Unvermittelt hielt er inne und setzte den Wasserschlauch ab. »Entschuldigt. Ich hatte nicht die Absicht, Euch das ganze Wasser wegzutrinken.«
»Schon gut.« Richard bedeutete ihm, auszutrinken. »Auf dem Wagen habe ich noch mehr. Du siehst aus, als könntest du es gebrauchen.«
Als Richard darauf seine Daumen hinter seinen Gürtel hakte, bedankte sich der Fremde mit einem Nicken und setzte den Wasserschlauch erneut zu einem langen Zug an.
»Wo hast du von diesem Mann, diesem Freiheitskämpfer; gehört?«
Der Fremde setzte den Wasserschlauch wieder ab und legte, ohne Richard auch nur einen Moment lang aus den Augen zu lassen, eine Pause ein, um Luft zu holen. »Man erzählt sich überall von ihm. Die Freiheit, die er hier in der Alten Welt errungen hat, hat uns allen wieder Hoffnung gegeben.«
Richard lächelte angesichts der Tatsache, daß selbst an einem so finsteren Ort wie dem Herzen der Alten Welt die leuchtende Hoffnung auf Freiheit offensichtlich noch nicht gänzlich erloschen war. Offenbar sehnten sich die Menschen überall nach denselben Dingen, nach der Gelegenheit auf ein Leben in Freiheit und der Möglichkeit, sich aus eigener Kraft emporzuarbeiten.
Über ihnen tauchte urplötzlich eine Riesenkrähe auf, die mit weit gespreizten Schwingen über das freie Stück Himmel zwischen den Felshängen zu beiden Seiten glitt. Richard hatte seinen Bogen nicht mitgenommen, aber die Riesenkrähe blieb ohnehin außer Reichweite.
Der Anblick der Riesenkrähe ließ den Fremden zurückschrecken, wie ein Kaninchen, das einen Falken erblickt.
»Tut mir leid, daß ich dir nicht weiterhelfen kann«, sagte Richard, als die Riesenkrähe wieder verschwunden war. Er warf einen prüfenden Blick hinter sich, wo sich, jenseits des nahen Hügels, der Wagen befinden mußte. »Ich bin mit meiner Frau und meiner Familie auf der Suche nach Arbeit – und nach einem Ort, wo wir uns nicht um die Angelegenheiten anderer kümmern müssen.«
»Aber Lord Rahl, mein Volk braucht dringend ...«
Richard fuhr herum. »Was fällt dir ein, mich so zu nennen?«
»Ich ... verzeiht.« Er schluckte trocken. »Ich hatte nicht die Absicht, Euren Zorn zu erregen.«
»Wie kommst du darauf, ich sei dieser Lord Rahl?«
Er machte eine hilflos verlegene Handbewegung, während er stammelnd nach Worten suchte. »Nun, weil Ihr ... weil Ihr es einfach seid. Ich wüßte nicht, wie ich es sonst ausdrücken könnte. Es tut mir leid, wenn ich Euch mit meiner Dreistigkeit beleidigt haben sollte, Lord Rahl.«
Mit einem energischen Schritt trat Cara hinter einer Felssäule hervor.
»Was geht hier vor?«
Dem Fremden blieb vor Überraschung die Luft weg, als er sie plötzlich vor sich stehen sah, er trat noch einen weiteren Schritt zurück und hielt den Wasserschlauch gegen seine Brust gepreßt, als wäre er ein Schild aus Stahl.
Tom, das silberne Messer griffbereit, trat hinter dem Fremden aus einer Felsenrinne und schnitt ihm dem Weg ab, falls er beschließen sollte, denselben Weg zurückzulaufen, den er gekommen war.
Der Fremde drehte sich einmal um seine Achse und sah Tom in drohender Haltung hinter sich stehen. Als er seine Drehung schließlich vollendete und auch noch Kahlan neben Richard erblickte, entfuhr ihm abermals ein erschrockenes Keuchen. Trotz der staubigen Reisekleidung, die sie alle trugen, nahm Richard nicht an, daß sie wie normale Reisende auf Arbeitssuche wirkten.
»Bitte«, sagte der Fremde, »ich habe nichts Böses im Sinn.«
»Immer mit der Ruhe«, sagte Richard mit einem heimlichen Seitenblick auf Cara – seine Worte waren nicht nur auf den Fremden, sondern auch auf die Mord-Sith gemünzt. »Bist du allein?«, wandte er sich wieder an den Fremden.
»Ja, Lord Rahl. Ich bin im Auftrag meines Volkes unterwegs, genau wie ich Euch sagte. Euer Wesen muß man selbstverständlich verzeihen – ich hatte gar nichts anderes erwartet. Ihr sollt wissen, daß ich keinerlei Groll gegen Euch hege.«
»Wie kommt dieser Kerl eigentlich darauf, daß Ihr Lord Rahl seid?«, wandte sich Cara eher vorwurfsvoll denn fragend an Richard.
