Er hatte schlecht geträumt, aber wie stets konnte er sich nicht an seinen Traum erinnern; daß es ein schlimmer Traum gewesen sein mußte, wußte er nur deshalb, weil er dieses unbestimmte Gefühl atemlosen, den Puls beschleunigenden, panischen Entsetzens hinterlassen hatte. Er schüttelte den bedrückenden Alptraum ab wie eine zerwühlte Decke. Das Gefühl, die finsteren Wesen aus den letzten Überresten seines Traums hätten noch nicht von ihm abgelassen und versuchten ihn in ihre Welt zu zerren, war zwar noch nicht vollends abgeklungen, trotzdem wußte er natürlich, daß Träume ins Reich der Seele gehörten, und maß dem keine tiefere Bedeutung bei. Jetzt, im Wachzustand, klang das beängstigende Gefühl rasch ab – wie Morgendunst, der sich unter der Einwirkung warmer Sonnenstrahlen verflüchtigte.
Gleichwohl hatte er einige Mühe, seinen Atem zu beruhigen.
Entscheidend war, daß sie wieder da waren. Nicht immer merkte er es, wenn sie zurückkehrten, aus einem unbestimmten Grund jedoch war er sich seiner Sache diesmal sicher.
Irgendwann im Laufe der Nacht war der Wind aufgefrischt; hier draußen in der drückenden Hitze der Wüste boten die heißen, alles verdorrenden Windstöße jedoch keine Linderung von der Hitze. Der Wind war alles andere als erfrischend und so heiß, als hätte jemand die Tür eines Schmelzofens aufgestoßen, dessen Glut ihm jetzt die Haut versengte.
Richard ließ seinen Blick über ihr kleines Lager schweifen und konnte über dem östlichen Himmel einen schwachen rötlichen Schimmer erkennen. Bis zur Dämmerung war es noch ein wenig hin.
Plötzlich wurde er sich bewußt, daß er seine Wache verschlafen hatte. Bestimmt hatten Cara und Kahlan entschieden, daß er den Schlaf dringender brauchte, als er an der Reihe gewesen wäre, um Wache zu stehen, und hatten sich stillschweigend darauf geeinigt, ihn nicht zu wecken. Wahrscheinlich hatten sie sogar Recht gehabt.
Erfreulicherweise waren seine Kopfschmerzen verschwunden.
Leise und vorsichtig, um sie nicht zu wecken, löste er sich von Kahlan und griff instinktiv nach seinem auf seiner anderen Seite liegenden Schwert. Das Metall fühlte sich warm an, als sich seine Finger um das vertraute, aus Gold und Silber gearbeitete Heft schlossen. Es war stets ein beruhigendes Gefühl, das Schwert griffbereit neben sich zu wissen, erst recht in einem Augenblick wie diesem. Lautlos und schwungvoll kam er auf die Beine, streifte sich dabei den Waffengurt über den Kopf und legte den geschmeidigen, vertrauten Lederriemen über seine rechte Schulter, sodaß das Schwert, als er schließlich aufrecht stand, bereits an seiner Hüfte hing.
So beruhigend der Gedanke war, die Waffe an seiner Hüfte zu spüren – seit dem Gemetzel bei den Säulen der Schöpfung bereitete ihm bereits die Vorstellung, es zu ziehen, Übelkeit. Ein Schaudern überlief ihn bei dem Gedanken, was er alles damit angerichtet hatte – aber hätte er es nicht getan, würde Kahlan vermutlich jetzt nicht friedlich neben ihm schlummern. Sie wäre tot.
Und noch etwas Gutes war dabei herausgekommen: Jennsen war in letzter Sekunde gerettet worden. Er betrachtete sie liebevoll, wie sie zusammengerollt neben ihrer Ziege lag, den Arm um deren kleine Junge gelegt. Es stimmte ihn froh, daß sie seine Nähe suchte, auch wenn er sich jetzt auch noch um ihre Sicherheit kümmern mußte. Aber im Grunde war man ohnehin nirgends wirklich sicher, solange die von der Imperialen Ordnung entfesselten Kräfte nicht besiegt oder doch wenigstens wieder in die Schranken gewiesen waren.
Ein kräftiger Windstoß fegte durch das Lager und wirbelte eine dichte Staubwolke auf. Blinzelnd versuchte er zu verhindern, daß ihm der treibende Sand in die Augen wehte. Auch das Geräusch des Windes störte, da es alle anderen Geräusche überdeckte. So angestrengt er auch horchte, außer dem Wind war nichts zu hören.
