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»Ich weiß, was es heißt«, unterbrach Siegfried den redseligen Kerl und nahm zögernd das Schwert herunter. »Kommst du mir noch einmal zu nahe, Arko, verlierst du auch deine andere Hand - und deinen Kopf!«

Der Kuppler zog sich taumelnd zurück. Die feurige Framhild war inzwischen aufgestanden, aber sie begann zu keifen und wollte sich offenbar nicht damit zufriedengeben, daß Siegfried so straflos ausging. Arko versetzte ihr eine schallende Ohrfeige, die sie erneut zu Boden schickte. Die Menge lachte, und die Hübschlerin hatte genug.

»Ich suche jemanden«, sagte Siegfried zu Magnus, während er das Schwert zurück in die Scheide steckte. Ihm fielen die begehrlichen Blicke auf. Sie galten dem prächtigen Schwert und dem reichverzierten Wehrgehänge. Schnell nahm er seinen Umhang auf und legte ihn um die Schultern, um den Prunk vor den gierigen Augen zu verbergen.

»Hier verkehren keine reichen Herren«, erklärte der Wirt.

»Ich weiß nicht, ob er reich ist.«

»Ihr kennt ihn nicht?«

»Nur seinen Namen. Er nennt sich Vagabundus.«

Magnus riß die Augen auf und fragte: »Seid Ihr ein Freund oder ein Feind von Vagabundus?«

»Das wird sich herausstellen. Du kennst ihn also, Wirt?«

Magnus nickte. »Ihr müßt der junge Bursche sein, den ich zu ihm bringen soll. Ich hätte Euch eher erkennen sollen, aber durch den kleinen Streit war ich zu aufgeregt. Kommt mit, ich führe Euch zu ihm!«

Der Wirt wieselte so flink durch die Gästeschar, daß Siegfried Mühe hatte, ihm zu folgen. Magnus schlug eine dicke Flechtmatte beiseite und tauchte in einen engen, düsteren Durchgang ein. Siegfried mußte sich bücken. Vorsichtshalber legte er die Rechte auf den Schwertgriff.

Sie kamen auf einen kleinen Hinterhof, auf dem es nach Viehmist stank. Über eine enge, morsche Außentreppe ging es zum Obergeschoß. Ein dickes Tuch hing vor einer Fensteröffnung, und nur schwacher Lichtschein drang nach draußen. Magnus stieß eine quietschende Tür auf, deutete eine Verbeugung an und sagte: »Vagabundus wartet auf Euch, junger Herr.«

Siegfried nickte knapp und ging an ihm vorbei. Kaum hatte er die kleine Kammer betreten, da schlug Magnus auch schon die Tür von außen zu. Siegfried hörte seine trippelnden Schritte auf der knarrenden Stiege.

Auf einem kleinen Tisch brannte ein klobiger Kerzenrest, dessen gelblicher Schein nicht bis in die hintersten Ecken reichte. Auch nicht bis zu der verhüllten Gestalt, die dort saß und sich mit etwas beschäftigte, das leise klackernde Geräusche verursachte. Siegfried nahm an, es seien Spielwürfel.

Er hielt sich ebenfalls außerhalb des Lichtscheins, weiterhin die Rechte am Schwertknauf, und sagte mit bemüht fester Stimme: »Hier bin ich, Vagabundus. Was habt Ihr mir zu sagen?«

»Ich freue mich, daß du gekommen bist, mein Sohn«, erwiderte eine tiefe Stimme.

Siegfried trat zum Tisch, nahm die Kerze auf und hielt sie so, daß ihr Schein auf die schattenhafte Gestalt fiel. »Ihr?« fragte er kopfschüttelnd. »Ihr seid Vagabundus?«

»Setz ab, Tiedo! Sauf uns nicht alles weg!« krähte der rotbärtige Imbert und streckte seine Hand nach dem ledernen Schlauch aus. Er reckte das bartumwucherte Kinn vor und sah seinen Kameraden böse an.

Der hagere Tiedo setzte den Metschlauch ab, stieß einen scharfen Rülpser aus und leckte die klebrigen Reste von seinen dünnen Lippen. Selig blickten seine Triefaugen auf den Schlauch. Der Ausdruck wechselte zu Bedauern, als er den Met an den Kameraden weiterreichte, der so gierig trank, daß er sich verschluckte und in lautes Husten und Prusten ausbrach.

