»Ziemlich beängstigend, eine Begegnung mit diesen bedrohlichen Kreaturen, vor allem, wenn man überhaupt nichts von der Existenz dieser Tiere wußte«, meinte Jennsen. Sie wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und wechselte das Thema. »Ich hab mir sagen lassen, es bedeutet eine Warnung, wenn am Anfang einer Reise ein Raubvogel über einem kreist.«
»Einmal habe ich zu Beginn einer Reise einen Habicht über mir kreisen sehen«, erwiderte Richard.
»Und was ist passiert?«, fragte Jennsen – so ernst, als könnte seine Erklärung den alten Aberglauben ein für alle Mal klären.
Richards Lächeln ging in ein breites Grinsen über. »Ich habe Kahlan geheiratet.«
Cara, die aufmerksame Mord-Sith-Wächterin Richards, verschränkte trotzig die Arme. »Womit lediglich bewiesen wäre, daß die Warnung der Mutter Konfessor galt und nicht Euch, Lord Rahl.«
Er legte zärtlich den Arm um Kahlans Hüfte, die sich darauf, wie als Antwort auf seine wortlose Geste, lächelnd an ihn schmiegte. Daß sie auf dieser Reise zu Mann und Frau geworden waren, kam ihr erstaunlicher vor als alles, was sie sich je zu erträumen gewagt hätte, denn Frauen wie ihr – Konfessorinnen – war es normalerweise verwehrt, sich romantischen Gefühlen hinzugeben. Richard zuliebe war sie das Wagnis eingegangen – und hatte seine Liebe gewonnen.
Kahlan fröstelte bei dem Gedanken an die schrecklichen Zeiten, als sie in ständiger Angst gelebt hatte, er sei tot.
Doch um dies zu verhindern, gab es ja Cara und ihre Mord-Sith-Schwestern.
Mit der Zeit war Cara zu einer Art Familienmitglied geworden. Und diese Familie hatte nun unerwartet Zuwachs bekommen.
Jennsen wiederum hatte eine geradezu ehrfürchtige Scheu ergriffen, als sie spürte, daß sie mit offenen Armen aufgenommen wurde. Nach allem, was sie bislang hatten in Erfahrung bringen können, hatte sie sich während ihrer ganzen Kindheit verstecken müssen, hatte sie in ständiger Angst gelebt, ihr Vater, der vormalige Lord Rahl, werde sie letztlich doch aufspüren und umbringen lassen, wie alle seine anderen nicht mit der Gabe geborenen Nachkommen auch.
Richard gab Tom und Friedrich, die beim Wagen und den Pferden zurückgeblieben waren, das Signal, daß sie für die Nacht halt machen wollten. Tom hob den Arm zum Zeichen, daß er verstanden hatte, und ging daran, sein Gespann abzukoppeln.
Jetzt, da die Riesenkrähen am dunklen, leeren Nachthimmel über dem westlichen Horizont nicht mehr zu erkennen waren, wandte sich Jennsen wieder Richard zu. »Ich vermute, ihre Federn haben an der Spitze eine schwarze Zeichnung.«
Ehe Richard etwas erwidern konnte, fiel Cara ihm ins Wort – mit einer seidenweichen Stimme, die pure Bedrohlichkeit verhieß. »Sie sehen aus, als hätte der Hüter der Unterwelt mit ihnen Totenscheine ausgefüllt.«
Es erfüllte Cara mit Abscheu, diese Vögel auch nur in Richards oder Kahlans Nähe zu sehen – ein Gefühl, das Kahlan teilte.
Jennsen wich Caras aufgebrachtem Blick aus und wandte sich mit ihrem Verdacht statt dessen an Richard.
»Glaubst du, sie werden ... uns Schwierigkeiten machen?«
Kahlan presste eine Faust auf ihren Unterleib, um das Angstgefühl zu unterdrücken, das die Frage unwillkürlich bei ihr auslöste.
Er sah tief in Jennsens sorgenvolle Augen. »Ganz offenkundig haben die Rabenvögel unsere Fährte aufgenommen.«
2
Jennsen sah zu den beiden Männern hinüber, die beim Wagen zurückgeblieben waren. Die scharfe Sichel des Mondes über der schwarzen Silhouette des fernen Gebirges spendete gerade genug Licht, daß Kahlan sehen konnte, wie Tom die Zugketten von den kräftigen Zugtieren löste, während Friedrich den übrigen die Sättel vom Rücken nahm.
