Franek führte sie in kleinere Gassen zu einem Nebenmarktplatz, der gerade einmal zehn auf zehn Schritt maß; die Häuser drumherum waren flacher, kleiner und viereckig. Trümmer von Verkaufsständen lagen auf den Platten, von denen manche gesprungen und zerplatzt waren, andere wiesen tiefe, lange Rillen auf. Ingrimmsch betrachtete sie. Etwas ist mit viel Wucht auf sie niedergefahren. Slin bückte sich und hob ein goldenes Armband in die Höhe. »Schaut euch das an«, machte er die Gruppe aufmerksam. »Das liegt hier einfach so herum!« Mit dem Blick eines Kundigen prüfte er den Schmuck. »Ich schätze das Prachtstück auf einen Wert von mindestens vierhundert Münzen.«
»Hier wurde mit Schmuck gehandelt«, sagte Franek und ging zu dem kleinen Brunnen, der in der Mitte stand. Er kostete von dem Wasser, das aus einer Säule in ein Becken plätscherte. »Es ist rein. Diese Quelle kann man nicht vergiften, jedenfalls nicht einfach so. Das Wasser kommt von sehr tief unten.«
»Mit Magie?« Ingrimmsch behielt die Fenster der Häuser im Auge.
Er füllte sich den Schlauch. »Nein. Ich hätte es gemerkt.« »Und wie, Schlaumensch?« Ingrimmsch gab sich so rasch nicht zufrieden.
»Als Magus habe ich ein Gespür.« Er zeigte auf Coira. »Lass sie nachsehen, wenn du mir nicht glaubst.«
Die Maga, die wie Rodario und Mallenia unter einem üblen Sonnenbrand litt, kam näher und tat so, als spreche sie einen Zauber. Sie verließ sich auf die Einschätzung des Famulus. Für solche Nichtigkeiten durfte sie den Rest an Magie nicht aufbrauchen. Die Kraft zehrte sich eh von selbst auf, gleich Wasser, das in der Sonne stand, und sie würde froh sein, wenn sie endlich in die Quelle des Blauen Gebirges eintauchen durfte, bevor ihr die Hand verfaulte. Rodario sah sie an und wusste, dass sie den Zwergen etwas vormachte. »Keinerlei magische Verunreinigung.«
Franek zeigte ein überlegenes Gesicht, Ingrimmsch winkte ab, und das große Befüllen begann.
Tungdil befahl Slin, die Kette zurückzulegen. »Sie gehört dir nicht. Möglich, dass die Einwohner der Stadt zurückkehren, und man müsste dich als einen Dieb bezeichnen.« Ein Zhadär rief etwas vom Dach herab. Barskalin sah zum Einäugigen und gab die fremdartigen Worte übersetzt wieder. »Sie haben Leichen in den Straßen gefunden. Er sagt, dass sie aussehen, als wären sie von einem Grobfleischer zerlegt worden. Das Fleisch ist von den Knochen geschabt und die Gebeine sind aufgebrochen worden. Vom Zustand der Kadaver her schätzen sie den Zeitpunkt auf etwa zehn Umläufe.« Franek setzte sich in den Schatten, wo sich die restlichen Menschen niedergelassen hatten. »Lot-Ionan besitzt keine Streitmacht. Ein Überfall von Wüstenbanditen wäre zwar möglich, aber ich vermute vielmehr, dass er oder Bumina ihnen etwas Magisches gesandt hat, das ihnen den Tod brachte und sie vertrieb.« Er blickte zu Coira. »Ihr werdet besser achtgeben müssen. Sprecht einen Findungszauber, damit wir sichergehen können.«
»Tut es«, sagte Tungdil und unterstützte damit den Vorschlag. »Ich möchte nicht kurz vor Erreichen unseres Ziels Opfer eines Hinterhalts werden. Ihr werdet damit mehr sehen als die Zhadär.«
Coira wollte zunächst aufbegehren, doch ihr Staunen war stärker. Tungdil wusste sehr genau, dass sie kaum mehr Kraft besaß - warum verlangte er es von ihr? Weil er keine Vorstellung besaß, wie anstrengend ein solcher Zauber war? »Ich spreche ihn von da oben aus«, sagte sie und bat Rodario mit einem Nicken, sie ins nächste Haus zu begleiten, das ein bisschen größer war.
Sie erklommen die Stufen, durchquerten zwei Geschosse und standen auf dem weiß getünchten Dach des Gebäudes, von dem aus man die Siedlung überblickte. »Wollt Ihr das wirklich tun?«, fragte der Schauspieler sie.
