlan wieder dem übrigen Kampfgeschehen zu. Richard war soeben damit beschäftigt, sich einen Weg durch eine Horde gegnerischer Krieger freizuschlagen, die ihn bei dem Versuch, das Tor freizuhalten, umzingelt hatten, während gleichzeitig andere Krieger, Richards eigene Leute, diese von hinten attackierten und, wie er es ihnen beigebracht hatte, einen Keil zwischen sie trieben.

Dann erblickte sie nicht weit entfernt Owen. Er stand inmitten der Gefallenen und Kämpfenden unter freiem Himmel und starrte über das Kampfgetümmel hinweg zu einem Mann hinüber, der unmittelbar vor einer der Türen unter der Galerie stand.

Der Kerl hatte einen schwarzen Bart und einen kahlgeschorenen Schädel, außerdem trug er einen Ring, der von einem Nasenflügel bis zum Ohr reichte. Seine Arme waren mächtig wie Baumstämme, seine Schultern doppelt so breit wie Owens.

»Luchan«, stieß er leise hervor.

Owen rannte los, quer über das unbebaute Gelände innerhalb des befestigten Lagers, vorbei an kämpfenden Männern, an schreienden Verwundeten, vorbei an durch die Luft sirrenden Schwertern und Äxten, für die er nicht einmal einen kurzen Blick zu erübrigen schien. Seine Augen waren wie gebannt auf jenen Mann gerichtet, der ihn bereits kommen sah.

Im dunklen Türeingang hinter Luchans Rücken erschien das Gesicht einer jungen Frau. Er fuhr herum und schrie sie an, sich wieder nach drinnen zu verziehen, mit dem schmächtigen Kerl aus ihrem Dorf werde er schon selber fertig werden.

Als Luchan sich wieder herumwandte, stand Owen bereits vor ihm. Lachend stemmte der Söldner seine Fäuste in die Hüfte und höhnte: »Wieso verkriechst du dich nicht wieder in dein Loch?«

Owen sagte nichts, sondern fiel einfach – genau wie Richard ihm geraten hatte – völlig unerwartet über ihn her und rammte dem stämmigen Luchan das Messer ein ums andere Mal tief in die Brust, ehe dieser überhaupt Gelegenheit zu reagieren hatte. Er hatte Owen halt unterschätzt – und bezahlte diesen Irrtum nun mit dem Leben.

Sogleich kam die Frau zur Tür herausgestürzt, beugte sich über den leblosen Körper ihres ehemaligen Gebieters und starrte auf ihn hinab, wie er ihr, einen Arm zur Seite ausgestreckt, den anderen quer über seiner blutbesudelten Brust blicklos entgegenstarrte. Dann sah sie hoch zu Owen.

Kahlan vermutete, daß dies Marilee war, und befürchtete, sie würde Owen verstoßen, weil er einen anderen verletzt hatte, dazu noch tödlich.

Doch statt dessen lief sie zu ihm hin und schlang die Arme um ihn.

Gleich darauf riß sie Owen das blutige Messer aus der Hand, kniete neben dem Toten nieder und stach ein halbes Dutzend Mal mit solcher Wucht auf ihn ein, daß die Klinge sich mit jedem Stoß bis zum Heft in dessen Körper bohrte. Ihre unbändige Wut und ihre Tränen ließen keinen Zweifel daran, wie der Kerl sie behandelt hatte.

Als sie ihren Zorn ausgetobt hatte, erhob sie sich wieder und umarmte Owen erneut, diesmal mit tränenverschmiertem Gesicht.

Unterdessen schwärmte aus den Quartieren auf der gegenüberliegenden Seite des freien Geländes soeben eine Horde Krieger hervor und stürmte auf Richard zu. Augenblicklich erkannte Kahlan, daß es zu viele waren; Richards Männer würden diese Flut von Kriegern niemals aufhalten können.

Plötzlich vernahm sie ein ohrenbetäubendes Krachen, als ein greller Lichtblitz die Umwallung des befestigten Lagers aufleuchten ließ. Sie mußte das Gesicht abwenden und sich die Hände schützend vor die Augen halten, als die Nacht zum Tage wurde und gleichzeitig eine Finsternis, schwärzer als jede Nacht, entfesselt wurde.