Osbern, der dritte Wachtposten am Nordtor, griff nach dem Schlauch, während Tiedo dem zusammengekrümmten Rotbärtigen kräftig auf den Rücken klopfte. »Schon gut, Imbert, nicht jedem bekommt der Würzmet.«

»Vielleicht ist er Imbert nicht gut genug«, kicherte der spitznäsige Osbern, nachdem er sich am Met gütlich getan hatte. »Unser Freund verträgt vielleicht nur ganz teuren Wein, wie ihn die edlen Herren trinken.«

»Der junge Prinz trinkt bestimmt keinen Met«, meinte Imbert, der sich wieder gefangen hatte. »Dazu müßte er nicht heimlich in die Stadt schleichen.«

Osbern nickte zustimmend. »Wundert mich auch, was er dort sucht.«

»Na, was wohl?« Tiedo stieß ein heiseres Lachen aus. »Das, was er auf der Burg nicht haben kann, weil ihm da die Königin und sein Zuchtmeister auf die Finger sehen. Das, was jeder gesunde Mann braucht: kräftigen Würzmet und die großen Brüste einer Hübschlerin!«

»Hauptsache, groß!« griente Imbert und starrte sehnsüchtig über den Burggraben hinweg auf die Häuser Xantens.

Osbern blickte den Wachhabenden ungläubig an. »Meinst du wirklich, Tiedo, ein feiner Herr wie unser Prinz gibt sich mit Hafenmetzen ab?«

»Auch ein feiner Herr ist ein Mann.« Wieder lachte Tiedo. »Minnesang und Liebesgedichte allein können einen Mann auf die Dauer nicht befriedigen.«

Die anderen beiden fielen in sein meckerndes Gelächter ein, so laut, daß sie den Mann nicht hörten, der im Schatten der Burgmauer zum Nordtor kam. Erst als er in den Schein der beiden am Torbogen hängenden Fackeln trat und dicht vor den lässig an die Wand gelehnten Wachen stand, bemerkten sie ihn. Osbern ließ vor Schreck den Metschlauch fallen.

»Wenn der Witz gut war, so möchte ich ihn hören!« sagte Graf Reinhold von Glander mit einem unechten, eher bedrohlich wirkenden Lächeln. »Vielleicht heitert mich das so weit auf, daß ich davon absehe, euch dem Scharfrichter zu überantworten.«

»Dem Scharfrichter?« Tiedos Augen weiteten sich. »Aber wieso denn, Herr?«

»Deshalb!« Reinholds Fuß, der in einem schwarzglänzenden Lederstiefel steckte, schnellte vor und traf den Metschlauch. Der Schlauch flog durch das offene Tor, schlitterte über das Holz der Zugbrücke und fiel in die Tiefe. Es dauerte einen Moment, bis ein leises Platschen an die Ohren der Männer drang. »Damit wäre das Beweisstück für euren Suff vernichtet«, fuhr der Kriegsherr fort. »Jetzt müßt ihr nur noch den Zeugen bestechen!«

»Welchen Zeugen?« fragte der vom Met verwirrte Wachhabende.

»Mich!« antwortete Reinhold.

Tiedo hob hilflos die Hände, es wirkte wie ein Flehen. »Aber, Herr! Wie... wie könnten wir Euch bestechen? Niemand von uns besitzt soviel Geld, daß es Euch lohnenswert erschiene!«

»Ich rede nicht von Geld. Gebt mir eine Auskunft, und ich werde eure Vergehen nicht weiter ahnden.«

»Was wollt Ihr wissen, Herr?« Tiedo keuchte wie ein Ertrinkender, der im letzten Augenblick aus dem Rhein gezogen wurde.

»Hat Prinz Siegfried die Burg durch dieses Tor verlassen?«

Tiedo erschrak und bemühte sich, sein Entsetzen vor dem Kriegsherrn zu verbergen. Er wechselte kurze Blicke mit Imbert und Osbern, aber auch die beiden wirkten ratlos. Tiedo blickte zu Boden, auf seine matten, fleckigen Stiefelspitzen. Er wagte nicht, dem hohen Herrn in die Augen zu sehen.

Die Lage war mehr als vertrackt! Gab er Reinhold die gewünschte Auskunft nicht, würde der Kriegsherr Tiedo und seine beiden Kameraden dem Scharfrichter übergeben. Verriet Tiedo aber Siegfried, würde der Prinz sie ebenso grausam bestrafen. Tiedo begann zu schwitzen und lockerte mit dem Finger die Halsberge seines Kettenhemdes.

»Was ist, Soldat?« fragte Reinhold barsch. »Hat der Met dir die Sprache verschlagen?«

Tiedo schüttelte matt den Kopf und fragte mit vor Angst bebender Stimme: »Versprecht Ihr, uns vor Strafe zu bewahren, wenn wir Euch die erwünschte Auskunft geben?«

Reinholds Rechte zuckte vor und versetzte Tiedos Wange einen schmerzhaften Streich. Der Wachhabende zog erschrocken sein Haupt zurück und prallte mit dem Hinterkopf gegen die Steinmauer.

»Du Hund wagst es, mir, deinem Kriegsherrn, ein Ehrenwort abzuverlangen?« brüllte Reinhold. »Für was hältst du dich? Wenn du nicht mit der Sprache herausrückst, werden die Folterknechte deine Zunge lösen!«