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Sie trafen Königin Sieglind im großen Festsaal, wo sie dem Kämmerer, dem Mundschenk und dem Truchseß Anweisungen für die bevorstehende Empfangsfeier gab. Sieglind war eine beeindruckend schöne Frau, obwohl ihre Kleidung schlicht und schwarz war wie immer seit jenem Tag, als die heimkehrenden Recken ihr die Kunde von König Siegmunds Tod gebracht hatten. Viele Fürsten hatten seitdem um sie geworben, aber seltsam, Sieglind schien ihrem Gemahl die Treue bis über den Tod hinaus zu halten. Oft sprach sie gar von ihm, als lebe er noch.

Ein Lächeln zog über ihr ebenmäßiges Gesicht, als Reinhold und Siegfried auf sie zuschritten. Siegfried wollte die ehrfürchtige Verbeugung seines Zuchtmeisters nachahmen, aber Sieglind streckte die Arme aus und zog den Sohn an sich.

»Groß und stark bist du geworden, wie dein Vater«, sagte sie anerkennend. »Früher hätte dein Kopf an meiner Brust geruht, jetzt muß ich zu dir aufsehen, wenn ich mit dir spreche.«

Siegfried fühlte sich ein wenig verlegen. Er wußte nicht, ob er sich gegenüber der Mutter als Edelmann oder als Sohn verhalten sollte, hier, vor aller Augen.

Die Königin wollte den Truchseß beauftragen, den Gästen Speise und Trank zu bringen, als ein Bote meldete, daß die friesischen Schiffe vor Xanten erschienen waren. »Jetzt werdet ihr König Hariolf mit knurrenden Mägen empfangen müssen«, seufzte Sieglind und strich dem Sohn zärtlich über das Haar. »Aber du solltest dich umziehen, Siegfried. Dein ledernes Wams und die einfache Hose mögen einem Schmied gut zu Gesicht stehen, aber der zukünftige König der Niederlande sollte ruhig ein wenig prunken.«

Als er zu seiner Mutter und einer Anzahl edler Herren auf einen der Rheintürme stieg, trug Siegfried ein golddurchwirktes Gewand aus feinstem friesischem Tuch, das Sieglind für ihn mit Rücksicht auf die Gäste ausgesucht hatte. Seinen Umhang zierte das Wappen des Xantener Königshauses: auf blauem Grund ein roter Falke, der seine Schwingen schützend über den güldenen Zinnen einer Feste ausbreitete. Man nannte Siegfrieds Geschlecht auch die Falken vom Rhein.

Zu denen, die von hier oben die Ankunft der Friesen beobachteten, gehörten Reinhold und Severin, der kugelbäuchige Bischof von Xanten. Alle starrten gebannt über die Zinnen des Wehrturms auf den Fluß hinunter, wo sich mit kräftigen Riemenschlägen eine nicht enden wollende Reihe von Schiffen gegen die Strömung voranschob. Die Flotte sah aus wie ein sagenhafter Lindwurm, der aus Holz und Segeltuch bestand. Über jedem Schiff wehte das Banner des Friesenkönigs im frischen Wind, der die Kommandos der Schiffsführer und Steuerer bis auf den Wehrturm trug.

»Eine ordentliche Streitmacht, mit der Hariolf da anrückt«, brummte Reinhold mit deutlicher Mißbilligung. »Das will mir gar nicht gefallen!«

»Der Krieg mit den Friesen ist seit fünf Jahren vorbei, Graf Reinhold«, belehrte ihn Sieglind.

»Aber wir haben nur Waffenstillstand geschlossen, keinen formellen Frieden«, wandte der berühmte Waffenschmied ein, der neben König Siegmund und Graf Grimbert der wichtigste Heerführer im Friesenfeldzug gewesen war.

»Eben deshalb haben wir König Hariolf eingeladen«, sagte die Königin, und ihre Miene verdüsterte sich. »Vielleicht können wir endlich die große Schuld abtragen, die wir vor fünf Jahren auf uns genommen haben.«

Niemand erwiderte etwas. Betretenes Schweigen und angestrengte Blicke hinunter zum Fluß, wo die ersten Friesenschiffe Anker warfen. Am Hof von Xanten sprach man nicht gern über den Friesenfeldzug und über das, was zu König Siegmunds Tod geführt hatte.

In ihrer wüsten Raserei hatten die niederländischen Recken alles niedergebrannt, nicht nur Burgen, auch Städte und sogar Klöster. In einem Nonnenkloster, das unter Siegmunds Führung geplündert und gebrandschatzt wurde, starb König Hariolfs Gemahlin, Königin Amata.

