Als König Hariolf seine brennende Flotte sah, stieß er einen Wutschrei aus, mehr Wolfsgeheul als menschlicher Laut. Er lief zum Schiffsführer, einem Mann namens Ulerk, und befahl ihm, sofort zu wenden. »Ich muß zu meinen Männern!«
»Nein!« fuhr Markgraf Onno dazwischen, bevor Ulerk den Befehl des Königs weitergeben konnte. »Wir bleiben auf Kurs. Die Männer sollen sich in die Riemen legen!«
»Wie könnt Ihr wagen, meinen Befehl zu widerrufen, Markgraf?« tobte der König. »Ich muß zu meinen Männern. Sie stecken in einer tödlichen Falle. Wir können sie nicht im Stich lassen, nur weil wir den Brandpfeilen durch Gottes Fügung entgangen sind!«
»Nicht durch die Fügung Gottes, sondern durch die der verräterischen Niederländer!« erwiderte Onno und streckte den Arm aus. »Dort kommen sie, um Euch zu holen, mein König. Und wenn sie Euch haben, haben sie auch Friesland in der Hand!«
Hariolf entdeckte ein halbes Dutzend Schiffe auf Gegenkurs. Sie hatten keine Segel gesetzt, nicht einmal Masten waren zu sehen. Die Rojer pullten aus Leibeskräften und trieben die Schiffe gegen die Strömung voran. Auf den Schiffen drängten sich die Bewaffneten. Speere, Schwerter und Schilde blinkten selbst im schwachen Licht dieses trüben Tages. Die niederländischen Schiffe hielten in zwei Reihen auf Hariolfs Schiff zu.
»Wir müssen so schnell wie möglich sein und die Kraft unserer Rojer mit der des Windes und der Strömung vereinen!« stieß Onno laut hervor. »Nur dann können wir die feindlichen Reihen durchbrechen.«
»Aber meine Männer...« versuchte der König mit matter Stimme zu erwidern.
»Wir können ihnen nicht helfen«, sagte der Markgraf hart. »Wir können sie nur rächen. Aber dazu müssen wir aus diesem feigen Hinterhalt entkommen!«
Hariolf sah es ein und nickte widerstrebend.
»Ulerk.« Onno wandte sich an den Schiffsführer. »Alle Männer an die Riemen. Sie sollen um ihr Leben pullen.«
Onno und Ulerk riefen die Männer zusammen, die sich über Reling und Heck beugten und machtlos zusahen, wie die anderen Schiffe ihrer Flotte unter dem Hagel aus Feuerpfeilen verglühten.
Die Friesenschiffe, die weiter flußaufwärts schwammen, noch im sicheren Abstand zur Rheinfeste, wurden von niederländischen Schiffen angegriffen. Und an den Ufern waren Berittene und Fußsoldaten aufmarschiert, um an Land flüchtende Friesen festzusetzen oder niederzumetzeln.
Die Rojer des Königsschiffes sprangen auf ihre Bänke und schoben die Riemen durch die kleinen Löcher in den Bordwänden. Kaum war das geschehen, zählte Ulerk schon einen schnellen Takt, und die Riemenblätter schlugen ins Wasser.
Hariolf, Onno und die Wachen griffen zu den Waffen, während die Zofen Amke unter Deck brachten, in den engen dunklen Verschlag, der streng nach Teer und Holz roch. Und nach Tod. Amke lag gleich neben der Bahre mit ihrem toten Bruder.
»Das ist doch Reinhold von Glander!« schrie Onno, als er den Mann mit den ergrauenden Haaren erkannte, der am Bug des größten niederländischen Schiffes stand und immer wieder kurze Rufe ausstieß, um seine Rojer anzutreiben. »Der niederländische Kriegsherr selbst führt den Angriff!«
»Das war auch nicht anders zu erwarten«, knurrte Hariolf, während er Schwert und Schildgriff fest umfaßte. »Wer sonst hätte wagen können, das Gastrecht zu brechen und noch auf niederländischem Boden die Klinge gegen uns zu führen?«
Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als ein Pfeilregen auf das Friesenschiff prasselte. Scharfkantige Stahlspitzen bohrten sich in Holz und Menschenfleisch.
Die friesischen Krieger rissen abwehrend die Schilde hoch. Die Rojer machten sich möglichst klein, zogen die Köpfe fast zwischen die Schultern.
