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»Ja, mach weiter!« feuerte er die Friesin an.

Amke arbeitete ohne Unterlaß, bis Siegfried glaubte, daß es genug sei. Er preßte sämtliche Luft aus seinen Lungen, machte sich so dünn wie möglich und zog die Arme hoch. Wieder riß scharfkantiger Stein seine Haut auf, aber es gelang. Erst kam der linke, dann auch der rechte Arm frei. Siegfried stützte sich mit den Händen auf und kletterte mit Amkes Hilfe aus der beinahe tödlichen Falle.

Vor seinen Füßen lag die Königsotter. Ihr Leib zitterte leicht.

Sie war noch immer nicht tot!

Er erinnerte sich an das entwürdigende Gefühl, ausgeliefert zu sein. Von Abscheu und Zorn gepackt, trat er zu, hieb den Stiefelabsatz immer wieder auf den gemusterten Körper, zertrat ihn, bis der Schlangenkopf endgültig vom Leib getrennt war.

Die Wut ließ nach, aber nicht der Widerwille, den er beim Anblick der toten Otter empfand. Er spürte einen plötzlichen Druck in der Magengegend. Mit vorgekrümmtem Leib, die Rechte an eine Felsnadel gestützt, übergab er sich, bis er nur noch grünliche Galle erbrach.

Als es vorbei war, drehte er sich mit verschämtem Blick zu Amke um. Sich eine solche Blöße gegeben zu haben war, eines Mannes unwürdig.

»Du warst sehr tapfer, Siegfried«, sagte Amke. »Ich habe gesehen, wie du... zugebissen hast. Ich glaube, ich an deiner Stelle wäre vor Angst gestorben.«

»Das wäre ich auch fast«, erwiderte er leise, ohne sie anzuschauen.

»Du bist der tapferste Recke, den ich kenne«, erklärte sie mit ehrlicher Bewunderung. »Du wärst gewiß nicht aus Angst vor einem Geist von der Lichtung geflohen.«

Siegfried verstand den Sinn ihrer Worte nicht und bat Amke um Erklärung.

Sie berichtete von der geisterhaften Gestalt, die sie gesehen hatte und die sie inzwischen nur noch für eine Einbildung hielt, für einen Lichtreflex vielleicht.

Amke hatte keine Fackel bei sich gehabt. Hätte sie all das Getier gesehen, das um ihre Füße strich, hätte sie sich vielleicht aus Furcht auf einen erhöhten Felssims verkrochen. So aber war sie weitergelaufen, von der Hoffnung beseelt, möglichst bald auf Siegfried zu treffen. Bis sie den Fackelschein sah, nicht vor sich auf dem Hauptweg, sondern von links kommend. Zögernd war sie ihm gefolgt und hatte Siegfried in dem Augenblick erreicht, als er die Königsotter zerbiß.

»Jetzt bin ich also hier«, seufzte sie. »Und wegen meiner dummen Furcht habe ich Graufell losgebunden. Er ist wohl schon weit fort, und wir müssen zu Fuß zum Lager zurückkehren.«

»Das wird sich finden«, erwiderte Siegfried nachdenklich. »Erst einmal müssen wir entscheiden, was wir mit dir machen.«

»Mit mir?« Amke verzog das Gesicht vor Verwunderung. »Ich dachte, wir kehren jetzt gemeinsam zurück.«

»Ich bin noch nicht am Ziel, Amke.«

»Du meinst, du willst noch weiter in die Höhle hinein?«

Er nickte.

Amke sah auf die tote Schlange und auf die Grube. »Was auch immer du hier suchst, ich hoffe, es lohnt sich und ist mindestens so wertvoll wie der Nibelungenhort.«

»Der Nibelungenhort?« Siegfried horchte auf.

Amke zuckte mit den Schultern. »Nur eine alte Geschichte von einem unermeßlich großen und kostbaren Schatz. Als ich klein war, hat meine Mutter manchmal davon erzählt. Wenn ich aus Versehen etwas kaputt gemacht hatte, sagte sie manchmal, man müßte den Hort der Nibelungen finden, um sich ein Kind wie mich zu leisten.«

»Den Hort der Nibelungen«, wiederholte Siegfried leise, fast andächtig. »Schade, daß es nur eine Geschichte ist.«

»Ja, schade«, stimmte Amke zu und fragte dann: »Gehen wir weiter?«

Er sah sie forschend an. »Du willst wirklich mitkommen?«

»Ja. Und ich verspreche, keine Fragen zu stellen.«

Siegfried überlegte. Jetzt, wo er schon so weit vorgedrungen war, hätte es ihn schwer getroffen, umkehren zu müssen. Und er konnte Amke schlecht allein zurückschicken oder gar bei den Schlangen zurücklassen. Außerdem schien es ihm draußen auf der Lichtung nicht mehr sicher zu sein. Zwar hatte er sich bei Amkes Erzählung nichts anmerken lassen, aber er hielt die seltsame graue Gestalt keineswegs für eine Sinnestäuschung. Schon im Königswald und in Xanten hatte er selbst den Unheimlichen erblickt, den Grauen Geist!

