Tungdil teilte die Zhadär, Ingrimmsch und sich selbst zur wechselnden Wache ein. Die erschöpften Menschen sollten sich ausruhen, um genügend Kräfte für die Reise durchs Gebirge zu sammeln. Mit Franek besprach er anhand der Karte ihre Strecke, die in sehr gerader Linie in das Blaue Gebirge führte.
Ingrimmsch kam hinzu und besah die Zeichnung. »Den Weg kenne ich nicht«, räumte er ein. »Er muss angelegt worden sein, nachdem ich ins Jenseitige Land bin, um Übeldamm zu errichten.« Er wies auf die Stelle, wo sich der Eingang in das Stollensystem befand. »Eine solche Schwächung der Verteidigungsanlage hätte unser Volk niemals vorgenommen. Da merkt man gleich, dass den Langen der Sinn für so etwas vollkommen fehlt.«
»Bumina hat ihn nicht angelegt«, widersprach Franek. »Es wäre Lot-Ionan aufgefallen, wenn Steinarbeiten durchgeführt worden wären.«
»Dann war es Aiphatön, als er den Magus überraschte.« Ingrimmsch weigerte sich beharrlich, dem Pfad einen zwergischen Ursprung zugrunde zu legen. »Ich sage es noch einmaclass="underline" Die Zweiten hätten einen solchen Weg, der zwar nicht ins Herz, wohl aber in den Leib des Reiches führt, niemals angelegt! Niemals!« Er kreuzte die Arme und hatte die Augenbrauen über der Nasenwurzel zusammengezogen.
»Das ist mir, gelinde ausgedrückt, einerlei«, meinte Tungdil. »Er ist da, wir können ihn benutzen, und das werden wir auch tun. Morgen.« Er sandte die Zhadär hinaus, damit sie die Wache begannen. Sein nächster Blick galt den Menschen, die sich in einer Ecke zusammengekauert hatten. Rodario lag in der Mitte, Mallenia rechts und Coira links von ihm. »Wir haben die Feuerklinge«, sagte er behutsam. »Hätten wir früher gewusst, welches Glück uns zuteilwird, hätten wir die Königin nicht in Gefahr bringen müssen. Balyndar führt die Waffe, die gegen Lot-Ionan besser nicht sein könnte.«
»Aber sie wird vom Falschen gehalten«, ließ sich Ingrimmsch hinreißen. »Das habe ich dir schon erklärt.« Der Einäugige erhob sich. »Und ich bleibe dabei. Die Feuerklinge ist bei ihm gut aufgehoben.« Er ging zur gegenüberliegenden Wand, setzte sich auf seine Decke und schloss das Lid. Seine Art zu zeigen, dass er allein sein wollte. Das wird kein gutes Ende nehmen. Die Axt gehört zu dir, nicht dieses Albae-Ding in deinen Händen. Ingrimmsch wischte sich über das Kettenhemd, kehrte zu Slin und Balyndar zurück. »Da die Zhadär weg sind, kann ich einen Blick darauf werfen, ohne dass wir alle geblendet werden«, sagte der Fünfte und zog die Hülle vom Axtkopf.
Die Intarsien schimmerten noch immer.
Die drei schauten zum schlafenden Tungdil hinüber.
Slin sagte, was er dachte. »Sie will uns doch nicht etwa vor ihm warnen?« Seine Stirn legte sich in Falten. »Wie könnte er ein Feind unseres Volkes sein?«
»Ich wusste es«, grollte Balyndar und verpackte die Feuerklinge wieder. »Von Anfang an habe ich diesem Zwerg, der sich als Goldhand ausgibt, nicht getraut...« »Haltet ein, ihr Gnomenhirne!«, unterbrach Ingrimmsch. »Die Klinge kann genauso gut auch den Famulus meinen.« Oder mich, fügte er in Gedanken hinzu. Er wollte den Verdacht weder auf sich noch auf den Freund lenken. »Ich traue ihm nämlich weniger als meinem Gelehrten.«
»Hm«, machte Slin und war verunsichert.
Sie aßen etwas und teilten sich ihr Wasser, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Ingrimmsch betrachtete Tungdil kauend, das Gesicht, die tiefen Linien, die goldene Augenklappe und die braunen, langen Haare. Ich verliere nicht jetzt meinen Glauben an dich. Die Feuerklinge meldet uns eine andere Gefahr, sie kann nicht dich meinen.
Ein schlanker menschlicher Umriss erschien am Eingang und betrat gebückt die Höhle, in der Linken hielt er einen Speer.
