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Zedd spürte, wie ein Woge der Mutlosigkeit ihn zu überwältigen drohte, und er mußte sich für einen Augenblick vor einem mit Brettern verbarrikadierten Schuhgeschäft auf einem gespaltenen Baumstamm niederlassen. Dann ging es weiter.

Vor einer Steinbrücke blieb Zedd stehen und blickte die breite Straße hinab, die sich den Hang hinaufwand. Das einzige Geräusch, die einzige Bewegung, stammte vom Wind in den Bäumen und deren matt glänzenden Blättern, dennoch verweilte sein Blick lange auf der völlig menschenleeren Straße.

Wegen ihrer strategischen Bedeutung hatte Zedd sowohl auf der Brücke selbst als auch entlang der weiter zur Burg hinaufführenden Straße zahlreiche Fallstricke und Fußangeln ausgelegt, sodaß niemand, der sich ihr zu nähern wagte, mehr als nur ein paar Schritte überleben würde. Nicht einmal eine Schwester der Finsternis wäre imstande, sie zu überwinden. Einige Schwestern hatten das Unmögliche versucht und dies mit ihrem Leben bezahlt.

Vermutlich hatten sie geahnt, daß der Oberste Zauberer persönlich solche Netze ausgelegt hatte, und gewiß auch den einen oder anderen Warnschild gespürt, doch Jagang hatte ihnen in dieser Hinsicht zweifellos keine Wahl gelassen und sie mit dem Befehl losgeschickt, bis in die Burg vorzudringen – und ihr Leben für die höheren Ziele der Imperialen Ordnung zu opfern.

Verna war einst für kurze Zeit Gefangene des Traumwandlers gewesen und hatte Zedd das Erlebnis in allen Einzelheiten geschildert – in der Hoffnung, ein Gegenmittel zu finden, ohne Lord Rahl ewige Treue schwören zu müssen und dadurch den Schutz der Bande zu erbitten, doch so sehr er sich bemüht hatte, Zedd hatte keine Gegenmagie finden können. Bereits während des Großen Krieges hatten weitaus talentiertere Zauberer mit beiden Seiten der Gabe einen Schutz gegen Traumwandler zu ersinnen versucht, doch hatte dieser erst vom Verstand eines Menschen Besitz ergriffen, war der Betreffende ihm schutzlos ausgeliefert und mußte – egal um welchen Preis, und sei es um den des eigenen Lebens – seinen Befehlen Folge leisten.

Weiter vorn ragte die Burg der Zauberer am Seitenhang des Berges in den Himmel. Die hochaufragenden Mauern aus dunklem Gestein, die auf die meisten Menschen eher einschüchternd wirkten, vermittelten Zedd das wohlige Gefühl eines Zuhauses. Er ließ den Blick an der Brustwehr entlangwandern und mußte daran denken, wie er vor vielen Jahren – mittlerweile schien es fast ein ganzes Leben her zu sein – mit seiner Gemahlin dort entlanggeschlendert war. Oft hatte er von den Türmen aus auf die prachtvoll anzuschauende Stadt Aydindril hinuntergeblickt. Einmal war er über die Brücken und durch Verbindungsgänge geeilt, um den Befehl zur Verteidigung der Midlands gegen eine von Darken Rahls Vater angeführte Invasion aus D’Hara zu überbringen.

Auch das schien bereits ein Leben lang zurückzuliegen. Mittlerweile war sein Enkel Richard Lord Rahl; ihm war es gelungen, den größten Teil der Midlands unter der Herrschaft des d’Haranischen Reiches zu vereinen. Verwundert schüttelte Zedd den Kopf, daß ausgerechnet Richard es geschafft hatte, die gesamte Welt auf den Kopf zu stellen. Ihm hatte er es zu verdanken, daß er jetzt Untertan des d’Haranischen Reiches war.

Bevor er das andere Brückenende erreichte, warf er rasch noch einen Blick hinunter in die Schlucht. Eine Bewegung nahm seine Aufmerksamkeit gefangen. Die knochigen Finger auf das grobe Steingeländer gestützt, beugte er sich ein wenig vor, um genauer hinzusehen. Tief unten erblickte er zwei riesenhafte schwarze Vögel, die durch den schmalen Spalt im Bergmassiv glitten. Er hatte noch nie etwas Vergleichbares gesehen und wußte nicht was er von dem Anblick halten sollte.

Als er sich wieder zur Burg herumdrehte, meinte er hoch oben über der Burg drei weitere Exemplare dieser riesigen Vögel im Verband vorübergleiten zu sehen. Wahrscheinlich hatte er sich nur in der Entfernung getäuscht – vermutlich aufgrund unzureichender Ernährung. Er entschied, daß es sich um Raben handeln müsse, und versuchte seine Entfernungsschätzung zu korrigieren, doch da waren sie bereits außer Sicht. Ein Blick hinunter in die Tiefe ergab, daß auch die beiden anderen nicht mehr zu sehen waren.

