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Coira verfolgte zum einen das Geschehen auf der Bühne, gleichzeitig behielt sie die Orks und die Lohasbrander im Auge. Sie hatte sich gewünscht, die Darbietungen genießen zu können, doch die Anwesenheit der verhassten Besatzer verdarb ihr das Vergnügen. Solange sie zu denken vermochte, waren sie da gewesen, die Drachendiener.

Den Drachen selbst hatte sie noch nie zu Gesicht bekommen, doch auf den Zügen der Älteren, die in Weyurn lebten, flackerte die Angst vor dem fliegenden Ungeheuer auf, sobald die Sprache darauf kam. Lohasbrand hatte nach seinem Erscheinen vor zweihundertfünfzig Zyklen halb Weyurn mit Feuer überzogen und die damalige Königin zur Aufgabe gezwungen. Wey die Fünfte hatte sich zum Wohl ihres Volkes unterworfen, nicht aus Feigheit.

Danach waren die Orks, die Drachenanhänger, gekommen und überwachten seither die Gebiete für den Drachen. Auch Menschen hatten sich gefunden, die dem Geschuppten gerne dienten. Aus ihnen waren die heutigen Lohasbrander hervorgegangen, Weyurns neue Adlige ohne Anstand und Würde.

Coira wusste, dass sich Lohasbrand zu gern den Rest des Geborgenen Landes einverleibt hätte, um seinen sagenumwobenen Hort im Roten Gebirge mit noch mehr Reichtümern zu füllen, doch es gab zu viele Mitbewerber. Den Gerüchten zufolge hatten sich die vier Gegner auf einen Waffenstillstand geeinigt; Coira ging jedoch nicht davon aus, dass er ewig halten würde. Lohasbrand hatte sich stetig ausgebreitet, bis er mit Lot-Ionan und dem Kordrion aneinandergeraten war, und das würde er bald wieder versuchen. Das meinte sie daran zu erkennen, dass die Wächter, die ihre Mutter umgaben, seit einem halben Zyklus deutlich angespannter waren als vorher.

Coira reckte den Hals, um nach dem Unerreichbaren, wie er sich nannte, zu sehen: ein gut aussehender Mann von zwanzig Zyklen, der den Bildern des allerersten Rodario wie aus dem Gesicht geschnitten war. »Er sollte gewinnen«, sagte sie zu Loytan. »Er hat Stil.«

»Und keine Aussichten auf Erfolg«, fügte er hinzu. »Habt Ihr nicht gehört, was die einfachen Menschen verlangen? Hohn und Spott, keine gedrechselten Sätze, bei denen man nicht weiß, ob sie zu Ende sind oder ein neuer Satz begonnen hat.« Coira beugte sich nach vorn und betrachtete den Mimen eingehender. »Woher kommt er?«

Loytan suchte in einem der Flugblätter, die unter den Zuschauern verteilt worden waren, nach dem Namen des Mannes. »Hier haben wir ihn, Rodario der Unerreichbare. Er stammt aus dem angrenzenden Tabain«, las er vor. »Er betreibt dort ein eigenes Theater und ist außerdem unterwegs in Gauragar und Idoslän, wo er die Bühnen bei verschiedenen Gastspielen bereist.« Er besah sich den Mann. »Eine gute Figur. Für einen Schauspieler.«

Genau das hatte Coira auch gedacht. In ihrer Vorstellung wurde er zu dem unbekannten Poeten, der furchtlos gegen die Lohasbrander hetzte und sich über sie lustig machte, der zum Widerstand gegen die Männer und den Drachen aufrief, den Mut bei den Menschen in Mifurdania weckte und sie daran erinnerte, dass es eine Zeit ohne Unterdrückung und Zwangsabgaben gegeben hatte. Und der ihnen vor allem eine Zukunft ohne Angst versprach.

Nicht zuletzt war er für die Lohasbrander und die Orks auch gefährlich: Dreizehn Morde wurden ihm bereits angelastet. Er besaß nicht nur eine scharfe Feder, sondern auch eine scharfe Klinge.

Der Unerreichbare aus Tabain fügte sich vollkommen in ihr Bild des unbekannten Helden, auf den ein Kopfgeld ausgesetzt worden war, von dem einhundert Menschen bis zum Ende ihrer Umläufe leben konnten; dennoch hatte ihn bislang niemand an den Drachen verraten.

Inzwischen war es an Rodario dem Siebten, die Menge von sich und seiner Sprachfertigkeit sowie seinem Wortwitz zu überzeugen. Aber schon die Art, wie er einen Schritt nach vorn machte, ließ erahnen, dass es schrecklich werden würde. Schrecklich peinlich.

