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»Ihr meint, es geht um diesen Gegenstand, den ich berühren soll?«

Im Schein der dünnen Mondsichel konnte Kahlan deutlich sehen, wie Caras Miene sich wieder verfinsterte. »Und zwar je eher, desto besser.«

Richard strich sich mit den Fingern über die Stirn. »Also, ich bin mir dessen nicht so sicher.«

Auch Kahlan fand, daß Cara es sich mit ihrer Idee ein wenig einfach machte.

Cara warf die Arme in die Luft. »Aber Lord Rahl, wir können es doch nicht einfach ...«

»Schlagen wir erst einmal das Lager auf ehe es vollends dunkel wird«, ordnete Richard mit ruhiger Stimme an. »Im Augenblick brauchen wir vor allem etwas zu essen und ein wenig Schlaf.«

Ausnahmsweise sah Cara den Sinn seines Befehls ein und verzichtete darauf zu widersprechen. Vorhin, als Richard allein losgezogen war, um die Gegend zu erkunden, hatte sie Kahlan anvertraut, daß sie sich Sorgen wegen Richards erschöpften Aussehens mache, und vorgeschlagen, da genügend andere da waren, ihn diese Nacht nicht zu seiner Wachschicht zu wecken.

3

In der unermeßlichen Weite der vollkommen stillen Nacht konnte Kahlan deutlich hören, wie Friedrich, ein Stück seitab, mit sanfter Stimme zu den Pferden sprach. Jedes Mal, wenn er bei seiner Arbeit, die Pferde zu versorgen und für die Nacht anzupflocken, an einem Tier vorüberkam, tätschelte er dessen Schulter und strich mit der Hand über seine Flanke. Jetzt da die endlose Weite außerhalb des Lagers von der Dunkelheit verhüllt wurde, ließen die vertrauten Handgriffe bei der Versorgung der Tiere die unbekannte Umgebung etwas weniger bedrohlich erscheinen.

Friedrich war ein älterer, anspruchsloser Mann von durchschnittlicher Größe. Trotz seines Alters hatte er die lange und beschwerliche Reise in die Alte Welt auf sich genommen, um Richard zu finden, und zwar gleich nach dem Tod seiner Frau, denn er trug wichtige Informationen bei sich; der schmerzliche Verlust war seinen sanften Gesichtszügen noch immer anzusehen. Traf Kahlans Vermutung zu, würde sich das auch nicht mehr ändern.

Im schwachen Licht bemerkte sie Jennsens verstohlenes Lächeln, als Tom in ihre Richtung blickte. Ein jungenhaftes Strahlen huschte kurz über das Gesicht des kräftigen, blondschopfigen D’Haraners, der jedoch sofort wieder an die Arbeit ging und mehrere Bündel mit Bettzeug unter der Sitzbank hervorzog. Er stieg über die auf der Ladefläche liegenden Vorräte hinweg und reichte Richard einen Stapel hinunter.

»Wir haben kein Feuerholz, Lord Rahl.« Einen Fuß auf das Stützgitter gestellt, stützte Tom sich mit dem Unterarm auf dem angewinkelten Knie ab. »Aber wenn Ihr wollt, ich hab ein wenig Holzkohle, die wir zum Kochen nehmen können.«

»Was ich wirklich möchte, ist, daß Ihr endlich aufhört, mich ›Lord Rahl‹ zu nennen. Wenn Euch dieser Titel in Gegenwart der falschen Leute herausrutscht, können wir alle in gewaltige Schwierigkeiten geraten.«

Grinsend klopfte Tom auf den verzierten Buchstaben R auf dem silbernen Heft des Messers in seinem Gürtel. »Ihr könnt ganz unbesorgt sein, Lord Rahl. Stahl gegen Stahl.«

Richard quittierte die auf die Bande bezogene, oft wiederholte Parole, die das d’Haranische Volk mit ihrem Lord Rahl verband und umgekehrt, mit einem Seufzen. Tom und Friedrich hatten versprochen, Richards und Kahlans Titel in Gegenwart Dritter unausgesprochen zu lassen; lebenslange Gewohnheiten ließen sich jedoch nicht von heute auf morgen ablegen.

»Das war’s«, verkündete Tom, als er die letzte Rolle mit Bettzeug hinunterreichte. »Wollt Ihr nun ein kleines Kochfeuer oder nicht?«

»Meiner Meinung nach kommen wir in dieser Hitze gut ohne zusätzliches Feuer zurecht.« Richard stapelte das Bettzeug auf einen bereits abgeladenen Sack mit Hafer. »Außerdem wäre es mir lieber, wir würden keine Zeit darauf verschwenden. Ich möchte gleich mit dem ersten Licht des Tages aufbrechen, im Übrigen brauchen wir ausreichend Schlaf.«

»Da mag ich Euch nicht widersprechen«, sagte Tom und richtete seinen mächtigen Körper zu voller Größe auf. »Es gefällt mir nicht, daß wir ohne jede Deckung im offenen Gelände herumlaufen, wo uns jeder mühelos aufspüren kann.«

Richard deutete mit einer vielsagenden Geste auf das dunkle Himmelsgewölbe über ihnen.

