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Sie machten Menschen zu Waffen.

Eine dieser Waffen waren zu Zeiten des Großen Krieges die Vorfahren Jagangs: die Traumwandler. Traumwandler wurden geschaffen, um sich des Verstandes der Menschen in der Neuen Welt zu bemächtigen und ihn auf diese Weise zu beherrschen. In dieser verzweifelten Lage wurden die Bande zu dem jeweiligen Lord Rahl geschaffen – als Gegenmittel gegen diese Waffe, und als Schutz der Menschen vor den Traumwandlern.

Auf diese Weise entstanden aus den mit der Gabe Geborenen damals eine Vielzahl menschlicher Waffen. Die damit verbundenen Veränderungen waren oftmals tiefgreifend, vor allem aber unumkehrbar – zuweilen entstanden dadurch menschliche Ungeheuer von grenzenloser Grausamkeit. Aus diesem Erbe stammte auch Jagang.

Während dieses Großen Krieges weigerte sich nun einer der Zauberer, dem wegen Verrats der Prozeß gemacht wurde, den von ihm angerichteten Schaden offenzulegen. Nachdem man ihm nicht einmal unter Folter ein Geständnis abpressen konnte, nahmen die den Prozeß führenden Zauberer bei den Talenten eines Zauberers mit Namen Merritt Zuflucht und befahlen die Schaffung einer Konfessorin. Bei Gericht war man mit den Ergebnissen dieses Zauberers Merritt so zufrieden, daß man anordnete, den Orden der Konfessorinnen ins Leben zu rufen.

Im Grunde empfand Kahlan nicht anders als andere Menschen auch, sie war nicht weniger menschlich, nicht weniger weiblich und liebte das Leben wie jeder andere auch – aber der bei ihr angewendete Zauber blieb nicht folgenlos: Sie erhielt ihre Konfessorinnenkraft. Auch sie war das Kind einer Frau, die man in eine menschliche Waffe verwandelt hatte – einer Waffe, deren Zweck in diesem Fall die Wahrheitsfindung war.

»Was hast du?«, erkundigte sich Richard.

Sie sah ihn an und bemerkte den sorgenvollen Ausdruck auf seinem Gesicht. Kahlan zwang sich zu lächeln und versuchte ihn mit einem Kopfschütteln zu beschwichtigen.

»Was hast du denn nun herausgefunden, nachdem du einige Kapitel übersprungen hattest?«

Richard holte tief Luft und legte seine gefalteten Hände auf den Knauf seines Sattels. »Im Großen und Ganzen war es, als hätten sie Farben zu verwenden versucht, um den ohne Augen Geborenen das Sehen zu ermöglichen.«

Nach allem, was Kahlan über Magie und Geschichte wußte, bedeutete dies einen grundlegenden Unterschied selbst zu den böswilligsten Experimenten bei der Verwandlung von Menschen in Waffen. Selbst bei den schändlichsten Versuchen war es stets darum gegangen, einen bestimmten menschlichen Wesenszug zu entfernen und gleichzeitig eine naturgegebene Anlage dieser Menschen zu verstärken oder ihr etwas hinzuzufügen. Nie zuvor war der Versuch unternommen worden, aus dem Nichts etwas völlig Neues zu erschaffen.

»Mit anderen Worten«, faßte Kahlan zusammen, »sie sind gescheitert.«

Richard nickte. »Ja, da standen sie nun, der Große Krieg war längst vorbei, und die Alte Welt – deren Ziel, wie das der Imperialen Ordnung, das Ende aller Magie war – lag sicher weggesperrt hinter der neu geschaffenen Barriere. Und plötzlich mußten sie feststellen, daß die Geburtenrate der mit der Gabe der Zauberei Geborenen ins Bodenlose stürzte und die vom Geschlecht der Rahls geschaffene Magie, nämlich die Bande zwischen ihnen und dem Volk, die verhindern sollte, daß der Traumwandler von den Menschen Besitz ergreift, eine unerwartete Nebenwirkung hatte – sie brachte die von der Gabe völlig Unbefleckten hervor, die eine unwiderrufliche Unterbrechung in der Abstammungslinie der Magie bedeuteten.«

»Somit sahen sie sich schlagartig mit gleich zwei Problemen konfrontiert«, sagte Kahlan. »Es wurden weniger Zauberer geboren, die sich der Probleme mit der Magie annehmen konnten, gleichzeitig wurden Menschen geboren, die überhaupt keine Verbindung mehr zur Magie hatten.«

»Ganz genau. Wobei das zweite Problem rascher wuchs als das erste. Anfangs waren sie noch überzeugt, eine Lösung zu finden, ein Heilmittel. Das jedoch blieb aus – und es kam noch schlimmer: Wie ich eben bereits erklärte, brachten die von der Gabe völlig Unbefleckten, wie Jennsen, stets Nachkommen zur Welt, die exakt so waren wie sie. Bereits nach wenigen Generationen schwoll die Zahl der ohne Verbindung zu jeglicher Magie Geborenen über jedes erwartete Maß hinaus an.«

Kahlan stieß einen tiefen Seufzer aus. »Sie befanden sich wirklich in einer verzweifelten Lage.«

»Blankes Chaos drohte.«

Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Was beschloß man dagegen zu tun?«

Richard betrachtete sie mit einem dieser Blicke, die ihr verrieten, daß ihn die Antwort auf diese Frage ziemlich verstört hatte.

