Выбрать главу

Zweifellos hatte Jagang ihre Beschreibung landauf, landab verbreitet und eine so gewaltige Belohnung ausgesetzt, daß vermutlich nicht einmal seine ärgsten Feinde der Versuchung widerstehen konnten. Für viele in der Alten Welt jedoch war eine Fortdauer des Lebens unter dem barbarischen Regime der Imperialen Ordnung ein zu hoher Preis. Belohnung oder nicht, viele sehnten sich nach einem Leben in Freiheit und waren bereit, für dieses hehre Ziel zu kämpfen.

Ein anderes Problem waren die Bande zwischen dem jeweiligen Lord Rahl und dem Volk D’Haras, denn die uralten, von Richards Vorfahren geschaffenen Bande ermöglichten es D’Haranern, den jeweiligen Aufenthaltsort des Lord Rahl zu spüren. Das Gleiche galt demnach auch für die Imperiale Ordnung, die diese Information schließlich nur aus einem D’Haraner herauszufoltern brauchte. Verweigerte jemand selbst unter Folter diese Auskunft, würden sie gewiß nicht davor zurückschrecken, es so lange mit anderen zu versuchen, bis sie die gewünschte Information erhielten.

Nachdem der einsame Mann den Fuß des Hügels erreicht hatte, bahnte er sich auf dem Grund der ausgewaschenen Felsrinnen weiter seinen Weg. Ein gutes Stück rechts von Richard wirbelten Wagen und Zuggespann eine lange Staubwolke auf. Dem Anschein nach hielt der Mann genau darauf zu.

Aus dieser Entfernung war es nur schwer mit Gewißheit zu sagen, doch Richard bezweifelte, daß es sich bei dem Mann um einen Soldaten handelte. Ein Späher noch dazu in seiner eigenen Heimat, war er vermutlich ebensowenig. Ein Soldat hätte ohnehin kaum Grund, sich in dieses unbewohnte Gebiet zu wagen. Schließlich hatte Richard diesen Weg – erst östlich im Schatten der Berge, dann auf einer nördlicheren Route wieder zurück zu seinem Ausgangspunkt – exakt aus diesem Grund gewählt.

Richard erklomm die Rückseite eines schmalen Felsgrats, drückte sich mit dem Bauch auf den Boden und riskierte einen Blick über den Kamm. Als der Mann näher kam, sah Richard, daß er noch jung war, nicht einmal dreißig. Er wirkte hager und war mitnichten wie ein Soldat gekleidet. Sein unbeholfenes Stolpern ließ vermuten, daß er entweder mit dem Gelände nicht vertraut oder das Wandern einfach nicht gewohnt war. Über loses, scharfkantiges Trümmergestein zu kraxeln war ermüdend, zumal am Hang, wo man nirgendwo festen Boden hatte, der ein gleichmäßiges Ausschreiten erlaubte.

Der Mann blieb stehen, reckte den Hals und spähte zum Wagen hinüber. Keuchend von der Anstrengung des Abstiegs, strich er sich mehrfach das dünne blonde Haar aus dem Gesicht, ehe er den Oberkörper vorbeugte und sich mit einer Hand auf dem Knie abstützte, um zu verschnaufen.

Als er sich wieder aufrichtete, um seinen Weg fortzusetzen, und mit knirschenden Schritten die ausgewaschene Rinne entlangstolperte, ließ Richard sich vom Felsen hinuntergleiten. Das dazwischen liegende Gelände sowie einige mit knorrigen Fichten bewachsene Stellen als Deckung nutzend, blieb er von Zeit zu Zeit stehen, um auf die schweren Schritte und das mühevolle Atmen zu lauschen und sich zu vergewissern, daß seine blinde Schätzung über die Position des Mannes korrekt war.

Hinter einer alleinstehenden Felswand von gut sechzig Fuß Höhe riskierte Richard nochmals einen vorsichtigen Blick. Mittlerweile hatte er sich fast bis an ihn herangeschlichen, ohne daß der Mann seine Anwesenheit bemerkt hätte. Lautlos tastete sich Richard von Baum zu Fels und im Schutz einiger Böschungen vor, bis er ihm ein gutes Stück voraus war und sich genau in seiner Marschrichtung befand.

Regungslos wie ein Stein lauschte Richard hinter einer gedrehten Säule aus rötlichem, aus dem unebenen Boden ragenden Gestein auf das Knirschen der näher kommenden Schritte, auf den japsenden Atem des Mannes, der just über einige Felsbänke in seinem Weg hinwegkletterte. Als er keine sechs Fuß mehr entfernt war trat Richard hinter dem Felsen hervor.