»He, Junge!«, rief einer der Zuschauer. »Ich hoffe, dass du dieses Mal geübt hast, sonst stecken wir dich wieder ins Teerfass und ziehen dich durch Sägespäne!« »Oder durch den Abort«, stieg ein Zweiter mit ein. »Dann stinkst du wenigstens so, wie es kein anderer kann!«

Die Leute lachten, die Rufer wurden beklatscht, und der Weißgekleidete bat mit einer herrischen Geste um Ruhe. »Lasst ihn doch sich selbst blamieren, werte Spectatores!«, sprach er getragen und schnitt eine Grimasse. »Wenigstens hat er es in den letzten Zyklen immer bewiesen, dass er darin ungeschlagen ist.« Er zeigte mit dem Stöckchen auf ihn. »Wir warten!«

Coira wünschte Rodario dem Siebten aus Mitleid, dass irgendwas geschah, was seinen Auftritt vereitelte. Ein Unwetter, ein Schneesturm, notfalls auch ein kleiner Hausbrand, der die Aufmerksamkeit auf sich zwang. Sie sah zu Loytan, der sich grinsend aufrichtete, um besser hören und am Helm des Lohasbranders vorbeisehen zu können. »Seht, den stattlichen Unerreichten...«, hob er mit zittriger Stimme an, und schon prusteten die Ersten vor der Bühne los.

»Verzeiht, dass ich Euch ins Wort falle, doch es heißt Unerreichbaren«, verbesserte ihn der Genannte freundlich, aber überlegen. »Fangt noch einmal an.«

Rodario der Siebte räusperte sich und klang mehr nach einer Frau denn nach einem Mann. »Seht, den stattlichen Unerreichbaren«, sprach er und sah zu seinem Rivalen, der ihm nett zunickte und ihm mit einer leiernden Handbewegung bedeutete, die Geschwindigkeit des Vortrags zu erhöhen. Doch plötzlich verlor der Siebte seine Gesichtsfarbe. »Aber... so reimt es sich nicht mehr auf den nachfolgenden Satz«, brach es bestürzt aus ihm hervor. Fieberhaft kraulte er sich das Kinnbärtchen. »Was mache ich denn nun?«

Die Zuschauer rasten vor Lachen, das unfreiwillig ausgelöst worden war. Coira seufzte leise und bedauerte den sinnlos Tapferen. Wieder würde er den Wettkampf gedemütigt verlassen - und im folgenden Zyklus aufs Neue dabei sein wollen.

Rodario der Siebte wurde rot. Das Gelächter stachelte ihn auf, und er ballte entschlossen die Fäuste. »Da steht er wie eine Bohnenstange«, schrie er gegen den Lärm, »und ihm wird schon angst und bange, wenn er mich sieht. Und flieht.« Rasch verneigte er sich und trat zurück in die Reihe der Bewerberinnen und Bewerber.

Loytan sah Coira an, lachte kurz auf. »Das war nicht sein ganzer Vortrag! Oder etwa doch?«

»Ich fürchte es beinahe.« Sie blickte wieder zu ihrem Helden, dem Unerreichbaren, der vor sich hin schmunzelte. Er gönnte sich keinen lauten, ausgekosteten Sieg, und das machte ihn für Coira noch anziehender. Verwundert stellte sie fest, dass ihr Herz schneller pochte, je länger sie ihn betrachtete.

Faules Gemüse und Schneebälle flogen von allen Seiten auf Rodario den Siebten zu, der den Regen ebenso über sich ergehen ließ wie den gebrüllten Spott und Hohn. Der Unerreichbare trat unerwartet nach vorne und hob die Arme. »Aufhören!«, herrschte er die Meute an. »Das hat er nicht verdient. Er mag kein Wortakrobat und kein Schönling sein, doch er ist ein Nachfahre desselben Mannes, dessen Lenden ich entstamme.«

»Bist du dir ganz sicher?«, grölte eine Frau.

Der Unerreichbare hatte sie sofort entdeckt und deutete mit dem rechten Zeigefinger auf sie. »Wer bist du, dass du ihn verhöhnen darfst?«, herrschte er sie an und wirkte ganz und gar nicht mehr freundlich. »Du kannst nicht einmal schreiben und lesen, oder?«

»Es reicht mir, wenn ich diesen Hanswurst höre und sehe«, gab sie zurück und erntete die nächsten Lacher.

Rodario sah zu seinem Fürsprecher, der zu einer geharnischten Antwort ansetzte. »Lasst es gut sein«, sagte er niedergeschlagen und lächelte traurig. »Sie hat ja recht.« Er klaubte sich die fauligen Salatblätter von den Schultern und warf sie auf den Boden, schüttelte sich das Haar aus; Eisklümpchen rieselten herab. »Ich bin schlecht wie eh und je.«