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Richard fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Er mußte unbedingt mit der Übersetzung des Buches fortfahren und herausfinden, was sich hinter diesem Gegenstand verbarg, den Cara berührt hatte, und was es mit den schwarz gezeichneten Riesenkrähen auf sich hatte, die sie verfolgten; er mußte zurück zu Victor und den anderen, die den Aufstand gegen die Imperiale Ordnung angezettelt hatten; er hätte sich längst mit Nicci treffen müssen, und er mußte etwas gegen seine Kopfschmerzen unternehmen. Zumindest in dieser Angelegenheit würde ihm Nicci helfen können.

»Ich ›schenke‹ niemandem die Freiheit, Owen.«

»Sehr wohl, Lord Rahl.«

Offenbar wagte Owen nicht, Richards Worten offen zu widersprechen, doch seinen Augen war deutlich anzusehen, daß er sie nicht glaubte.

»Was genau meinst du eigentlich damit, wenn du sagst, ich schenke den Menschen die Freiheit?«

Owen biß ein winziges Stück von seinem Zwieback ab und ließ den Blick in die Runde schweifen, während er sich unsicher wand und verlegen mit den Schultern zuckte. Schließlich räusperte er sich.

»Nun ja, Ihr tut das, was auch die Imperiale Ordnung tut – Ihr tötet Menschen.« Er machte eine unbeholfene Bewegung mit der Hand, die den Zwieback hielt, so als stieße er mit einem Schwert zu. »Ihr tötet Menschen, die andere versklaven, und dann schenkt ihr den Unterdrückten die Freiheit, damit wieder Friede einkehren kann.«

Richard holte tief Luft. Er war unsicher, ob Owen es tatsächlich so meinte, wie es geklungen hatte, oder ob es ihm einfach schwer fiel, sich in Gegenwart von Personen, die ihn nervös machten, zu erklären.

»Ganz so verhält es sich nicht«, erwiderte Richard.

»Aber deswegen seid Ihr doch hierher gekommen. Jeder weiß das. Ihr seid in die Alte Welt gekommen, um den Menschen die Freiheit zu schenken.«

Die Ellenbogen auf die Knie gestützt, beugte sich Richard vor und rieb die Hände aneinander, während er überlegte, wie weit er diesen Mann über seinen Irrtum aufklären konnte. Eine Woge innerer Ruhe ging durch seinen Körper, als Kahlan ihm sachte ihre tröstliche Hand auf die Schulter legte. Er wollte unter allen Umständen vermeiden, auf die Schrecken seiner Gefangennahme und seiner Trennung von Kahlan einzugehen, damals, als er glaubte, er werde sie niemals wiedersehen. Schließlich schob er die bedrückenden Erinnerungen an diese lange, schwere Prüfung beiseite und beschloß, anders vorzugehen. »Ich stamme ursprünglich aus der Neuen Welt, Owen ...«

»Ja, ich weiß.« Owen nickte. »Und Ihr seid gekommen, um die Menschen zu befreien ...«

»Nein, das entspricht nicht der Wahrheit. Einst lebten wir in Frieden, allem Anschein nach ganz so wie dein Volk hier. Bis Kaiser Jagang ...«

»Der Traumwandler.«

»Richtig, bis Kaiser Jagang, der Traumwandler, seine Armeen schickte, um die Neue Welt zu erobern und unser Volk zu versklaven ...«

»Genau wie mein Volk.«

Richard nickte. »Verstehe. Ich weiß, welche Schrecken das mit sich bringt. Seine Truppen ziehen derzeit mordend und plündernd durch die Neue Welt und versklaven unser Volk.«

Owen starrte mit tränenfeuchten Augen in die Dunkelheit und nickte. »Genau wie meines.«

»Wir haben versucht, Widerstand zu leisten«, richtete Kahlan das Wort an ihn. »Aber es sind zu viele. Seine Armee ist viel zu gewaltig, als daß wir sie aus unserem Land vertreiben könnten.«

Owen vermied es, sie anzusehen, während er abermals verlegen an seinem Zwieback nagte. »Mein Volk lebt in entsetzlicher Angst vor den Truppen der Imperialen Ordnung – der Schöpfer möge ihnen ihre Verirrungen verzeihen.«

»Mögen sie bis in alle Ewigkeit im finstersten Winkel der Hölle schmoren«, korrigierte Cara ihn in schonungsloser Unverblümtheit.

Owen starrte sie offenen Mundes an, daß sie es wagte, einen solchen Fluch laut auszusprechen.

