»Wir haben es geschafft!« jubelte Hariolf mit grimmiger Freude. »Wir sind den gottlosen Angreifen entwischt!«
»Nicht alle, mein König«, rief eine dünne Stimme vom Heck. Es war eine von Amkes Zofen. »Sie... sie haben die Prinzessin verschleppt!«
Hariolf riß die Augen auf und starrte die Unglücksbotin ungläubig an.
»Wer?« fragte Onno.
»Der Graf mit seinen Leuten«, antwortete die Zofe, die aus einer Stirnwunde blutete. »Sie haben Prinzessin Amke auf ihr Schiff geholt.«
Onnos Blick schien die ängstliche Frau zu durchbohren. »Graf Reinhold von Glander?«
»Ja, Herr.«
In hilfloser Wut krampften sich Onnos Hände um Schwert und Schild, die jetzt nutzlos waren.
Hariolf dagegen wirkte seltsam ruhig. Sein Blick wanderte rheinaufwärts. »Ich werde zurückkehren und Xanten dasselbe Schicksal bescheren, das diese Hunde über meine Flotte gebracht haben. Die Königsstadt wird brennen! Kein Haus wird dort mehr stehen, wenn ich mein Werk vollbracht habe!« Noch leiser und wie einen unverbrüchlichen Schwur fügte er hinzu: »Ich werde meine Frau rächen, meinen Sohn und meine Tochter!«
Kapitel 11
»Amke hat Euch nichts getan! Wie konntet Ihr Euch an ihr vergreifen? Und warum habt Ihr das heilige Gastrecht gebrochen?« Siegfried schrie es durch den dämmrigen Festsaal der Xantener Königsburg Graf Reinhold von Glander entgegen, der noch die blutbefleckte Rüstung trug. Nur die flackernden Lichter der Kerzen zauberten Bewegung auf Reinholds harte Gesichtszüge. Er stand stocksteif, eine Hand auf den Schwertknauf gelegt, als wolle er deutlich machen, daß in Zeiten wie diesen Worte nicht mehr zählten, sondern nur noch die stählerne Sprache der Waffen.
Draußen in den Straßen begann das Volk zu feiern, als sei der Krieg gegen die Friesen gewonnen. Die Nachricht von Graf Reinholds siegreichem Angriff auf die Friesenflotte und von der Gefangennahme Prinzessin Amkes hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet.
Reinhold war von Siegfrieds Wutausbruch gänzlich unbeeindruckt. »Du hast in zwei Punkten recht, Siegfried: Amke hat mir nichts getan, und ich habe das Gastrecht gebrochen. Aber die Prinzessin ist das beste Unterpfand, das wir bekommen konnten, ausgenommen König Hariolf selbst. Ich habe sie nicht gern gefangengesetzt, und es fiel mir auch nicht leicht, das Gastrecht zu brechen. Aber zu beidem, zorniger Siegfried, hast du selbst mich gezwungen!«
»Ich?«
Reinhold nickte düster. »Hättest du Harko nicht getötet, wäre all das nicht geschehen. Dann hätten wir vielleicht schon den lang ersehnten Frieden mit König Hariolf geschlossen. Jetzt haben wir statt eines neuen Verbündeten einen erbitterten Feind.«
Die eilig zusammengekommenen Edelleute nickten und machten beifällige Bemerkungen.
»Eure Rede mag wahr sein, Graf Reinhold«, erklärte Königin Sieglind, die neben Bischof Severin an der Tafel saß. »Dennoch könnt Ihr kaum leugnen, daß Ihr gegen meinen Befehl handeltet, als Ihr durch den Angriff das Gastrecht gebrochen habt.«
»Doch, das leugne ich entschieden!« erwiderte Reinhold laut und vernehmlich.
Viele der Edlen hielten den Atem an. Entsetzte Blicke trafen den Grafen. Severin sprang trotz seiner Leibesfülle so hastig auf, daß sein klobiger Stuhl umstürzte.
»Überlegt Euch Eure Worte, Graf Reinhold!« mahnte der Bischof mit bestürztem Gesicht. »Wollt Ihr unsere allergnädigste Königin der Lüge zeihen?«
»Ich stelle nur richtig, was richtiggestellt werden muß«, entgegnete Reinhold und verneigte sich vor Sieglind. »Und wenn ich Euch beleidigt habe, meine Königin, bitte ich untertänigst um Vergebung. Aber vergeßt nicht, daß Ihr mich zum Kriegsherrn der Niederlande ernannt habt. Damit liegen alle Entscheidungen über die Kampfhandlungen gegen König Hariolf bei mir. Ich konnte nicht gegen Euren Befehl verstoßen, hohe Frau, weil nur ich Befehle über Kriegshandlungen geben kann. Solltet Ihr mit meiner Vorgehensweise nicht einverstanden sein, so ernennt einen anderen Recken zum Kriegsherrn, und ich werde mich ihm unterordnen.«
»Ihr habt gut reden!« schnaubte der Bischof; seine fleischigen Wangen zitterten vor Erregung. »Nicht Ihr allein müßt leiden, wenn König Hariolf plündernd und mordend Rache für das Unrecht sucht. Wir alle werden uns ihm stellen müssen, jeder Edle hier im Saal und jeder einfache Handwerker und Bauer da draußen!« Mit unruhiger Hand deutete er zu einem der großen Fenster, in denen seltenes, teures Glas saß.