Der Mann erschrak, raffte seinen leichten Reisemantel unter dem Kinn zusammen und wich einen Schritt zurück.

Richard musterte ihn äußerlich ohne Regung, innerlich dagegen stemmte sich die Kraft des Schwertes bedrohlich gegen seinen unterdrückten Zorn. Richard spürte sie einen Moment lang zögern. Da die Magie des Schwertes eine Gefahr nach der Einschätzung seines Gebieters beurteilte, war das kurze Zögern möglicherweise darauf zurückzuführen, daß der schmächtige Mann keine unmittelbare Bedrohung darstellte.

Seine Kleidung – braune Hosen, ein Hemd aus Flachs sowie ein dünner, zerschlissener Cordmantel – hatte schon bessere Tage gesehen. Er schien eine ziemliche beschwerliche Reise hinter sich zu haben – allerdings hatte auch Richard anspruchslose Kleidung angelegt, um keinen Verdacht zu erregen. Der Rucksack des Mannes schien nahezu leer zu sein. Die beiden Wasserschläuche, deren Riemen sich über seiner Brust kreuzten und den dünnen Mantel einschnürten, waren flach und leer. Soweit Richard erkennen konnte, trug er keine Waffen, nicht einmal ein Messer.

Der Mann schwieg abwartend, so als hätte er Angst, als Erster das Wort zu ergreifen.

»Du scheinst zu meinen Freunden zu wollen.« Richard deutete mit dem Kopf zu der feinen Fahne goldfarbenen Staubes hin, der, einem weithin sichtbaren Zeichen gleich, im Sonnenlicht über der bereits dunkel werdenden Ebene stand. Er wollte ihm Gelegenheit geben, sich zu erklären.

Der Fremde, die Augen aufgerissen, die Schultern ängstlich hochgezogen, strich sich mehrfach nervös das Haar aus dem Gesicht. Richard stand vor ihm wie eine Säule aus Stein und versperrte ihm den Weg. Die blauen Augen des Fremden zuckten nach rechts und links, offenbar auf der Suche nach einem Fluchtweg, für den Fall, daß er beschloß, Reißaus zu nehmen.

»Ich tue dir nichts«, sagte Richard. »Ich will lediglich wissen, was du vorhast.«

»Was ich vorhabe?«

»Warum du zu dem Wagen dort drüben willst.«

Er blickte in die Richtung des Wagens, der im Augenblick hinter den schroffen Gesteinsfalten nicht zu sehen war, ehe sein Blick an Richards Schwert entlang und schließlich zu dessen Augen wanderte.

»Ich bin ... auf der Suche nach Hilfe«, erklärte er schließlich.

»Hilfe?«

Er nickte. »Ganz recht. Ich bin auf der Suche nach einem Mann, dessen Handwerk das Kämpfen ist.«

Fragend legte Richard den Kopf auf die Seite. »Demnach suchst du so etwas wie einen Soldaten?«

Schweigen.

Richard zuckte die Schultern. »Bei der Imperialen Ordnung gibt es jede Menge Soldaten. Wenn du weitersuchst, wirst du ohne Zweifel einigen von ihnen begegnen.«

Der Fremde schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin auf der Suche nach dem Mann, der von weit her gekommen ist – aus dem hohen Norden. Dem Mann, der meinem unterdrückten Volk in der Alten Welt die Freiheit bringen und unser aller Hoffnung erfüllen wird, daß die Imperiale Ordnung – der Schöpfer möge ihnen ihre Irrwege verzeihen – aus unserem Leben vertrieben wird, damit wir wieder in Frieden leben können.«

»Tut mir leid«, sagte Richard. »Ein solcher Mann ist mir nicht bekannt.«

Der Fremde schien über Richards Worte nicht enttäuscht zu sein; er schien sie vielmehr ganz einfach nicht zu glauben. Seine feingeschnittenen Gesichtszüge drückten eher Freude aus, auch wenn er nach wie vor nicht überzeugt wirkte.

»Meint Ihr, Ihr könntet«- zögernd streckte er seinen Arm vor und deutete auf den Wasserschlauch -»mir wenigstens einen Schluck zu trinken geben?«

Richard entspannte sich ein wenig. »Selbstverständlich.«

Er streifte den Riemen von der Schulter und warf dem Fremden den Wasserschlauch zu, der ihn auffing, als wäre er aus kostbarem Glas. Er zerrte an dem Verschluß, bis er ihn endlich heraus hatte, und begann, das Wasser in gierigen Schlucken hinunterzustürzen.