»Ich hab Leute ihn beschreiben hören«, warf der Fremde ein und deutete mit der freien Hand auf Richards Waffe. »Ihn und dieses Schwert. Ich hab Leute sich über Lord Rahls Schwert unterhalten gehört.« Nach kurzem Zögern traute er sich, auch Kahlan anzusehen. »Und natürlich auch über die Mutter Konfessor«, setzte er mit einer knappen Verbeugung hinzu.
Richard seufzte. »Natürlich.«
Er war ohnehin davon ausgegangen, das Schwert in Gegenwart von Fremden verstecken zu müssen, aber erst in diesem Augenblick wurde ihm so recht bewußt, wie wichtig dies würde, sobald sie in bevölkerte Landstriche gelangten. Das Schwert ließe sich noch vergleichsweise leicht verstecken, nicht aber Kahlan. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, sie in alte Lumpen zu hüllen und als Kranke auszugeben.
Der Fremde beugte sich zögernd vor gab Richard seinen Wasserschlauch zurück und bedankte sich.
»Wie lautet dein Name?«
»Owen.«
»Also gut, Owen, warum begleitest du uns nicht über Nacht in unser Lager? Dort können wir zumindest deinen Wasserschlauch auffüllen, ehe du dich morgen früh wieder auf deinen Weg machst.«
Cara sah Richard mit zusammengepreßten Zähnen an und konnte kaum noch an sich halten. »Warum überlaßt Ihr es nicht einfach mir, ihn zu ...«
»Ich denke, wir alle haben Verständnis für Owens Schwierigkeiten. Er sorgt sich um seine Freunde und seine Familie. Gleich morgen früh kann er wieder seiner Wege gehen.«
Vor allem wollte Richard ihn nicht einfach irgendwo hier draußen im Dunkeln zurücklassen, wo sie ihn nicht so leicht im Auge behalten konnten wie in ihrem Lager. Morgen früh würde man ihn sicher ohne größere Schwierigkeiten daran hindern können, ihnen zu folgen. Cara durchschaute schließlich seine Absicht und beruhigte sich; sie würde, während Richard und Kahlan schliefen, einen Fremden gewiß im Auge behalten wollen.
Kahlan neben sich, machte sich Richard auf den Weg zurück zum Wagen. Owen folgte ihnen, nicht ohne sich immer wieder nach Tom und Cara umzusehen.
10
Richard tauchte die beiden Wasserschläuche Owens auf der Ladefläche des Wagens in das Faß, in dem sich noch ein letzter Wasserrest befand, während Owen, den Rücken an eines der Wagenräder gelehnt, gelegentlich unter Caras zornigen Blicken erwartungsvoll zu ihm hochschaute. Es war nicht zu übersehen, daß Cara den Burschen nicht leiden konnte, was aber in Anbetracht der ausgeprägten Beschützerinstinkte der Mord-Sith nicht zwangsläufig bedeuten mußte, daß dieses Gefühl berechtigt war.
Aus irgendeinem Grund aber mochte auch Richard den Mann nicht sonderlich. Nicht daß er eine regelrechte Abneigung für ihn empfunden hätte, er konnte sich halt nur nicht so recht für ihn erwärmen. Er war höflich und dem äußeren Eindruck nach alles andere als gefährlich, und doch hatte sein ganzes Auftreten etwas, das Richard ... gereizt stimmte.
Tom und Friedrich zerkleinerten das trockene Holz, das sie gesammelt hatten, und fütterten damit das kleine Lagerfeuer, bis der köstliche Duft von Kiefernharz den intensiven Geruch der nahen Pferde überdeckte.
Ab und zu schielte Owen ängstlich zu Cara, Kahlan, Tom oder Friedrich hinüber – mit Abstand am unwohlsten schien er sich jedoch in Jennsens Gegenwart zu fühlen. Obwohl er sich bemühte, nicht zu ihr hinzusehen, und jeden Augenkontakt mied, wurde sein Blick wie magisch ein ums andere Mal von ihren im Schein des Lagerfeuers leuchtenden Haaren angezogen.
Jennsen ignorierte seine verstohlenen Blicke auf ihr Haar und bot ihm lächelnd ein Stück von ihrem Trockenfleisch an.
Owen starrte sie nur mit großen Augen an, als sie sich zu ihm herabbeugte.
»Ich bin keine Hexe«, versuchte sie ihm klar zu machen. »Die Leute denken oft, mein rotes Haar ist ein Zeichen, daß ich eine Hexe bin, aber das ist Unsinn – das kannst du mir getrost glauben. Ich kann dir versichern, ich besitze keinerlei magische Kräfte.«