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Siegfried schloß den Kasten auf - und zögerte plötzlich, den Deckel aufzuklappen. Was, wenn der Schwertgriff verschwunden war?

Unsinn! sagte er sich.

Mit einer entschlossenen Bewegung schlug er den Deckel hoch und sah das Wolltuch, in das er die in der Wolfsburg erbeutete Schwerthälfte gewickelt hatte. Hastig zog er das Tuch auseinander - und blickte auf den Schwertgriff, erleichtert und aufgewühlt zugleich.

Andächtig, beinah zärtlich strich er über den vergoldeten Griff und die mit Gold verzierten Runen, bevor er die Spitze danebenlegte. Stärker als je zuvor spürte er den seltsamen Zauber, der von dem Schwert ausging. Die Schwertmagie schien auf ihn überzugehen, während er gleichzeitig die Magie beeinflußte. Mensch zu Stahl und Stahl zu Mensch. So fühlte er, während seine Hände wieder und wieder über die Waffe strichen. Er stellte sich vor, wie beglückend es erst sein mußte, wenn das Schwert wieder zusammengefügt war, eine unschlagbare Waffe in seinen Händen!

Aber wie sollte er die Teile zusammenschmieden?

Die Schwertleite fand schon in fünf Tagen statt. Wenig Zeit für Siegfried, heimlich aus dem zerbrochenen Schwert ein ganzes zu schmieden. Gewiß, Reinhold hatte ihn die Schmiedekunst gelehrt. Aber was war, wenn Siegfried einen Fehler beging? Wenn er die Magie des Runenschwertes für immer zerstörte?

Dieser Gedanke hielt Siegfried davon ab, in der Nacht in die Schmiede zu schleichen und ganz allein die Schwerthälften zu vereinen. Er benötigte Hilfe, die Hilfe des besten und erfahrensten Schmieds im ganzen Königreich. Die Hilfe Reinholds!

Im Durchgang zum Speisesaal der Schwertburg, wo er Reinhold zu finden hoffte, schlugen Siegfried Gelächter und Gesang entgegen, der von Leiermusik begleitet wurde. Es hatte einen fahrenden Sänger auf die Burg verschlagen, einen noch sehr jungen Burschen, den sie Volker riefen.

Alle Holzbänke war voll besetzt. Einige Burgbewohner hockten sogar auf dem nackten Steinboden und hatten bei den niedrigen Tafeln keine Schwierigkeiten, die Speisen zu erreichen. Zwischen den Tafeln und Bänken eilten die Aufwärter mit großen Krügen und Platten umher, auf denen sich Fleisch, Fisch und Käse häuften. »Wer auf der Schwertburg lebt, arbeitet wie ein Knecht«, pflegte man zu sagen, »aber er tafelt wie ein König.«

Siegfried erhaschte die Blicke von Otter und Wieland, die an der Tafel der Schmiedeburschen saßen. Wieland sah nur kurz auf und widmete sich dann wieder der klobigen Hühnerkeule in seinen vor Fett triefenden Händen. Otter aber stellte den irdenen Bierkrug beiseite und schaute neugierig zu seinem königlichen Freund, der nach einwöchiger Abwesenheit zurückgekehrt war und noch keine fünf Worte mit ihm gewechselt hatte. Auch jetzt stand Siegfried nicht der Sinn nach einer Unterhaltung mit dem Findeljungen.

Der Xantener tat, als wische er sich etwas aus den Augen, um den Blicken Otters auszuweichen. Dann entdeckte er die Tafel der Schmiede, an der Reinhold saß. Seine dröhnende Stimme verstummte nur, wenn er von einer großen Pastete abbiß oder das silberbeschlagene Trinkhorn zum Mund führte.

Während Siegfried noch überlegte, ob es klug war, mit seinem geheimnisvollen Bündel unter dem Arm durch den Speisesaal zu gehen, stand Reinhold plötzlich auf, wischte mit einem fleckigen Tuch über seinen Mund und kam auf ihn zu. Unwillkürlich trat Siegfried ein, zwei Schritte zurück in den halbdunklen Steinbogen des Durchgangs.

»Lauf nicht fort, Siegfried!« rief Reinhold. »Meine Beine sind nicht mehr so jung, und ein Wettlauf wäre nach dem reichlichen Mahl für mich eine doppelt schwere Probe. Du bist doch gekommen, um mich zu sprechen, nicht wahr?« Er postierte sich vor Siegfried und hüllte ihn mit dem Geruch von süßlichem Met und einer würzigen Schinken-Zwiebel-Pastete ein.