»Sie gaben der Magie den Vorrang vor den Menschen. Nach ihrem Dafürhalten war diese Eigenschaft – die Magie, aber auch diejenigen, die sie besaßen – wichtiger als das menschliche Leben.« Er hob aufgeregt die Stimme. »Sie änderten den Grund, weshalb sie den Krieg überhaupt nur geführt hatten, nämlich das Recht der mit Magie Geborenen auf ein eigenständiges, ihren von Geburt an mitgegebenen Anlagen entsprechendes Leben, und kehrten es ins völlige Gegenteil, bis diese abstrakte Eigenschaft plötzlich wichtiger war als das Menschenleben, das sie in sich barg!«

Er atmete hörbar aus und senkte die Stimme. »Die Betroffenen waren viel zu zahlreich, als daß man sie alle hätte hinrichten können, also begnügte man sich mit der zweitbesten Lösung – man verbannte sie.«

Kahlan zog erstaunt die Brauen hoch. »Man verbannte sie. Wohin?«

Richard beugte sich zu ihr. die Augen fiebrig vor Erregung. »In die Alte Welt.«

»Was!«

Achselzuckend tat Richard, als machte er sich zum Anwalt der Zauberer von damals, um die Absurdität ihrer Denkweise bloßzulegen. »Was hätten sie auch tun sollen? Sie hinzurichten kam nicht in Frage, es waren schließlich Freunde und Familienangehörige. Viele der Menschen, die einen Funken der Gabe besaßen – ohne zum Zauberer oder zur Hexenmeisterin begabt zu sein, weshalb sie selbst sich als nicht mit der Gabe gesegnet betrachteten – hatten Söhne, Töchter, Brüder Schwestern, Onkel, Tanten, Basen oder Nachbarn, die mit einem der von der Gabe völlig Unbefleckten – mit einer dieser Säulen der Schöpfung – verheiratet waren. Sie waren fester Bestandteil einer Gesellschaft, in der die wahrhaft mit der Gabe Gesegneten zwangsläufig immer seltener wurden. In einer Gesellschaft, in der sie zunehmend zur Minderheit wurden, in der das Mißtrauen ihnen gegenüber stetig wuchs, brachten es die mit der Gabe gesegneten Herrschenden nicht über sich, diese mit einem Makel behafteten Menschen samt und sonders einfach auszurotten.«

»Soll das etwa heißen, sie haben es auch nur in Betracht gezogen?«

Richards Blick bestätigte ihr genau dies – und verriet ihr gleichzeitig, was er von diesem Gedanken hielt. »Aber letztendlich brachten sie es nicht über sich. Denn nachdem sie alles versucht hatten, mußten sie erkennen, daß sie die Verbindung dieser Menschen zur Magie, war sie einmal abgerissen, nicht wiederherstellen konnten. Diese Menschen heirateten und bekamen Kinder, deren Kinder wiederum heirateten und ebenfalls Kinder in die Welt setzten, die diesen Makel ausnahmslos weitervererbten, so daß die Zahl der mit dem Makel Behafteten rascher anschwoll, als alle vorhergesehen hatten.

Soweit es die mit der Gabe Gesegneten betraf, war ihre Welt ebenso bedroht wie zuvor durch den Großen Krieg, denn die Alte Welt hatte damals dasselbe Ziel verfolgt – die Vernichtung aller Magie. Plötzlich schienen sich ihre schlimmsten Befürchtungen auf makabre Weise zu bestätigen.

Der Schaden war irreparabel, seine Ausbreitung nicht aufzuhalten, und es war unmöglich, all diese Menschen, die mitten unter ihnen lebten, umzubringen. Und jetzt, da der Makel immer weiter um sich griff, wurde ihnen auch noch bewußt, daß ihnen die Zeit davonzulaufen drohte. Also beschlossen sie, auf den einzigen noch verbliebenen Ausweg zurückzugreifen – die Verbannung.«

»Und diese Menschen konnten die Barriere überwinden?«

»Den mit der Gabe Gesegneten war dies in allen praktischen Belangen völlig unmöglich, aber für die Säulen der Schöpfung existierte Magie nicht; sie vermochte sie in keiner Weise zu beeinflussen, somit war die Barriere für sie kein Hindernis.«