»Hariolf hatte seine Rache schon beschworen, bevor er Xanten verließ«, erinnerte Reinhold. »Jetzt haben wir zumindest eine Geisel in der Hand. Außerdem haben die Friesen so viele Schiffe verloren, daß sie kaum einen Angriff auf dem Rhein wagen werden.«
»Dann werden sie über Land kommen«, brummte Severin. »Wo ist der Unterschied?«
»Im Schiffskampf sind die Friesen erfahrener als wir«, erklärte der Kriegsherr. »Auf dem Land haben wir gute Aussichten, sie zu schlagen.«
In der Versammlung begann ein heftiger Streit über die Frage zu entbrennen, ob Reinhold recht gehandelt hatte. Einige forderten seine Absetzung als Kriegsherr, andere schlugen sich auf seine Seite.
Sieglind stand auf, woraufhin alle Anwesenden verstummten. Sie rief mit fester Stimme: »Ich habe Graf Reinhold zum Kriegsherrn der Niederlande ernannt. Er hat mit König Siegmund gefochten und genoß sein bedingungsloses Vertrauen. Deshalb habe ich meinen Sohn Siegfried in seine Zucht gegeben, und deshalb weiß ich, daß er der beste Mann ist, die Friesengefahr von uns abzuwenden.«
Damit war es entschieden, und plötzlich fanden alle, daß es die richtige Entscheidung war. Nur Severin murmelte unwillig vor sich hin, während er seinen massigen Körper auf den von einem Diener aufgerichteten Stuhl zurücksinken ließ.
»Wo haltet Ihr Amke gefangen?« fragte Siegfried, der sich durch die Rede seiner Mutter ein wenig beruhigt hatte.
»Hier in der Burg«, antwortete Reinhold. »In der Kemenate, die sie bis heute morgen als Gast bewohnt hat.« Er sagte es ohne jedes erkennbares Gefühl und fuhr mit langem Blick auf seinen Schützling fort: »Es wird für sie gesorgt, aber sie steht unter strenger Bewachung.«
Siegfried hielt dem Blick stand und erklärte: »Ich möchte zu ihr.«
»Nein«, lehnte Reinhold ab. »Sie darf nur mit den Dienern verkehren.«
»Warum?« fragte Siegfried.
»Ich muß meine Befehle nicht begründen!« versetzte Reinhold scharf.
Sieglind lächelte ihren Kriegsherrn an. »Eurer Königin gegenüber würdet Ihr sie aber gewiß erklären, nicht wahr, Graf Reinhold?«
»Gewiß«, sagte Reinhold. »Ich will verhindern, daß Prinzessin Amke zuviel von unseren Plänen erfährt. Falls wir sie gegen ein anderes Pfand an die Friesen zurückgeben, könnte uns alles, was sie aufgeschnappt hat, in große Schwierigkeiten bringen.«
»Ich bin kein Verräter!« rief Siegfried voller Zorn.
»Das habe ich auch nicht behauptet. Aber du stehst der Prinzessin nahe, wie man wohl sagen darf. Du könntest unabsichtlich etwas ausplaudern.« Reinholds Blick glitt von Siegfried zur Königin. »Außerdem wüßte ich im Augenblick nicht, was für einen Vorteil uns ein Besuch Siegfrieds bei der Gefangenen bringen könnte.«
»Ihr habt recht«, erklärte Sieglind nach kurzem Nachdenken und wandte sich an ihren Sohn. »Siegfried, du wirst Amke nicht sehen, bis Reinhold es dir gestattet. In allen Fragen, die den bevorstehenden Kampf gegen die Friesen betreffen, ist seinen Anordnungen unbedingt Gehorsam zu leisten!«
Der letzte Satz betraf nicht Siegfried allein, sondern die ganze Versammlung.
Siegfried fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Die Worte seiner Mutter empfand er als Verrat; sie vertraute Reinhold mehr als ihrem eigenen Fleisch und Blut! Und auch von Reinhold war er enttäuscht. Der Mann, der fast eines Vaters Stelle bei Siegfried eingenommen hatte, war ihm auf einmal fremd. Es mußte der Krieg sein, der Reinhold so veränderte. Schlimmer als alles andere aber wog die Erkenntnis, Amke als Gefangene zu wissen. Er konnte an nichts anderes mehr denken, konnte der Diskussion der Edelleute über die Kriegsvorbereitungen nicht folgen und bat seine Mutter, sich auf seine Kammer zurückziehen zu dürfen.