Die Augen gegen den wirbelnden Sand zu schmalen Schlitzen zusammengepreßt, sah er Tom, den derzeitigen Wachtposten, auf seinem Wagenbock sitzen und mal in diese, mal in jene Richtung spähen. Friedrich schlief jenseits der Pferde, Cara nicht weit entfernt neben Kahlans der Wüste zugewandten Seite – gewissermaßen als Schutzwall zwischen ihnen und allem, was sich dort draußen verbergen mochte. Wegen des kargen Sternenlichts hatte Tom ihn noch nicht bemerkt; als er das nächtliche Dunkel in der entgegengesetzten Richtung mit den Augen absuchte, entfernte sich Richard aus dem Lager und überließ die anderen Toms Wachsamkeit.
Im Schutz der Dunkelheit fühlte er sich sicher; in zahllosen Jahren des Übens hatte er gelernt, unbemerkt von Schatten zu Schatten zu schleichen und sich im Dunkeln geräuschlos zu bewegen. Genau das tat er jetzt. Alle Sinne auf das konzentriert, was ihn geweckt hatte und was die anderen Posten vermutlich gar nicht spürten, ließ er das Lager hinter sich zurück.
Im Gegensatz zu Tom war seine Bewegung den Riesenkrähen keineswegs entgangen. Hoch oben am Himmel kreisten sie und folgten ihm, als er sich vom Lager durch das zerklüftete Gelände entfernte. Vor dem schwarzen Nachthimmel waren sie fast unsichtbar, doch Richard vermochte sie zu erkennen, sobald sie die Sterne verdeckten – verräterische Schatten, die er nicht nur sah, sondern auch zu spüren glaubte.
Plötzlich vernahm er das vertraute Rauschen, als einer der riesigen Raubvögel am Himmel vorüberschoß. Die Riesenkrähe änderte im Flug die Richtung und ließ sich von einer Bö höher tragen, um ihn neugierig zu betrachten.
Unmittelbar hinter ihr folgte eine zweite, dann noch eine dritte, bis sie schließlich zu fünft in lockerer Formation lautlos über die offene Wüste davonglitten. Ihre weit gespreizten Schwingen schwankten leicht, da sie in dem böigen Wind Mühe hatten, ihren Kurs zu halten. Kaum waren sie ein Stück entfernt, machten sie in einem weiten, aufsteigenden Bogen kehrt und kamen im Gleitflug zu ihm zurück.
Kurz bevor sie ihn erreichten, legten sie sich in eine Kehre und begannen zu kreisen. Normalerweise konnte man das leise Rascheln ihrer Federn hören, wenn sie ihre mächtigen Schwingen schlugen, doch wegen des starken Windgeräusches war das jetzt unmöglich. Ihre schwarzen Augen beobachteten ihn, wie er sie betrachtete. Sie sollten ruhig wissen, daß er ihre Gegenwart bemerkt und ihre nächtliche Rückkehr nicht verschlafen hatte.
Doch obwohl er sie keinen Moment aus den Augen ließ, vermochte er sich nicht vorzustellen, was sie mit ihrem Tun bezweckten. Er hatte dieses Verhalten früher schon bei ihnen beobachtet, ohne es wirklich zu verstehen. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß er ihre Gegenwart immer dann gespürt hatte, wenn sie dieses merkwürdige Verhalten an den Tag legten, sonst dagegen nicht. Hatte er Kopfschmerzen gehabt, so waren diese, wenn sie zu ihm zurückkehrten, sofort verschwunden.
Den heißen Wind im Haar, ließ Richard den Blick über die trostlose, noch immer im staubigen Dämmerlicht kurz vor Sonnenaufgang daliegende Wüste schweifen. Dieser Ort bar allen Lebens, wo der Anbruch eines neuen Tages keineswegs eine zu neuem Leben erwachende Welt verhieß, behagte ihm kein bißchen. Am liebsten wäre er jetzt mit Kahlan in den Wäldern seiner Heimat gewesen. Er konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken, als er an den Ort in den Bergen dachte, wo sie den letzten Sommer verbracht hatten. Dort war es so herrlich gewesen, daß sich sogar Cara von der heiteren Stimmung hatte anstecken lassen ...
Völlig unvermittelt kippten die Riesenkrähen ihre breiten Schwingen, zogen ihre Kreise enger und näherten sich dem Wüstenboden. Er wußte, sie würden dieses Verhalten für kurze Zeit beibehalten, bis sie ihre Formation schließlich auflösten und wieder auf eine normale Flugbahn zurückkehrten. Bisweilen vollführten sie, wie man es oft bei Krähen beobachten konnte, im eleganten, perfekt eingespielten Paarflug spektakuläre Flugkunststücke, im Übrigen aber entsprach dieses gelegentliche Kreisen in einer fest gefügten Gruppe nicht ihrem gewohnten Verhalten.
Plötzlich, ihre tiefschwarzen Schatten hatten sich zu einem engen Strudel verdichtet, erkannte Richard, daß die aufgewirbelten Sandschleier unter ihnen keineswegs ziellos vom Wind hin und her geweht wurden, sondern in einer seltsam fließenden Bewegung eine unsichtbare Leere auszusparen schienen.