Seine Auswahl führte dazu, dass einige kleinere Chimären unter dem Tor ankamen und sich sammelten. Sie schrien und stöhnten, kläfften und gaben fürchterliche Laute von sich, die dem Zwerg Schauder über den Rücken jagten.
Dann krachte es, und die tierhaften Stimmen erklangen plötzlich vom Hof. Wo soll ich denn noch überall sein? Fluchend wandte sich Slin auf die andere Seite und zielte auf das erste Wesen, das er sah.
Rodario und Franek hatten sich nicht versteckt. Stattdessen loderte ein immenses Feuer in der Mitte des Platzes, und die Männer hatten sich mit brennenden Holzlatten bewaffnet. »Entzückend. Die Langen wollen Helden sein«, murmelte Slin in seinen Bart und erschoss eine der Wolfschimären, die eben angesetzt hatte, den Schauspieler anzuspringen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Tieren ließen sich die Mischwesen nicht vom Anblick und der Hitze der Lohen abhalten.
Hinter ihm peitschte etwas durch die Luft, und eine Schlinge legte sich um sein Bein. Er wandte sich um, dabei legte er einen neuen Bolzen ein.
Der Chimärenmann mit den Tentakeln hatte sich an der Wand nach oben gezogen und hing mit dem Oberkörper in der Luke; ein Fangarm hatte sich um Slins Bein geschlungen, mit dem anderen hielt er sich an einem Stützbalken fest. »Komm zu mir, Zwerg!«, knurrte er, und der Tentakel zog sich zusammen.
»Ich schicke dir lieber was von mir!« Slin drückte ab, doch dadurch, dass ihm das Bein weggezogen wurde, verlor er seinen Stand und verriss den Schuss. Der Bolzen ging dem Wesen nicht wie gewollt durchs Herz, sondern steckte in der Schulter. Der Chimärenmann schrie auf und zog Slin auf sich zu, dabei kletterte er durch das Loch in den Speicher. Der zweite Tentakel brach einen Holzbalken entzwei und riss ein Stück heraus. Der Knüppel sauste auf den Zwerg nieder, der sich zur Seite drehen und ausweichen konnte. Er hielt die Armbrust mit beiden Händen am Kolben gepackt und schwang sie wie einen Pickel gegen den Fangarm, aber es genügte nicht, um ihn zu durchtrennen.
Dann war er vor den Füßen des Chimärenmanns angelangt. Sofort stellte der Gegner den Stiefel gegen Slins Gesicht, der Tentakel ums Bein löste sich und schnürte seine Kehle ein.
Der Zwerg betätigte einen zweiten Mechanismus, und unter dem Lauf der Armbrust schnellte eine verborgene Dolchklinge hervor. Als er den muskulösen Fangarm zerschlitzte, wich der Chimärenmann mit einem Hopser rückwärts.
»Ich brauche keine Bolzen!«, rief Slin und sprang auf, setzte nach und stach mit dem Dolch ein weiteres Mal zu.
Aber sein Widersacher hatte aufgepasst. Er wich aus, der Tentakelstummel fegte die Armbrust zur Seite, und der andere Fangarm zischte auf den Kopf zu. Slin duckte sich weg und zog sein Beil aus dem Gürtel, humpelte nach rechts, um einen Balken zwischen sich und den Chimärenmann zu bekommen. Das Bein, an dem es ihn erwischthatte, fühlte sich geschwollen an. So gelang es ihm nicht, den Attacken auszuweichen. Zwei weitere Mischwesen schwangen sich durch die Luke in den Speicher, sie hatten ebenfalls Tentakelarme; der Frau hatte Vot zusätzlich einen Wildschweinkopf gegeben, der Mann trug den Schädel eines Bären auf seinen Schultern.
Zu dritt machten sie nun Jagd auf Slin und trieben ihn mit peitschenden Fangarmen immer weiter gegen die Wand, um ihm jegliche Fluchtmöglichkeit zu rauben. Slin wusste nicht mehr, was er tun sollte. »Ihr habt es nicht anders gewollt«, sagte er zu den Chimären und zeigte ihnen sein Beil. »Ich werde euch vernichten!« Mit einem lauten Kampfschrei warf er sich gegen die Kreaturen. Ein zweiter Tentakel fiel zappelnd auf den Boden und führte einen makaberen Tanz auf.
Doch dann surrten vier Fangarme heran und umschlangen seinen Oberkörper, die Beine und den Hals.
Slin wurde angehoben, gleich darauf wurde aus dem unangenehmen Druck um den Leib ein Schmerz, der ihn schwindlig werden ließ. Er wollte schreien, doch die Einschnürung um seine Kehle ließ ihn nicht mal einen noch so leisen Ton hervorbringen.