»Pullt, Männer, pullt!« brüllte Ulerk. »Nur das kann uns retten!«
Dann waren die beiden vordersten Feindschiffe heran. Ein Dreißig-Riemen-Schiff mit Reinhold von Glander an Bord und ein Vierundzwanzigriemer. Ulerk rief dem Steuerer einen Befehl zu. Er hoffte, sein Schiff mit einer winzigen Kurskorrektur zwischen den beiden Angreifern hindurchzumanövrieren.
Reinhold von Glander schien dieses Manöver vorauszuahnen. Jedenfalls rief er seiner Besatzung etwas zu, und der Dreißig-riemer drehte sich quer, auch wenn dadurch die Bordwand des niederländischen Schiffes von dem friesischen Bug, dessen massiver Vordersteven in einem schwarzen Wolfskopf mit aufgerissenem Maul auslief, gespalten wurde. Es sah aus, als wolle der hölzerne Wolf das Feindschiff zerreißen.
Die Niederländer zögerten nicht. Sie sprangen an Bord des Königsschiffes, Graf Reinhold allen voran. Schwerter, Speere und Schilde stießen gegeneinander.
»Unser Schiff scheint weitgehend unbeschädigt«, rief Onno zu Ulerk. »Seht zu, daß ihr es freibekommt, während wir das Xantener Pack zurückwerfen! Wir können diesen Kampf nicht gewinnen, wir können uns nur retten!«
Im Kampflärm ging Ulerks Antwort unter. Onno sah nur noch aus den Augenwinkeln sein knappes Nicken und warf sich schon in die Schlacht, die am Bug des eigenen Schiffes entbrannt war. Vergeblich suchte er Reinhold, den hinterlistigen Verräter. War der Kriegsherr schon gefallen?
Doch Onno mußte zunächst Hariolf zur Hilfe eilen. Der König wurde von drei Gegnern gleichzeitig bedroht. Er hatte seinen Schild verloren und hieb mit seinem großen Schwert um sich, um die gegnerischen Klingen von sich fernzuhalten. Gleichwohl blutete er schon aus mehreren Wunden.
Onno sprang zum Bug und bohrte seine Klinge von hinten gegen den Hals eines Niederländers. Mit solcher Wucht, daß die Eisenringe der Brünne zerbrachen. Mit gurgelndem Laut brach der Niederländer zusammen. Onno zog die blutige Klinge heraus. Er sah sofort mit der Erfahrung vieler Schlachten, daß ein zweiter Stoß nicht nötig war. Der Getroffene krümmte sich zu seinen Füßen; er würde nie mehr eine Waffe führen.
Das rächende Schwert eines anderen Niederländers krachte auf Onnos reflexartig hochgerissenen Schild. Mit kreischendem Geräusch fuhr der niederländische Stahl über den friesischen Eisenbeschlag und zerkratzte Onnos Wappen, ein rotes Schwert über einem fliegenden Vogel gleicher Farbe. Aber der Schild hielt, und der Markgraf drängte den Angreifer ab.
Onno selbst schlug zu, und diesmal fing der Niederländer mit seinem Schild den Schlag auf. Doch Onno hatte so wuchtig zugehauen, daß der Gegner taumelte, das Gleichgewicht verlor und ins Wasser fiel.
Ihm folgte gleich noch ein Niederländer unter fürchterlichem Gebrülclass="underline" der dritte Angreifer, dem Hariolfs Klinge zwischen die Augen gefahren war.
Weitere Niederländer formierten sich, um König Hariolf zu bedrängen.
Onno stand an der Seite seines Lehnsherrn und keuchte: »Ich weiche nicht von Euch, mein König. Sie werden Euch nicht bekommen!«
»Nicht lebend!« zischte Hariolf und hob das Schwert zum nächsten Streich.
Da ging ein heftiger Ruck durch das Friesenschiff. Ulerk war es gelungen, das Schiff durch den Einsatz von Staken freizubekommen. Ein ganzer Trupp Niederländer fiel in den Fluß. Nur noch wenige ihrer Kameraden befanden sich an Bord des rasch an Fahrt gewinnenden Königsschiffes. Sie fielen schnell unter den Hieben der wütenden Friesen.
Ulerk rief mit dröhnender Stimme seine Kommandos. In schneller Fahrt schoß sein Schiff zwischen den niederländischen Fahrzeugen hindurch. Die Angreifer hatten nicht damit gerechnet, daß das Königsschiff so schnell freikommen würde. Als es die Feindschiffe erst einmal hinter sich gelassen hatte, konnten die Niederländer es nicht mehr einholen. Jetzt fehlten ihnen die an Land gelassenen Segel, um die Kraft des Windes zu nutzen.