Der Rächer würde dem ein Ende bereiten!
Er schritt auf das Tor zu und zerrte das unruhig werdende Pferd mit eiserner Hand hinter sich her. Die Zugbrücke war heruntergelassen, der Wassergraben längst ausgetrocknet. Die morschen Bohlen hallten dumpf unter den Schritten von Mann und Tier.
Er band den ängstlich schnaubenden Rappen an einer Brunnenumfriedung im Hof fest. Das Gestein schien stark genug, um dem nervösen Zerren des Hengstes standzuhalten.
Der Mann ging weiter und betrat den überdachten Gang, der zur Eichenhalle führte, dem Mittelpunkt der Königsburg. Staubwolken wirbelten unter seinen Stiefeln auf. Mehrmals mußte er Spinnweben aus seinem Gesicht wischen.
Und hinter ihm wieherte kläglich das Pferd. Er blieb nicht stehen, drehte sich nicht um, kehrte nicht zurück. Fest entschlossen, wie er war, gab es keine Umkehr. Nicht für ihn - den Rächer der Götter!
Erst beim Anblick des Kinderbaums blieb er stehen. Wie gerade, stolz und mächtig sich der Stamm in den Himmel reckte!
Der Mann legte den Kopf in den Nacken und sah zu der riesigen Krone hinauf, die das Dach der Eichenhalle war. Schwindel packte ihn.
Daran war weniger die ungeheure Größe der Eiche schuld als der Gedanke, wie lange der Baum hier stand. Es hatte ihn schon gegeben, als die Urväter die Burg errichteten, rings um den Baum der Götter - den Kinderbaum.
Mit seinen Glück spendenden Früchten räucherte man bei Entbindungen. An seinem Stamm klammerten sich die Gebärenden fest, um die Kraft der Götter zu spüren. Auf diese Weise waren mächtige Recken zur Welt gekommen, Könige!
Es war längst vorbei.
So wie die Zeit, in der die Menschen an ihre wahren Götter glaubten und sie ehrten, wie es ihnen gebührte.
Ehrfürchtig schritt der Mann zwischen den halb zu Staub zerfallenen Tafeln und Bänken hindurch, bis er so dicht an dem mächtigen Stamm stand, daß er nichts anderes sah. Er atmete tief durch und preßte seine Handflächen gegen die rissige Borke.
Der Stamm der alten Eiche fühlte sich kühl wie die Erde an, doch gleichzeitig ging ein Brennen durch seine Hände, die Arme, den ganzen Leib, und erfaßte sein Herz. Er fühlte, daß hier seine Heimat war, nicht in den Kirchen des Christen.
Nur widerwillig ließ er den Baum los und nestelte mit zitternden Fingern den Lederbeutel auf, der an seinem Gürtel gehangen hatte. Er bückte sich und schüttete den Inhalt auf das feste Erdreich, zwischen die mehr als beinstarken Wurzeln des Kinderbaums. Es war grauschwarzer Staub.
»Dies ist Asche vom Haus des falschen Gottes«, sagte der Rächer feierlich. »In der letzten Nacht brachte ich ihm den Flammentod, dir zu Gefallen, mächtiger Feuergott. Du siehst, ich habe deine Rufe erhört.«
Er blickte an dem Stamm hinauf zur Baumkrone, die den Himmel fast gänzlich verdeckte.
Doch die erhoffte Antwort blieb aus.
Da zog er den Dolch und stieß ihn tief ins Erdreich, mitten in die Asche.
»Und dies ist die Klinge, die einem Christenpriester das Leben raubte, geführt von meiner Hand, mächtiger Gott der Flammen. Er soll nur der erste sein von vielen, die ihren falschen Glauben und ihren Verrat an dir elend büßen!«
Die Augen des Rächers weiteten sich, als mit dem Dolchstahl eine seltsame Veränderung vor sich ging. Er begann zu glühen, erst nur schwach, schließlich so stark, daß die Hitze den Mann schwitzen machte. Und die Asche zerfloß, wurde zu einer roten Lache.
Zu Blut!
Langsam streckte der Mann seine Hand aus und berührte das Blut. Es war heiß, glühend heiß. Und doch verbrannte es seine Hand nicht. Es schien durch die Haut hindurchzugehen, geradewegs in seinen Leib, der den roten Saft aufsog, bis die Lache verschwunden war und nur noch der Dolch im Boden steckte.
Das Glühen war in dem Mann, ließ ihn eins werden mit dem Feuergott, dessen Namen er wieder und wieder in die Nacht hinausschrie. Die Schreie übertönten das hysterische Gewieher des Rappen, der wie von Sinnen an den Zügeln zerrte. Doch er kam nicht los von dem alten Brunnen und sprang in Todesangst hin und her, hin und her...