»Es war also unmöglich, sie zu bekämpfen, indem wir sie einfach in die Alte Welt zurückjagten«, lenkte Richard Owens Aufmerksamkeit wieder auf sich, ehe er mit der Geschichte fortfuhr. »Deswegen bin ich hier, in Jagangs Heimat, und versuche den Menschen zu helfen, die sich danach sehnen, die Fesseln der Imperialen Ordnung abzustreifen. Solange er sich auf einem Eroberungsfeldzug gegen unser Land befindet, haben wir die Möglichkeit, Jagang an seiner empfindlichsten Stelle zu treffen und ihm einen schweren Schlag zu versetzen. Nur so können wir uns der Imperialen Ordnung wirkungsvoll erwehren – es ist für uns der einzige Weg zum Erfolg. Wenn wir seine Basis schwächen, seinen Rückhalt und seinen Nachschub an Soldaten, wird er eines Tages gezwungen sein, seine Armee aus unserem Land abzuziehen und in den Süden zurückzukehren, um seine Heimat zu verteidigen.

Tyrannei ist niemals von Dauer, denn zu ihren ureigenen Wesenszügen gehört es, alles verkommen zu lassen, auf das sich ihre Herrschaft erstreckt, sich selbst eingeschlossen. Allerdings kann sich dieser Prozeß über mehrere Generationen hinziehen. Ich dagegen versuche diesen Prozeß zu beschleunigen, um gemeinsam mit meinen Lieben noch zu Lebzeiten wieder in den Genuß der Freiheit zu kommen – und wieder ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Wenn sich nur genügend Menschen gegen die Herrschaft der Imperialen Ordnung erheben, könnten sie Jagang sogar die Macht entreißen, was wiederum zum Untergang der Imperialen Ordnung führen würde. Auf diese Weise versuche ich, ihn zu bekämpfen, ihn zu besiegen und aus meinem Land zu vertreiben.«

Owen nickte. »Genau das brauchen wir auch. Wir sind Opfer des Schicksals. Ihr müßt zu uns kommen und diese Männer aus unserem Land verjagen, damit wir endlich wieder in Ruhe und Frieden leben können. Ihr müßt uns unsere Freiheit zurückgeben.«

Über dem knackenden Feuer stieg ein hell glühender Funkenregen in den Himmel. Richard saß da, ließ den Kopf hängen und tippte die Fingerspitzen gegeneinander. Offenbar hatte Owen von dem, was er gesagt hatte, kein einziges Wort begriffen. Aber sie brauchten dringend Ruhe, und er mußte mit der Übersetzung des Buches vorankommen – vor allem aber mußten sie ihr Ziel erreichen. Immerhin waren seine Kopfschmerzen etwas abgeklungen.

»Tut mir leid, Owen«, sagte er schließlich, bemüht, ruhig zu bleiben. »Auf so unmittelbare Weise kann ich dir nicht helfen, doch begreife bitte, daß mein Plan auch für dich von Vorteil ist, denn meine Vorgehensweise wird Jagang letztendlich zwingen, seine Truppen aus deiner Heimat abzuziehen, oder sie zumindest so weit zu vermindern, daß ihr sie eigenhändig vertreiben könnt.«

»Nein«, widersprach Owen. »Seine Soldaten werden unser Land nicht verlassen, solange Ihr nicht kommt und ...«- man konnte deutlich spüren, daß Owen davor zurückscheute, es auszusprechen -»und sie vernichtet.«

Allein das Wort, die Vorstellung, schien bei ihm heftigsten Abscheu auszulösen.

Richard war es leid, sich um einen höflichen Ton zu bemühen. »Morgen müssen wir unseres Weges gehen, und das Gleiche gilt auch für dich. Ich wünsche dir viel Erfolg bei der Befreiung deines Volkes von der Imperialen Ordnung.«

»Aber etwas Derartiges ist uns vollkommen unmöglich«, protestierte Owen. Er straffte seinen Körper. »Wir sind schließlich keine Barbaren. Ihr und Euresgleichen – die nicht Erleuchteten – seid dazu ausersehen, uns die Freiheit zurückzugeben. Ich bin der Einzige, der Euch holen kann. Ihr müßt zu uns kommen und das tun, was Eure Bestimmung ist. Ihr müßt unserem Reich die Freiheit zurückgeben.«

Richard strich sich mit den Fingerspitzen über die Falten auf seiner Stirn. Cara machte Anstalten, sich zu erheben, setzte sich jedoch auf einen Seitenblick von Richard wieder hin.

»Ich habe dir Wasser gegeben«, sagte Richard und stand auf. »Die Freiheit kann ich dir nicht geben.«

»Aber Ihr müßt doch ...«

»Wir werden heute Nacht Doppelwachen aufstellen«, wandte sich Richard an Cara und schnitt ihm damit das Wort ab.

Cara nickte kurz, während ein Lächeln eiserner Entschlossenheit um ihre Mundwinkel spielte.

»Gleich morgen früh«, setzte Richard hinzu, »wird Owen sich wieder von uns trennen.«

»Ja«, antwortete sie, während ihre wuterfüllten blauen Augen zu Owen hinüberwanderten, »das wird er ganz bestimmt.«