Tom schickte einen wachsamen Blick gen Himmel, ehe er sich mit einem zögernden Nicken wieder an die Arbeit machte und Werkzeug hervorkramte, um das Pferdegeschirr und die Holzeimer zum Tränken der Pferde auszubessern. Richard stützte einen Stiefel auf das robuste Hinterrad des Wagens und kletterte hinauf, um ihm dabei zur Hand zu gehen.

Tom, ein zurückhaltender, aber freundlicher Bursche, der erst am Vortag, unmittelbar nach ihrem Zusammentreffen mit Jennsen, zu ihnen gestoßen war, schien nach außen hin eine Art Händler zu sein, der in seinem Wagen irgendwelche Waren transportierte. Der Transport dieser Waren, hatten Richard und Kahlan herausgefunden, lieferte ihm den Vorwand, jederzeit überall dorthin reisen zu können, wo er gebraucht wurde. Er war Mitglied einer im Geheimen operierenden Gruppe, deren eigentliche Aufgabe darin bestand, Lord Rahl vor versteckten Intrigen und Gefahren zu schützen.

Plötzlich fragte Jennsen ganz unvermittelt: »Was meinst du, weshalb könnte wohl jemand Interesse haben, eure Fährte mit Hilfe dieser Vögel zu verfolgen?«

Kahlan sah die junge Frau erstaunt an. »Wir befinden uns mitten in der Alten Welt, Jennsen. Auf feindlichem Gebiet verfolgt zu werden, das ist nun wirklich nichts Überraschendes.«

»Vermutlich hast du Recht«, mußte Jennsen zugeben. »Nur hatte ich den Eindruck, es müßte noch etwas anderes dahinter stecken.« Trotz der Hitze rieb sie sich die Arme, als hätte sie soeben ein Frösteln überkommen. »Du machst dir keine Vorstellung, wie versessen Kaiser Jagang darauf ist, euch in die Hände zu bekommen.«

Kahlan lächelte in sich hinein. »Oh doch, ich denke schon.«

Jennsen schaute Richard einen Moment lang zu, wie er die Wassereimer aus den auf dem Wagen mitgeführten Fässern füllte und sich dann hinunterbeugte, um sie Friedrich einen nach dem anderen anzureichen. Als alle Eimer voll waren, hielt Richard seinen eigenen Wasserschlauch unter die Wasseroberfläche, um ihn ebenfalls zu füllen.

Kopfschüttelnd wandte sich Jennsen wieder Kahlan zu. »Kaiser Jagang wollte mich mit einer List glauben machen, Richard wolle meinen Tod.« Sie sah kurz zu den mit ihrer Arbeit beschäftigten Männern hinüber, ehe sie fortfuhr. »Ich war dabei, als er Aydindril überfiel.«

Plötzlich meinte Kahlan, ihr Herz bis zum Hals schlagen zu spüren; zum ersten Mal bekam sie aus erster Hand bestätigt, daß der Rohling jene Stadt überfallen hatte, in der sie aufgewachsen war. Sie müßte diese Frage stellen, auch wenn sie die Antwort nicht ertragen zu können glaubte. »Hat er die Stadt vollständig zerstört?«

Nachdem man Richard gefangen genommen und von ihr getrennt hatte, hatte Kahlan die d’Haranische Armee mit Caras Hilfe gegen Jagangs gewaltige Invasionsstreitmacht aus der Alten Welt geführt. Monat für Monat hatten Kahlans Truppen auf einem quer durch die gesamten Midlands führenden Rückzug einer schier unglaublichen Übermacht getrotzt.

Als die entscheidende Schlacht um die Midlands verloren ging, hatte sie Richard schon seit über einem Jahr nicht mehr gesehen – offenbar war er der Vergessenheit anheim gefallen. Nachdem sie endlich in Erfahrung gebracht hatte, wo er gefangen gehalten wurde, war sie mit Cara nach Süden in die Alte Welt geeilt, nur um dort mitzuerleben, wie Richard im Herzen von Jagangs Heimat einen wahren Feuersturm der Revolution entfachte.

Vor ihrem Aufbruch hatte sie noch Aydindril und den Palast der Konfessorinnen evakuiert und damit vielen Menschen ihr Zuhause genommen. Was zählte, war das nackte Überleben, nicht irgendein Gebäude oder Ort.

»So weit kam es gar nicht erst«, antwortete Jennsen. »Als er am Palast der Konfessorinnen eintraf, glaubte er noch, er hätte dich und Richard in die Enge getrieben. Statt dessen erwartete ihn vor den Toren des Palasts eine Lanze mit dem Kopf seines verehrten geistigen Ordensoberhaupts – Bruder Narev.« Sie senkte bedeutungsvoll die Stimme. »Schließlich entdeckte Jagang die Nachricht, die man beim Kopf zurückgelassen hatte.«