»Ja«, log Coira. »Es ist zu unser aller Schutz.« Sie fuchtelte mit den Armen, schloss die Augen und öffnete sie wieder, dabei drehte sie sich einmal um die eigene Achse. »Ich kann nichts erkennen. Wir sind sicher, aber sollten dennoch rasch weiter. Ich habe kein gutes Gefühl. Das werde ich auch Tungdil sagen, bevor er die Stadt als Rastplatz erkürt.« Rodario nahm ihre Hand. »Ich bin froh zu sehen, dass die Hand noch immer an ihrem Platz ist.«
»Es hält noch eine Weile. Aber viel mehr werde ich nicht mehr tun können.« Sie lächelte ihn an, und gemeinsam kehrten sie auf den Platz zurück, wo die Maga dem Großkönig berichtete und auch ihr Unbehagen nicht verschwieg. »Es gibt keine Aasvögel. Das ist niemals gut. Sie lassen sich nur dort nieder, wo sie in Ruhe und ungestört fressen können«, begründete sie ihr Drängen, bald aufzubrechen.
»Das mag sein. Doch gerade Ihr, Maga, habt eine Rast bitter nötig.« Tungdil, der neben dem Brunnen stand, wies die Zhadär an, eines der angrenzenden Häuser zu überprüfen und danach einzurücken. »Der Umlauf ist mir zu heiß, um zu marschieren, und außerdem sind wir bereits in der Nähe des Blauen Gebirges angelangt. Ich habe mit Barskalin abgesprochen, dass wir nachts laufen und ansonsten ausruhen. So entgehen wir der Gefahr, zu früh bemerkt zu werden.« Er ließ sich Wasser in die Hand laufen und fuhr sich damit über das Gesicht; ein Tropfen blieb auf der Augenklappe hängen und schimmerte golden »Da es keine magischen Fallen gibt, spricht nichts gegen einen längeren Aufenthalt. Oder?«
Coira zögerte und nickte. »Nichts spricht dagegen.« Mit schlechtem Gewissen ging sie zusammen mit Rodario ins Haus. Ihr rechter Unterarm schmerzte und brannte. Kein gutes Zeichen.
Die Neugier hatte Ingrimmsch, Slin und Balyndar einschließlich ihrer Vorsicht sowie der Vernunft besiegt.
Sie schlenderten kampfbereit durch die Straßen und betrachteten die verlassenen Behausungen, um nach Spuren der zurückliegenden Ereignisse zu suchen. Die Zhadär bewachten die Gruppe am Marktplatz der Schmuckhändler, und die drei Zwerge fühlten sich stark genug, Tieren oder Räubern begegnen zu können.
Slin hielt seine Armbrust halb im Anschlag. »Wir sollten weniger Lärm machen«, meinte er.
Balyndar lachte ihn aus. »Das sagst du, weil du derjenige von uns bist, der die Waffe hat, die man nachladen muss.«
Ingrimmsch feixte. »Kommt, wir suchen die Geschäfte, in denen die zwergischen Waren gehandelt wurden«, sagte er und schwenkte nach rechts in eine Seitengasse, wo er zwei gekreuzte Hämmer über einem Eingang hatte baumeln sehen. Das war in seinen Augen ein guter Hinweis darauf. Oder zumindest auf eine Schmiede, um sich ein wenig wie zu Hause zu fühlen. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Hoffentlich haben sie Öl für mein Kettenhemd. Meine Ration ist schon lange zu Ende.« »Was machen wir, wenn wir Dinge finden, die von unserem Volk hergestellt wurden?«, wollte Slin wissen und sicherte das Ende. »Nehmen wir sie mit?«
»So etwas schwebte mir vor. Ich gönne den Langen ja ihren Reichtum, aber wenn die Stadt weiter im Staub versinken sollte, möchte ich das Werk unserer Verwandten wenigstens in Sicherheit gebracht haben.« Ingrimmsch betrat den Laden, in dem es Werkzeuge aller Art gab, vom kleinen Nagelkneifer bis hin zu großen Felsbohrern. Immer zwei von ihnen stöberten, der dritte hielt Wache. So arbeiteten sie sich von Geschäft zu Geschäft, bis sie an den äußersten Rand der immensen Düne gelangten. Darunter lagen eine Reihe von Läden vom Sand bereits bis zur Hälfte begraben, und diese warben damit, nur echte Zwergenware feilzubieten.
Unschlüssig betrachtete das Trio die Gebäude, an deren Fassaden Risse entstanden waren. Auch Sand hatte, wenn sich die Körner so hoch und dicht türmten, ein enormes Gewicht.
»Es sieht gefährlich aus«, meinte Slin als Erster.
»Es könnte sich aber lohnen.« Balyndar zeigte mit dem Morgensterngriff auf das Schild mit der Aufschrift »Waffen von Vraccas Kindern«; die Tür war bereits aufgebrochen, und davor lagen einige Schwerter, Speere und Äxte auf dem Boden verteilt. »Da hat schon jemand eingekauft, ohne vorher den Besitzer zu fragen.«