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Der junge Xantener spürte das schon bekannte Gefühl der Wärme, das von seinem gesamten Körper Besitz ergriff. Diesmal war es stärker als je zuvor. Wie ein Feuer brannte es in ihm, als würde Siegfried mit dem Runenschwert verschmelzen.

Er öffnete die Augen, trat zum Abkühlblock, hob das Schwert und ließ es auf den Stahlklotz niederfahren. Der Block wurde sauber in zwei Hälften zerteilt. Das Runenschwert war durch den Stahl hindurchgegangen wie durch ein Stück Käse.

Siegfried starrte auf die Klinge. Sie war nicht zerbrochen, zeigte noch nicht einmal eine Schramme.

»Vollkommen unversehrt«, sagte er. »Das ist unmöglich!«

»Nein«, belehrte ihn Reinhold. »Das ist die Macht der Götter, die Kraft der Runen. Unsere Schmiedekunst hat allerdings auch einen bescheidenen Beitrag geleistet.« Zufrieden fuhr seine Hand über die Klinge. »Hart wie ein Fels, scharf wie Wodans Speer.«

Er zupfte einen Wollfaden aus seiner Hose und hielt ihn mit spitzen Fingern hoch. »Halte das Schwert gerade, mit einer Schneide nach oben!«

Siegfried gehorchte, und sein Lehrmeister ließ den Wollfaden los. Sanft wie eine Schneeflocke schwebte er herab und berührte die mehrfach geschliffene Schwertschneide. Wie von selbst teilte sich der Faden in zwei Hälften, die zu beiden Seiten der Klingen entlangglitten und dann weiter zu Boden schwebten.

»Bei Wodan, das ist die schärfste Klinge, die ich jemals sah. Du kannst stolz auf deine Waffe sein!«

»Ja«, sagte Siegfried lahm und wunderte sich, warum er nicht die angemessene Begeisterung aufbringen konnte. Es mußte an der verfluchten Müdigkeit liegen.

Reinhold lachte. »Ein hungriger Krieger ist wie ein reißender Wolf, ein müder Krieger wie eine zahnlose Vettel. Leg dich schlafen, Siegfried. Heute bist du von allen Verpflichtungen befreit.«

»Und das Schwert?«

»Nimm es mit, wenn du möchtest. Aber wickle es wieder ein, wenn du die Überraschung nicht verderben willst.«

Das Gesinde schlurfte bereits durch die Gänge der Schwertburg, um das Frühstück vorzubereiten. Aber die meisten Menschen schliefen noch. Er war froh, niemandem zu begegnen.

Rußig und verschwitzt fiel er auf die schmale Bettstatt und legte das Tuch mit dem Runenschwert darunter. Kaum hatte er sich hingelegt, da träumte er schon von den Heldentaten, die er mit dem Runenschwert vollbringen würde. Von fürchterlichen feuerspeienden Drachen, die er erschlug. Und von funkelnden Schätzen, die er erbeutete.

Und er sah sich an der Seite einer wunderschönen Frau. Seiner Gemahlin? Er wußte es nicht; er konnte sich später nicht einmal an das Gesicht erinnern. Nur daran, daß es eine Königstochter war.

Kapitel 9

Siegfried erwachte gegen Mittag.

Er hatte in der Nacht die Fensterläden nicht geschlossen, daher fielen warme Sonnenstrahlen auf ihn und stachen förmlich in seine blinzelnden Augen. Unruhig wälzte er sich hin und her und drehte sich schließlich auf den Bauch, um nicht länger das störende Licht auf seinem Gesicht zu spüren. Der Himmel mußte wolkenlos sein, die Strahlen der Sonne gleißend. Wahrscheinlich war es draußen so glühend wie in der Nacht die Eisen, als sie von Reinhold zusammengeschmiedet wurden.

Das Schwert!

Plötzlich war Siegfried hellwach. Ein Arm hatte über die Bettkante gehangen, hatte im ruhelosen Halbschlaf den harten Boden befühlt und die Holzkiste unter dem Bett ertastet. Aber nicht das Tuch mit dem Schwert, obwohl es doch vor der Kiste gelegen hatte. Er sprang aus dem Bett und kniete sich auf den Boden. Die Schatztruhe stand unverändert da, aber das Schwert samt Tuch war fort.

Hatte er alles nur geträumt? Die Nacht in der Schmiede, den glühenden Stahl, das zusammengefügte Schwert?

Verwirrt schüttelte er den Kopf und schalt sich einen törichten Narren. Ein Blick auf seine schwarze Kleidung und die schmutzigen Hände und Arme hätte ihm sagen müssen, daß er wirklich in der Schmiede gearbeitet hatte.

