»Wenn der Gegenstand, den Cara berührt hat, von einem mit der Gabe Gesegneten verändert worden ist, würdest du, da du Magie nicht wahrnehmen kannst, etwas sehen können, das uns vorenthalten bleibt, nämlich das, was sich hinter der Magie verbirgt.«
»Und du glaubst, das könnte dir etwas Wichtiges verraten?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es nützlich, vielleicht auch nicht, aber auf jeden Fall möchte ich wissen, was du – mit deinem besonderen Blick – siehst, ohne von uns vorher beeinflußt worden zu sein.«
»Wenn du so besorgt um diesen Gegenstand bist, warum hast du ihn dann überhaupt zurückgelassen? Hast du keine Angst, jemand könnte ihn zufällig finden und mitnehmen?«
»Ich mache mir über alles mögliche Sorgen.«
»Selbst wenn er durch Magie ein wenig verändert worden wäre und sie sein wahres Wesen erkennt«, gab Cara zu bedenken, »heißt das noch lange nicht, daß er nicht mehr das ist, was wir in ihm sehen, oder daß er weniger gefährlich geworden wäre.«
Richard nickte. »Aber zumindest erhalten wir diese zusätzliche Information. Was immer wir herausfinden, könnte für uns von Nutzen sein.«
Cara legte mürrisch die Stirn in Falten. »Ich will doch nur, daß sie ihn wieder herumdreht.«
Richard bedachte sie mit einem Blick, der ihr unmißverständlich zu verstehen gab, kein Wort mehr über dieses Thema zu verlieren. Cara beugte sich mit einem verärgerten Schnauben vor, schnappte sich eine von Richards getrockneten Aprikosen und steckte sie sich in den Mund – nicht ohne ihm dabei einen mißbilligenden Blick zuzuwerfen. Als alle ihr Abendessen beendet hatten, schlug Jennsen vor, die Lebensmittel sicherheitshalber wieder auf dem Wagen zu verstauen, damit die stets hungrige Betty sich in der Nacht nicht daran gütlich tun könne.
Kahlan fand, daß man Friedrichs Alter Rechnung tragen sollte, und fragte ihn, ob er die erste Wache übernehmen wolle; er nahm das Angebot dankbar lächelnd mit einem Nicken an.
Nachdem er Kahlans und sein Bettzeug ausgerollt hatte, löschte Richard die Laterne. Trotz der drückenden Hitze war die Nacht kristallklar, sodaß Kahlan, nachdem sich ihre Augen an die geringe Helligkeit gewöhnt hatten, im Licht des schier endlosen Sternenhimmels gerade eben genug erkennen konnte.
Als sie sich schließlich neben Richard niederlegte, sah Kahlan die dunklen Umrisse Jennsens sich neben ihrer Ziege zusammenrollen und die beiden Zwillingsjungtiere behutsam in ihre Arme schließen, wo sie es sich rasch bequem machten.
Richard beugte sich über sie und küßte sie auf die Lippen. »Ich liebe dich, weißt du das?«
»Falls wir jemals wieder einen Augenblick für uns alleine haben sollten«, erwiderte Kahlan im Flüsterton, »wünsche ich mir mehr als nur einen flüchtigen Kuß.«
Er lachte leise und gab ihr noch einen Kuß auf die Stirn, ehe er sich mit dem Rücken zu ihr auf die Seite drehte. Sie hatte ein zärtliches Versprechen erwartet, oder doch zumindest eine scherzhafte Bemerkung.
Kahlan schmiegte sich an ihn, legte ihm eine Hand auf die Schulter und fragte leise: »Ist mit dir alles in Ordnung, Richard?«
Seine Antwort ließ länger auf sich warten, als ihr lieb sein konnte. »Ich habe rasende Kopfschmerzen, allerdings nicht dieselben Kopfschmerzen, die ich früher hatte«, sagte Richard wie als Antwort auf ihre Gedanken. »Vermutlich ist es diese grauenhafte Hitze in Verbindung mit dem langen Schlafmangel.«
»Vermutlich.« Kahlan faltete die Decke, die sie als Kopfkissen benutzte, zu einem dicken Bündel zusammen und schob sie als Stütze unter die empfindliche Stelle an ihrem Halsansatz. »Ich spüre von der Hitze auch einen Druck im Kopf.« Sie strich ihm zärtlich über seine Schulter. »Also dann, schlaf gut.«
Erschöpft und am ganzen Körper zerschlagen, wie sie war, war es ein herrliches Gefühl, sich endlich ausstrecken zu können. Dank der fest zusammengefalteten Decke unter ihrem Nacken ging es auch ihrem Kopf bald besser. Die Hand noch immer auf Richards Schulter, spürte sie seinen ruhigen Atem und sank schon bald in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
5
Als Caras sanftes Rütteln an ihrer Schulter sie wieder weckte, glaubte sie eben erst eingeschlafen zu sein.