»Ja, Meister Reinhold. Aber woher wißt Ihr...«

»Ich habe es gelesen.«

»Gelesen?« wiederholte Siegfried, ohne zu begreifen. In wenigen Tagen wollte er ein Mann sein, doch gegenüber Reinhold kam er sich oft noch wie ein dummer Junge vor.

»In deinen suchenden, fragenden Augen las ich es«, erklärte Reinhold. »Den Blick eines anderen zu lesen ist ebenso wichtig, wie Latein und Französisch zu verstehen. Zuweilen, besonders wenn es auf Leben und Tod geht, noch wichtiger.«

Siegfried nickte und sagte: »Ich will Euer Mahl nicht stören, aber ich möchte Euch etwas zeigen, Graf Reinhold.«

Der Waffenschmied deutete auf das zusammengelegte Wolltuch, das Siegfried bei sich trug.

Siegfried trat einen Schritt zur Seite, um Reinholds Stallmeister samt Frau und Kindern in den Speisesaal zu lassen, bevor er antwortete: »Bitte nicht hier, Meister. Ich möchte das Päckchen gern unter vier Augen öffnen.«

»Klingt geheimnisvoll«, brummte Reinhold mit leicht gerunzelter Stirn und lächelte dann. »Ich bin gesättigt, und die Dämmerstunde ist die rechte Zeit für ein solches Unterfangen. Geh also voran, ich folge dir!«

Erleichtert wandte sich Siegfried um und schritt hinaus auf den Burghof, der im bläulichen Abenddämmer lag. Aus einigen Fensteröffnungen drang Kerzenschimmer, der sich im Zwielicht des schwindenden Tages verlor. Knechte und Mägde liefen über den Hof, brachten Vorräte in die Küche oder versorgten die Tiere in den Stallungen. Das Meckern der Ziegen, das Blöken der Schafe und Rinder sowie Pferdegewieher bildeten einen eigenartigen Kontrast zu der Musik im Speisesaal.

Siegfried eilte weiter, auf der Suche nach einem verlassenen, ruhigen Ort. Die Schmiedehütten, die am Rand der Burganlagen einen hufeisenförmigen Hof bildeten, lagen schweigend und dunkel. Unter der alten Linde, die dem Schmiedehof ein natürliches Dach schenkte, hielt Siegfried an und blickte sich um.

»Außer uns ist niemand hier.« Reinhold wirkte belustigt. »Oder soll ich noch Wachen aufstellen, damit keiner den Hof betritt?«

Siegfried schüttelte den Kopf. Er kniete sich hin und wickelte das Tuch auseinander, das er auf den Boden unter der Linde legte. Der Himmel warf noch genug Licht, um die beiden Schwerthälften deutlich hervorzuheben. So deutlich, daß es wirkte, als leuchte das Runenschwert, als gehe ein unwirklicher blauer Schimmer von ihm aus.

Reinhold ließ sich langsam neben seinem Ziehsohn auf die Knie sinken und betrachtete schweigend und mit ungläubig aufgerissenen Augen den Stahl. Auf dem Schmiedehof war es so still, daß Gelächter, Gesang und Musik aus dem Speisesaal deutlich zu vernehmen waren. Reinholds Lippen öffneten sich und sprachen lautlose Worte. Selten hatte ihn Siegfried so fassungslos erlebt.

Der Schmied räusperte sich, riß seinen Blick von dem zerbrochenen Schwert los und wandte sich seinem Schützling zu: »Du hast es also wirklich getan!« Seine Stimme zitterte. In den Worten schwang eine Vielzahl von Gefühlen mit: Überraschung, Anerkennung, aber auch ein deutlicher Vorwurf. »Hattest du mir nicht versprochen, dir alles gut zu überlegen?«

»Mir wurde klar, daß ich das Erbe meines Vaters nicht verleugnen darf. Was für ein König wäre ich, hätte ich nicht versucht, das Runenschwert zu erlangen?«

»Die Worte eines Mannes«, seufzte Reinhold, während er abwechselnd Siegfried und das Schwert betrachtete. »Allmählich beginne ich zu verstehen. Ich nehme an, daß dein Ausflug am Jagdtag dich zur Schlangenhöhle geführt hat?«

»Ja, Herr.«

»Und Prinzessin Amke?«

»Ich mußte sie mitnehmen, nachdem ihr Pferd vor dem Bären geflohen war. Aber sie weiß nichts von dem Schwert.«

»Das ist auch besser so«, sagte Reinhold leise. »Die Friesen haben keine gute Erinnerung an das Runenschwert und an den Feldzug, auf dem König Siegmund die magische Klinge führte.« Er lächelte plötzlich. »Die Wolfsburg hast du vermutlich in der Nacht besucht, bevor wir nach Xanten aufgebrochen sind?« Siegfried nickte eifrig und wollte von seinen unglaublichen Abenteuern erzählen.