Gründlich durchsuchte er die kleine Kammer bis in den letzten Winkel, schaute ins Bett und unter die einfache Matratze, einen strohgefüllten Leinensack. Das Runenschwert blieb verschwunden! Sollten all die Mühen, Abenteuer und Gefahren vergebens gewesen sein?

Mit klopfendem Herzen sprang Siegfried hoch, riß die Tür auf und prallte gegen eine kräftige Gestalt: Reinhold.

»Heiliger Wodan!« rief der Waffenschmied. »Ich wähnte dich schlafend, und jetzt hüpfst du herum wie ein Tollwütiger.«

»Das Schwert!« stieß Siegfried hervor und zeigte in seine Kammer. »Es ist verschwunden!«

»Weil ich es habe.« Reinhold streckte ihm das mit dem Tuch umwickelte Schwert entgegen.

»Aber... ich habe es doch mit in die Kammer genommen...«

»Und ich habe es wieder herausgeholt. Ich fand keinen Schlaf und habe deshalb noch ein paar Verbesserungen an der Klinge vorgenommen.«

»Verbesserungen?« rief Siegfried erstaunt. »Aber das Schwert war doch perfekt.«

»Jetzt ist es perfekt!« erklärte Reinhold und reichte Siegfried das schwere Bündel. »Nutze den Rest des Tages, um dich an deine neue Waffe zu gewöhnen. Am besten an einem abgelegenen Ort. Die Haselwiese wäre wohl geeignet.«

Siegfried kannte den Ort, eine große Lichtung, die etwa eine Reitstunde in Richtung Xanten lag. Ihren Namen verdankte sie den Haselsträuchern, die sich in ihrer Mitte wie eine Burg erhoben.

»Ja.« Er nickte und wollte nach dem Runenschwert greifen, aber Reinhold entzog es seinen zupackenden Händen.

»Nicht sofort!« sagte der Schmied mißbilligend. »Zuerst solltest du dir ein Bad gönnen und dann ein ordentliches Mahl einnehmen. Danach ist noch Zeit genug für einen Ausflug zur Haselwiese.«

»Und das Schwert?«

»Ich werde schon darauf achtgeben«, antwortete Reinhold mit einem verständnisvollem Lächeln.

Wenig später stand Siegfried in der Badestube vor einem großen Bottich, aus dem ihm ein würziges Gemisch entgegendampfte. Es roch wie in einer königlichen Apotheke.

Udalrich, der kahlköpfige Bader, begann seine üblichen, langatmigen Erklärungen: »Ich habe so ziemlich alles ins Wasser geschüttet, was einem Kranken guttut: braunen Fenchel, Johanniskraut, Tausendgüldenkraut, Spitzwegerich, Kamille, Malve, Mauerkraut, Stockrose, Sellerie, Nelkenwurz und Grindkraut.«

»Das ist kein Bad, sondern eine Suppe«, meinte Siegfried, während er aus seinen Kleidern stieg.

Anfangs meinte Siegfried, er könne es nicht einen Augenblick in dem heißen, auf angenehme Weise streng duftenden Bad aushalten. Er wollte aufspringen, als ihn tausend glühende Nadeln zwickten. Aber Udalrich drückte ihn unbarmherzig zurück.

Als er endlich aus dem Bad stieg, fühlte er sich nicht erfrischt, sondern wohlig müde.

Beim Essen leistete Reinhold seinem Ziehsohn Gesellschaft. Das ins Tuch gehüllte Runenschwert lag zwischen all den Speisen auf der Tafel, und keiner der Aufwärter schenkte ihm Beachtung.

Anschließend gingen Reinhold und Siegfried in den Pferdestall, wo der gesattelte Graufell von einem Knecht vorgeführt wurde. Der Bedienstete reichte dem Grafen einen edelsteinbesetzten Ledergurt, den Reinhold an Siegfried weitergab. Ein prächtiges Wehrgehänge! Die lange Schwertscheide war mit Leder umkleidet und ebenfalls mit funkelnden Steinen besetzt.

»Das ist für dich, Siegfried. Ich habe es schon ausprobiert, die Klinge paßt genau hinein.« Augenzwinkernd und im flüsternden Verschwörerton fügte Reinhold hinzu: »Eigentlich darfst du erst auf deiner Schwertleite das Wehrgehänge mit dem Schwert tragen, aber auf der Haselwiese wird dich niemand sehen.«

Siegfried war überwältigt von dem kostbaren Geschenk und bedankte sich. Wie er befürchtete, nur höchst unzulänglich. Aber er gierte danach, endlich ungestört mit dem Runenschwert zu üben.