Als er unter dem eisernen Fallgatter hindurchging und vom freundlichen Zauber der Burg umfangen wurde, befiel ihn plötzlich ein Gefühl der Verlorenheit. Er vermißte seine längst verstorbene Frau Erilyn, ebenso wie seine vor langer Zeit verstorbene Tochter, Richards Mutter, und – bei den Gütigen Seelen – vor allem vermißte er Richard. Dann fiel ihm ein, daß Richard jetzt mit seiner eigenen Frau zusammen war, und ein Lächeln ging über seine Lippen. Noch immer fiel es ihm zuweilen schwer, sich Richard als erwachsenen Mann vorzustellen.

Im Innern der Burg erwachten die Lampen entlang der Wand artig brennend zum Leben, als der Oberste Zauberer Zeddicus Zu’l Zorander auf seinem Weg in die Tiefen der weitläufigen Bergfeste durch die Flure und prachtvollen Säle schritt. Wann immer er an einem der von ihm selbst angebrachten Netze vorüberkam, überprüfte er die Beschaffenheit ihrer Magie und vergewisserte sich, daß sie unberührt waren. Er stieß einen erleichterten Seufzer aus. Nicht, daß er erwartet hätte, jemand wäre so töricht, den Versuch zu machen, in die Burg einzudringen, andererseits wimmelte es in der Welt nur so von Narren. Im Grunde war ihm nicht ganz wohl bei dem Gedanken, überall im Gebäude – zusätzlich zu den gefährlichen Schilden, mit denen die Burg ohnehin bereits gesichert war – gefährliche Netze in so großer Zahl zurückzulassen, gleichwohl wagte er nicht, in seiner Wachsamkeit nachzulassen.

Als er die lange Anrichte in einem der hohen Versammlungssäle passierte, fuhr Zedd, wie seit frühester Jugendzeit gewohnt, mit dem Finger durch die glatte Vertiefung im Rand der bunt gescheckten, schokoladenbraunen Marmorplatte. Plötzlich hielt er inne, betrachtete nachdenklich den Büffetschrank und erinnerte sich, daß in einer seiner Schubladen ein Gegenstand lag, zu dem er sich plötzlich wie magnetisch hingezogen fühlte: Vor vielen Jahren hatte er dort ein Knäuel feiner schwarzer Kordel zurückgelassen, wie man sie zur Befestigung von Borten und anderem Zierrat an den Lampenarmen des Versammlungssaales benutzte, wenn die Dekorationen für das Herbstfest angebracht wurden.

Und tatsächlich, in der mittleren Lade fand er das Knäuel aus feiner Schnur. Er nahm es an sich und ließ es in einer seiner Taschen verschwinden. Dann löste er einen mit sechs kleinen Glöckchen versehenen Zauberstab aus seiner Wandhalterung neben der Anrichte. Der Zauberstab, einer von Hunderten, wenn nicht gar Tausenden in der Burg, war früher zum Rufen des Personals benutzt worden. Er seufzte bei sich. Mittlerweile war es viele Jahrzehnte her, daß die letzten Bediensteten mit ihren Familien in der Burg gelebt hatten. Er erinnerte sich noch gut, wie ihre Kinder herumgetollt waren und in den Fluren gespielt hatten, er erinnerte sich an das frohe Lachen, das in der gesamten Burg zu hören gewesen war und das alte Gemäuer mit Leben erfüllt hatte.

Eines Tages, schwor er sich, würden wieder Kinder lachend durch diese Flure toben – Richards und Kahlans Kinder.

Die steinernen Mauern waren immer wieder von Fenstern und Öffnungen unterbrochen, so daß eine Vielzahl der Flure und Säle mit Licht versorgt wurden, andere Winkel dagegen waren weniger gut ausgeleuchtet. Zedd fand eine dieser dunkleren Ecken, deren trübes Licht seinen Vorstellungen entsprach. Er spannte ein Stück Kordel mit einem der Glöckchen in die Türöffnung und wickelte es auf beiden Seiten um eine steinerne Zierleiste. Dann setzte er seinen Weg durch das Labyrinth aus Fluren und Hallen fort und machte gelegentlich Halt, um weitere mit einem Glöckchen versehene Schnüre an Stellen zu befestigen, wo sie nur schwer zu erkennen waren. Er mußte noch mehrere der besagten Stäbe aus ihren Halterungen nehmen, um seinen Vorrat an Glöckchen aufzustocken.

Zwar waren überall magische Schilde angebracht worden, andererseits ließ sich unmöglich sagen, über welche Kräfte manche Schwestern der Finsternis verfügten; ganz sicher aber würden sie wohl eher nach Magie als nach Glöckchen Ausschau halten. Die zusätzliche Vorsichtsmaßnahme konnte also nicht schaden.