Wer war er? Suchte er auch nach dem Runenschwert? Wollte er Siegfried daran hindern, das Erbe seines Vaters anzutreten?

»Also gut«, sagte er. »Ich nehme dich mit, in der Hoffnung, daß du dich nicht als Last erweist.«

»Als Last?« rief sie empört. »War ich etwa eine Last, als ich die Schlangen vertrieb und dir aus der Grube half?«

»Nein, verzeih. Ich schulde dir mein Leben.«

»Nein, du hast auch mein Leben gerettet«, entgegnete Amke und dachte an den Bären. »Welchen Weg nehmen wir?«

»Wir versuchen es mit dem Hauptgang. Wenn der Boden hier an mehreren Stellen brüchig ist, könnte es übel enden.«

»Sind im Hauptgang keine Schlangen?«

»Nicht, wenn die furchterregende Walküre Amke sie vertrieben hat«, erwiderte Siegfried mit einem Lächeln. »Und wenn doch, müssen wir uns auf die Fackeln verlassen.«

Er zog eine zweite Fackel aus seinem Gepäck, entzündete sie an der ersten und reichte sie Amke. Dann kehrten sie zum Hauptgang zurück. Sie gingen langsam und beleuchteten sorgfältig Boden, Wände und Decke. Außerdem stieß Siegfried mit dem stumpfen Spießende bei jedem Schritt vor sich auf den Boden, um eine neue Falle rechtzeitig zu bemerken.

Tiefer und tiefer drangen sie in den Leib der steinernen Riesenschlange ein. Sie wurden nicht mehr von Schlangen angegriffen. Die einzigen Wesen, denen sie begegneten, waren Ratten, Schnecken, handgroße Spinnen und Fledermäuse, die mit dem Kopf nach unten an der Decke hingen, ihren pelzigen Körper zum Schlafen mit den lederartigen Flügeln bedeckt, so daß nur die spitzen Schnauzen herausschauten.

Die Fackeln beleuchteten den Weg, doch auf einmal wurde es vor ihnen heller. Kein rötlich tanzendes Licht wie das der Fackeln, sondern ein natürlicher Schein, den Strahlen der Sonne ähnlich.

Es war tatsächlich Sonnenlicht!

Sie waren dem Ziel nahe, und Siegfried beschleunigte seine Schritte. Er vergaß vor Aufregung sogar seine Vorsicht und tastete den Höhlenboden nicht länger mit dem Spieß ab.

»So warte doch!« rief Amke hinter ihm. »Siegfried, was hast du denn?«

»Da vorn muß es sein!« antwortete er über die Schulter.

»Was?«

Ohne zu antworten, bog er um eine Reihe grober Felsnadeln - und blieb stehen, gebannt von dem Schauspiel, das sich ihm darbot.

Vor ihm erstreckte sich ein unterirdischer Teich, fast schon ein See, aus dessen Mitte eine große Felsnadel ragte. Viele Verästelungen erhoben sich über das grünblau schimmernde Wasser. Das alles sah Siegfried überdeutlich, weil durch einen fast mannsbreiten Schacht das Sonnenlicht einfiel. Zu eng, um hindurchzuklettern, aber breit genug, den Felsen im See zu beleuchten.

Siegfried wunderte sich, daß Reinhold nichts von dem Gewässer erzählt hatte. Der Boden vor Siegfried mußte abschüssig sein und hatte sich aus einem unbekannten Grund in den vergangenen Jahren mit Wasser gefüllt.

Und das Runenschwert?

Siegfried schritt an den Rand des Gewässers und suchte den zerklüfteten Felsen sorgsam mit den Augen ab. Da, in einer Spalte, blinkte etwas im Sonnenlicht. Er strengte seine Augen an und erkannte blitzenden Stahl.

»Da ist es!« stieß er hervor.

»Meinst du das Leuchten in dem Felsen?« fragte Amke, die neben ihn getreten war. »Sieht aus wie ein Dolch.«

»Eine Schwertspitze!«

»Seltsam«, meinte die Friesin. »Wie kommt die hierher?« Als sie seinen düsteren Blick bemerkte, seufzte sie: »Was willst du jetzt unternehmen?«

»Ich werde mir den Stahl holen! Deshalb sind wir hier.«

Seines Wamses und der Stiefel ledig, schwamm Siegfried mit kräftigen Zügen durch das überraschend warme Wasser. Fast wie in einer Badestube. Es lag wohl an der Sonne, die den See den ganzen Tag lang beschien. Siegfried hatte seine Ausrüstung bei Amke zurückgelassen, bis auf den Dolch an seiner Seite und den ausgeleerten Ledersack auf seinem Rücken, in dem er seine Beute verstauen wollte.