Blinzelnd blickte sie zu der vertrauten, über ihr stehenden Gestalt hoch. Sie hätte viel dafür gegeben, weiterschlafen zu können, in Ruhe gelassen zu werden, um sich wieder dem süßen Schlaf hinzugeben.
Statt dessen fragte sie: »Meine Wache?«
Cara nickte. »Wenn Ihr wollt, kann ich sie übernehmen.«
Kahlan richtete sich auf, warf einen Blick über die Schulter und sah, daß Richard noch immer tief und fest schlief. »Nein«, antwortete sie leise. »Seht zu, daß Ihr ein wenig Schlaf bekommt. Ihr braucht dringend etwas Ruhe.«
Kahlan gähnte und streckte sich, dann faßte sie Cara beim Ellbogen und zog sie ein kleines Stück fort, bis sie außer Hörweite waren. »Ich glaube, Ihr habt Recht. Wir sind mehr als genug, um Wache zu stehen und trotzdem ausreichend Schlaf zu bekommen. Lassen wir Richard bis zum Morgen durchschlafen.«
Cara willigte mit einem Lächeln ein, ehe sie sich zu ihrem Bettzeug hinüberbegab. Einer Mord-Sith war jedes Komplott recht, solange es Richards Sicherheit diente.
Während Kahlan sich das Haar aus dem Gesicht strich und es über ihre Schulter warf, ließ sie ihren Blick auf der Suche nach irgend etwas Ungewöhnlichem über die trostlose Wüste schweifen. Rings um das Lager war es totenstill; am Horizont verdunkelte die schroffe Zackensilhouette des Gebirges den weiten, mit funkelnden Sternen übersäten Himmel.
Sie ließ ihren Blick sorgfältig über ihre Gefährten schweifen und vergewisserte sich, daß sie niemanden vergessen hatte. Cara hatte es sich offenbar bereits behaglich gemacht. Tom schlief unweit der Pferde, jenseits von ihnen hatte Friedrich sich schlafen gelegt. Jennsen lag zusammengerollt neben Betty, schien aber, nach ihren unruhigen Bewegungen, wenn sie sich von der Seite auf den Rücken wälzte, nicht zu schlafen. Die Ziegenjungen hatten sich ein kleines Stück entfernt und lagen nun, alle Viere von sich gestreckt, mit dem Kopf fest an ihre Mutter geschmiegt.
Beim Wachwechsel war Kahlan stets besonders aufmerksam. Sie begab sich zu einer nicht weit von Richard entfernten Felsformation, stemmte sich rücklings hoch und ließ sich auf einer erhöhten Stelle nieder, um die vollkommen leblose Umgebung besser im Blick zu haben. Selbst jetzt, mitten in der Nacht, verströmte das rauhe Felsgestein noch die unerbittliche Hitze des vergangenen Tages. Wenn doch wenigstens ein leichter Windhauch aufgekommen wäre.
Nicht lange, nachdem sie sich auf ihrem Posten eingerichtet hatte, sah sie Jennsen sich von ihrer Decke erheben und, darauf bedacht, keinen der anderen zu wecken, leise durch das Lager schleichen.
»Was dagegen, wenn ich mich zu dir setze?«, fragte sie, als sie schließlich bei ihr angelangt war.
»Aber nein.«
Jennsen stemmte sich mit dem Rücken zum Felsen hoch und setzte sich dicht neben Kahlan, zog die Knie an, schlang ihre Arme darum und zog sie dicht an ihren Körper. Eine Weile starrte sie wortlos hinaus in die Nacht.
Schweigend saßen sie nebeneinander und beobachteten die menschenleere Ödnis. Ab und zu warf Kahlan einen Blick auf Richard, der sich unruhig im Schlaf wälzte, bis schließlich auch Jennsen mit wachsender Besorgnis zu ihm hinübersah. Zu Kahlan gebeugt, sagte sie leise: »Irgendwas scheint mit ihm nicht zu stimmen.«
»Er hat einen Alptraum.«
Wie schon so oft, sah Kahlan ihn im Schlaf die Hände zu Fäusten ballen, während er lautlos gegen einen Schrecken ankämpfte, den nur er allein kannte.
»Wenn man ihn so sieht könnte man es mit der Angst bekommen«, sagte Jennsen. »Er scheint wie verwandelt. Wenn er wach ist, macht er immer einen so ... vernünftigen Eindruck.«
»Mit Vernunft ist einem Albtraum nicht beizukommen«, erwiderte Kahlan in stiller Sorge.
6
Richard schreckte aus dem Schlaf hoch.
Sie waren wieder da.