Nachdenklich ließ Jennsen den Gurt ihres Wasserschlauchs von der Schulter gleiten, öffnete den Schlauch und nahm einen langen Zug. Der Geschmack war so abscheulich, daß sie noch immer das Gesicht verzog, als sie mit dem Schlauch auf die menschenleere Wüste hinter ihnen deutete. »Hier draußen gibt es kaum Leben – es könnte doch gut sein, daß die Riesenkrähen einfach hungrig sind und dich für den Fall, daß du hier draußen umkommst, im Auge behalten wollen – und dieses ständige Belauern macht dich glauben, es steckt mehr dahinter.« Sie warf Richard einen ernsten, durch ein Lächeln abgemilderten Blick zu, so als hoffte sie, die Belehrung als Ratschlag tarnen zu können. »Vielleicht hat es ja wirklich nicht mehr zu bedeuten.«
»Sie warten keineswegs darauf, daß wir hier draußen sterben«, sagte Kahlan. Sie wollte die Diskussion beenden, damit sie endlich essen konnten und Richard ein wenig Schlaf bekam. »Sie haben uns schon beobachtet, bevor wir hierher kamen – schon seit den Wäldern im Nordosten. Jetzt laßt uns endlich etwas essen und -«
»Aber warum? Vögel verhalten sich doch normalerweise nicht so. Warum sollten sie so etwas tun?«
»Ich denke, jemand hat sie beauftragt, unsere Fährte aufzunehmen«, sagte Richard. »Oder präziser, jemand benutzt sie, um Jagd auf uns zu machen.«
Die plötzliche Erkenntnis ließ Jennsen mitten im nächsten Zug innehalten. »Also deswegen hast du angefangen, kleine Steinchen auf den vom Wind freigewehten Stellen des Pfades zu verteilen.«
Richards Lächeln schien ihre Vermutung zu bestätigen. Er nahm den Wasserschlauch, den Kahlan ihm reichte, und nahm einen kräftigen Zug. Cara sah fragend zu ihm hoch.
Jennsen kam seiner Antwort zuvor. »Die glatten Felsflächen werden vom Wind freigeweht. Die auf den freien Stellen verteilten Steinchen sollten verhindern, daß sich jemand im Dunkeln unbemerkt an uns heranschleichen kann. Ihr Knirschen würde ihn verraten, sobald er auf sie tritt.«
Cara runzelte die Stirn und sah ihn fragend an. »Ist das wahr?«
Er reichte ihr achselzuckend seinen Wasserschlauch, damit sie ihren nicht unter ihrem Wüstengewand hervorholen mußte. »Es war nur eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme, falls sich jemand in der Nähe herumtreibt, der nicht genügend Vorsicht walten läßt. Manchmal lassen sich Menschen mit den einfachsten Dingen überrumpeln, die ihnen schließlich zum Verhängnis werden.«
»Aber nicht du«, sagte Jennsen und streifte den Gurt des Wasserschlauchs wieder über die Schulter. »Du denkst sogar an die einfachsten Dinge.«
Richard lachte amüsiert. »Du täuschst dich, Jennsen, wenn du glaubst, ich mache keine Fehler. Zum einen ist es gefährlich, jemanden, der einem Übles will, für dumm zu halten, andererseits kann es nicht schaden, ein paar Steinchen auszustreuen – falls tatsächlich jemand glaubt, sich unbemerkt im Dunkeln anschleichen zu können.«
Alle Amüsiertheit legte sich, als er zum westlichen Horizont hinübersah, wo die ersten Sterne noch immer auf sich warten ließen. »Nur fürchte ich, gegen jemanden, der uns vom dunklen Nachthimmel aus beobachtet, werden uns die Steinchen nicht viel nützen.« Als er sich wieder Jennsen zuwandte, hellte seine Miene sich auf, so als fiele ihm erst wieder ein, daß er mit ihr gesprochen hatte. »Indes, jedem unterlaufen Fehler.«
Cara wischte sich ein paar Wassertropfen von ihren verschmitzt lächelnden Lippen, als sie Richard seinen Wasserschlauch zurückgab. »Lord Rahl macht laufend Fehler, und mit besonderer Vorliebe die vermeidbaren. Deswegen braucht er ja auch mich.«
»Ach ja, ist das wahr, Madame Unfehlbar?«, meinte Richard tadelnd und riß ihr verärgert den Wasserschlauch aus den Händen. »Wärt Ihr nicht gar so versessen darauf gewesen, mir allen Ärger vom Leib zu halten, würden wir jetzt vermutlich nicht von schwarz gezeichneten Riesenkrähen verfolgt.«
»Was hätte ich denn tun sollen?«, sprudelte Cara hervor. »Ich wollte doch nur helfen – und Euch beschützen.« Ihr Lächeln war verflogen.
Richard seufzte. »Ja, ich weiß«, meinte er dann begütigend. »Wir werden uns etwas einfallen lassen.«
»Und welchen Fehler hast du gemacht, Cara?«, fragte Jennsen.
Statt verärgert auf die Frage zu reagieren, und vielleicht auch, weil sie aus aufrichtigem Interesse gestellt worden war, beantwortete Cara sie ruhig und unumwunden. »Es hat etwas mit dem kleinen Problem zu tun, von dem wir eben sprachen.«