Sein Reiter beachtete das Tier nicht, hörte nicht einmal sein Wiehern. Für ihn zählte nur die Macht, die ihn erfüllte: die Macht des Feuergottes!
Er war eins mit dem mächtigen Gott. Oder war er nur sein Werkzeug?
Machte das überhaupt einen Unterschied? Wichtig war nur, daß durch seine Hände - die Hände des Rächers - die Macht der alten Götter zurückkehren würde.
Die Zeit der Rache, die Zeit der Zerstörung war gekommen!
Kapitel 1
»Ja, das Eisen muß glühen, heiß sein wie der Tod im letzten Augenblick des Menschenlebens!«
Graf Reinhold von Glander, Schmied mit Leib und Seele, stieß die Worte mit Inbrunst hervor, während er sein hageres, grobknochiges Gesicht ungeachtet der aufstiebenden Funken über die Esse beugte, in der die große Klinge glühte. Auch der hochgewachsene Jüngling, dessen in ledernen Handschuhen steckende Hände den Knauf des neuen Schwertes hielten, trotzte der atemraubenden Hitze und blickte mit zusammengekniffenen Augen in die rotgelbe Glut. Wieland hatte die Hände um die beiden Griffe des großen, zweifachen Blasebalgs gelegt und entfachte den Brand der Kohlen mit jedem Druck seiner muskelbepackten Arme aufs neue.
Noch roter als die Kohlen glühte das Eisen, das Siegfried hielt. Fast schien es, als wolle es schmelzen und im großen Becken der Esse zerlaufen.
»Jetzt, Meister?« fragte der junge Schmiedebursche mit vor Erregung zitternder Stimme. Es war beileibe nicht das erste Schwert, das er schmiedete, aber bei weitem das wichtigste.
»Noch nicht«, erwiderte Reinhold mit einer Ruhe, die Siegfried unbegreiflich war.
»Aber das Eisen glüht dunkelrot, genau in der richtigen Färbung, um es abzuschrecken!«
»Noch nicht«, wiederholte der erfahrene Schmied, dessen Augen starr auf die heiße Klinge gerichtet waren.
Mit jedem Druck Wielands flogen neue Funken auf. Gerade öffnete Siegfried den Mund, um seinen Meister zu fragen, wie lange die Klinge noch glühen müsse, da befahl Reinhold: »Abschrecken, jetzt!«
Siegfried zog das Schwert aus dem Feuer und tauchte es in den Bottich, der auf den ersten Blick klares Wasser enthielt. Doch es war mit Zutaten angereichert, die nur die Schmiede kannten und die dem Stahl besondere Härte verliehen. Dampf quoll unter lautem Zischen auf und vermischte sich mit dem Qualm, der von der Esse aufstieg, zu einer grauen Fahne, die zum Abzugsloch im Schrägdach wehte.
»Heraus mit dem Eisen!« rief Reinhold und legte seine Hand auf Siegfrieds Schulter.
Der junge Xantener riß augenblicklich die Klinge aus dem Bottich und legte sie auf den Stahlblock. Aus dem glühenden Dunkelrot war ein helles Gelb geworden.
»Du kannst das Schwert ruhig loslassen, Siegfried«, bemerkte Reinhold mit mildem Spott. »Wie du es umklammerst, kriegst du noch einen Krampf in den Armen.«
Siegfrieds ganze Aufmerksamkeit galt dem Eisen, dessen Gelb langsam eine dunklere Färbung annahm. Nur zögernd löste er seine Hände vom Schwertgriff. Er wollte nichts falsch machen, nichts verderben an seinem Königsschwert.
Schon einmal hatte er geglaubt, die richtige Klinge für seine bevorstehende Schwertleite in Händen zu halten. Reinhold hatte sie geschmiedet und Siegfried mit der Bemerkung überreicht, er solle sie ruhig nach Herzenslust prüfen. Das hatte der Königssohn getan und auf einer nahen Waldlichtung die Klinge geführt, immer wieder auf Bäume eingeschlagen - bis der Stahl zerbrach.
Reinhold hatte sein ergrauendes Haupt geschüttelt. »Du bist der kräftigste Schmiedebursche, den meine Augen jemals sahen«, hatte er zu Siegfried gesagt und hinzugefügt: »Ich glaube, nur du selbst kannst ein Schwert schmieden, das deinen Kräften standhält. Ich werde dir dabei helfen!«