So ausführlich hatte niemand die Geschichte Siegmunds Sohn erzählt. Er hatte sie sich selbst zusammengesetzt, aus Bruchstücken und Andeutungen. Und er wollte nicht glauben, daß sein Vater so gegen alle Ritterlichkeit verstoßen hatte. Er wußte nicht, was schlimmer war, die Schande oder der Tod des Vaters.

»Die Grenzstreitigkeiten, die damals zum Krieg mit Friesland führten, sind noch nicht beigelegt«, brach Reinhold das Schweigen.

»Dann werden wir sie beilegen!« erklärte Sieglind mit Nachdruck.

Reinhold sah sie entsetzt an. »Wollt Ihr etwa nachgeben, Königin, und auf unsere Grenzmarken verzichten? Auf das, wofür wir so hart gekämpft haben, wofür so viele Recken gestorben sind? Das könnt Ihr nicht tun!«

»Ich kann es tun«, entgegnete Sieglind mit ruhiger Bestimmtheit. »Denn wie Ihr eben sagtet, Graf Reinhold, ich bin die Königin!«

»Ihr habt recht, hohe Frau«, mischte sich Severin ein. »Der Friede ist mehr wert als ein paar Ländereien.«

»Zumindest dann, wenn es nicht das Land der Kirche ist«, schnaubte Reinhold und erntete einen erbosten Blick des Bischofs.

Am Ufer formierte sich der Zug der Gäste in Richtung Burg. Pferde wurden über wacklige Planken an Land geführt. Krieger und Dienstmannen nahmen in geordneten Reihen Aufstellung.

»Wir sollten hinunter in den Burghof gehen«, sagte Sieglind. »Es macht einen schlechten Eindruck, wenn wir König Hariolf von hier oben begrüßen - wie die neugierigen Vögel, die wir in Wahrheit sind.« Wieder strich sie über Siegfrieds Haar. »Schön, daß du rechtzeitig gekommen bist, Siegfried. So ist unsere kleine Familie zum Empfang beisammen.«

»Nicht ganz«, warf Bischof Severin ein. »Der götzendienerische Ketzer Grimbert fehlt wie immer.« Für diese Worte bedachte die Königin ihn mit einem strafenden Blick. Schamhafte Röte überzog das runde Bischofsgesicht. »Verzeiht, hohe Frau, das ist mir so entfahren!«

Mit knappem Nicken ging Sieglind an ihm vorbei, hinunter in den Burghof.

»Mußtet Ihr Grimbert erwähnen?« fuhr Reinhold den Bischof leise an.

Grimbert war Sieglinds älterer Bruder, er hatte ihr stets als treuer Beschützer zur Seite gestanden und hätte als Siegfrieds Oheim nach alter Sitte die Erziehung des Prinzen übernehmen sollen. Aber nach dem Friesenfeldzug, auf dem er Seite an Seite mit König Siegmund und Graf Reinhold gekämpft hatte, war er wie verwandelt und kümmerte sich kaum noch um seine Aufgaben am Hofe. Dem Christengott hatte er noch nie viel abgewonnen. Nun aber lästerte Grimbert öffentlich wider ihn. Immer öfter zog er hinaus in die Wälder, und man munkelte, er bete an geheimen Orten die alten Götter an. Ein Runenkundiger sollte er sein, ein Seher und Zauberer. Je seltener er sich in Xanten zeigte, desto wilder wucherten die Gerüchte. Seit zwei Jahren schien er gänzlich verschollen, und die von seinem Tod gehört haben wollten, mehrten sich.

Posaunengeschmetter begleitete den Einzug der Friesen in die Königsburg. Der Xantener Hof bildete ein weites Halbrund, um die Gäste zu begrüßen.

Siegfried, der neben seiner Mutter stand, erkannte König Hariolf sofort, obgleich er ihn niemals zuvor gesehen hatte. Ein nicht übermäßig großer, aber kräftiger und stolzer Mann auf einem edlen Rappschecken. Ein lockiger Bart, rotbraun wie das Haar, zierte Wangen und Kinn, ließ aber die Oberlippe frei. Das Gesicht war von tiefen Linien durchzogen, und jede stand für mehr als ein erlittenes Leid.

Es sah so aus, als wolle er die Königin der Niederlande beleidigen und sie vom Pferd aus, von oben herab, begrüßen. Aber dann schloß er die schon geöffneten Lippen wieder und stieg zur allgemeinen Erleichterung des Xantener Hofstaates aus dem silberbeschlagenen Sattel. Er verbeugte sich vor Sieglind und grüßte sie als hohe Frau und gnädige Königin.

Sie erwiderte den Gruß, hieß den Gast willkommen und stellte ihm ihre wichtigsten Berater und ihren Sohn vor. Die Reihe war wieder an Hariolf, der seine Kinder mitgebracht hatte, Sohn und Tochter.