Rodario wich einer heranschnellenden Bärentatze aus und drosch die brennende Dachlattte gegen den Kopf der Chimäre. Rotgelbe Funken flogen nach allen Seiten davon, der Schädel schnappte herum, und das Genick brach mit vernehmlichen Knacken; tot fiel sie auf den Hof. »Neben Euch, Franek!«, warnte er den Famulus. Der Mann wich dem zuschnappenden Wolfskopf aus und schlug mit beiden Holzbrettern gleichzeitig zu, sodass er den Knochen zwischen den Bohlen zerschmetterte.
Rodario sah zum Eingang und dem offenen Tor, durch das neue Wesen hereinströmten. Slin hatte bereits mit dem Rufhorn um Hilfe gebeten, doch wenn Tungdil und die Zhadär sich nicht beeilten, kämen sie zu spät. »Warum schießt er denn nicht?« Da erschien der Zwerg in der Luke, legte an und erlegte eine Wolfschimäre mit einem einzigen Schuss; gleich darauf war er verschwunden.
»Was treibt denn der Bart da oben?« Franek schlug heftig mit den Latten um sich, doch die Angreifer kehrten immer wieder zurück. Die Gier nach Fleisch trieb sie vorwärts und ließ sie jegliche Furcht vergessen. Rodario tauschte eine der Latten gegen sein Schwert. Da Feuer nicht half, musste Stahl her. »Und das alles nur, weil sie mich falsch verstanden hat«, murmelte er vor sich hin und stach einer Frau, die den Kopf eines Pferdes trug, durch den Bauch. Ihre klauenhaft nach vorn gestreckten Finger verfehlten ihn, und sie stürzte an ihm vorbei in die Flammen. »Ich könnte mit ihr am Teich liegen und schöne Dinge tun.« »Teich?« Franek durchbohrte eine Kreatur aus Hund und Mensch. »Doch nicht der am Wasserfall?«
»Doch.«
»Da hattet ihr Glück. Auf seinem Grund lebt ein Ungeheuer, das Vot ebenso erschaffen hat.« Franek musste vor einem Mann zurückweichen, der anstelle von Händen riesige Krebsscheren trug. »Gelegentlich kommt es hervor und frisst alles, was ihm in die Fangarme gerät.«
Rodario stöhnte auf. Dann hätte ich Coira beinahe auf dem Gewissen gehabt. »Ihr seid schon länger in der Gegend, wie mir scheint.«
»Was blieb mir übrig?« Der Famulus sprang durch die Flammen auf die andere Seite des Scheiterhaufens, um seinen Gegner abzuschütteln, der sich prompt Rodario zuwandte.
Der Mime schlug zu, doch die Krebsscherenhand fing die Klinge ab und zerbrach sie mit einem hässlichen Knacken! »Oh, Samusin und Palandiell! Einer von euch beiden sollte mir freundlichst zu Hilfe kommen.« Er schleuderte die zerstörte Waffe und verletzte die Chimäre am Kopf, aber töten konnte er sie nicht.
Der Feind sprang nach vorn, die Scheren weit geöffnet.
Ingrimmsch tauchte plötzlich vor ihm auf und schlug mit dem Krähenschnabel zu. Die flache Seite zertrümmerte die Panzerung, die Scheren wurden in viele kleine Teile zerschmettert. Blut spritzte aus der Wunde. »Ho, ein Fischmensch!« Ingrimmsch rammte ihm den Dorn durch den Hals und zog ihn daran in die Flammen. Eine kurze Handbewegung genügte, und das scharfe Ende der Waffe glitt heraus; der Angreifer stürzte ins Feuer. »Mhh, das riecht lecker! Ein wenig Würze über die Scheren, und es gibt was zu essen!« Er lachte laut.
Rodario sah, wie die Zhadär die Feinde von hinten angriffen und die Chimären nicht einmal verstanden, was über sie herfiel. Sie starben innerhalb weniger Augenblicke. Nur Ingrimmsch hatte es anscheinend nicht mit seinem Stolz vereinbaren können, einer unter vielen zu sein, und sich ganz nach vorn begeben, um genug Auswahl zu haben. Zu Rodarios Glück.
»Slin ist da oben!«, rief er und zeigte auf die Luke. »Und nicht allein.«
»Er wird es schon schaffen«, sagte Ingrimmsch leichthin und beeilte sich, vor einem Zhadär an ein Mischwesen heranzukommen.
»Es sind riesige Biester, die ihn da oben bedrängen. Größer als das, was du hier siehst«, rief Rodario. Daraufhin wandte der Zwerg sich um und sah zur Scheune über dem Tor. »Dann will ich mal nachsehen. Die Vierten sind nicht für ihre Kampfstärke berühmt.« Grinsend hastete er zum Aufgang und schlug eine Luchschimäre im Vorbeigehen nieder, auf die sich eben Barskalin hatte stürzen wollen. »Ha! Erster!«