»Schwarzauge!«, brüllte Ingrimmsch, sprang auf die Füße und riss den Krähenschnabel hoch. »Blinde Zhadär! Ich werde sie mir...« »Langsam, Boindil Zweiklinge«, sprach der Alb zu ihnen und trat näher in den Feuerschein. Die in den Körper eingearbeitete Rüstung war einmalig: Aiphatön! »Ich bin nicht hier, um euch zu schaden, sondern euch zu unterrichten, was geschehen wird.«
Tungdil stand bereits, doch er sah sehr entspannt aus. »Ich habe dein Kommen erwartet, Kaiser.«
»So? Hast du das? Ich nicht«, grummelte Ingrimmsch und stellte den Krähenschnabel mit Schwung ab. »Wie hat er uns gefunden?«
Aiphatön deutete auf den Ausgang. »Meine Späher meldeten eine kleine Gruppe, die sich dem Blauen Gebirge von Westen nähert. Ich ahnte, dass ihr es seid, folgte den Spuren und fand euch hier vor.« Er ließ den Blick schweifen. »Mehr sind es nicht?« »Nein. Wir haben viele Zhadär in einem Gefecht verloren, und die Schwarze Schwadron ist nicht zu uns gestoßen«, entgegnete Tungdil. »Hast du etwas von Hargorin Todbringer gehört?«
»Nein. Bei uns kam er nicht an.« Aiphatöns schlankes Albgesicht wandte sich zu Tungdil. »Ich beginne morgen mit dem Angriff. Es hat sich herumgesprochen, dass die Aufstände im Westen des Geborgenen Landes auch auf Gauragar und meine anderen Besitztümer übergreifen. Auch dass die Dritten ihre Posten verlassen haben und sich in ihre Festungen im Schwarzen Gebirge zurückziehen, wurde vernommen. Die Albae wollen daher die Pforte schnell öffnen, um Nachschub an Kriegern zu erhalten und die Lage unter Kontrolle zu bekommen, ehe die Aufstände nur mit einem langwierigen Krieg zu beenden sind.« Er setzte sich, weil ihm das gebückte Stehen nicht länger gefiel. »Stimmt es tatsächlich, dass Lohasbrand tot ist?«
»Ja. Und zwar schon sehr lange.« In aller Kürze erklärte Tungdil dem Alb, was sie in den letzten Umläufen alles erlebt hatten; auch dass sie einen der Dsön Aklän getötet hatten, verheimlichte er nicht.
»Dennoch sind es zwei der Drillinge, die noch leben.« Er sah zu Mallenia, die einen Fluch auf den Lippen hatte. »Tirigon hat Euren Schuss überlebt und sich in Dsön Bharä auskuriert. Ich werde ihn für Euch töten, Prinzessin. Es liegt auf meinem Weg«, sagte er freundlich. »Aber von Firüsha habe ich nichts mehr vernommen. Sie liegt anscheinend wahrhaftig auf dem Grund des Sees.«
»Elria möge sie tiefer sinken lassen als den schwersten Stein und von Fischen zerfressen lassen«, murmelte Ingrimmsch leise. »Ach ja: und Seenstolz auf sie fallen lassen, wenn wir gerade schon dabei sind.« Aiphatön erläuterte seinen Angriffsplan vor ihnen, und er klang furchtbar einfach: »Stürmen. Von drei Seiten gleichzeitig.«
»Er hat noch zwei Famuli zu seiner Verteidigung. Einen haben wir getötet, einer steht auf unserer Seite. Sie werden euch mit Zaubern eindecken.« Tungdil setzte sich dem Alb gegenüber. »Du hast fünfzigtausend Mann mit dir?«
Aiphatön nickte. »Und wenn es nur zehntausend bis in die Stollen schaffen, bin ich nicht unglücklich, wie du weißt. Ich werde den Angriff führen«, er legte die Linke gegen seine Rüstung, »und die Sprüche, die sie gegen mich schleudern, abfangen und zurückschicken, wie ich es seinerzeit mit Lot-Ionan getan habe.«
»Sie werden ihre Magie vielmehr gegen deine Krieger schicken.« Tungdil sah ihn an. »Werden sie nicht flüchten, wenn sie die Ausweglosigkeit ihrer Attacke erkennen?« »Ich habe ihnen gesagt, dass wir schnell sein müssen, um den Tod zu entkommen. Wir Albae sind schnell«, sagte Aiphatön ruhig.
»Kein Wunder, bei den langen Beinen.« Ingrimmsch spielte mit seinem Bart. »Da kann ja jeder schnell sein. Aber dafür schlagt ihr euch im Tunnel den Schädel an!« Der Kaiser bedachte den Zwerg mit einem Grinsen. »Immer noch der Alte.« Tungdil hatte sich anscheinend neue Gedanken gemacht. »Deine Krieger sind genügend angespornt, um in die Tunnel zu gelangen. Aber du hast dann keinerlei Kontrolle mehr über sie. Was ist, wenn sie Lot-Ionan finden und ihn töten? Du weißt, dass wir den Magus lebendig benötigen.«
»Ich sagte ihnen, dass wir ihn lebendig benötigen, um das Tor zu öffnen. Das ist ihnen Anreiz genug.«