Ingrimmsch räusperte sich. »Was geschieht, wenn der Anreiz so gut war, dass es ihnen gelingt? Wie sollen wir den Magus aus den Fängen von Zehntausenden Albae befreien?« Er streichelte seinen Krähenschnabel. »Ho, halte mich nicht für einen Feigling, Kaiser der Schwarzaugen. Ich mag Herausforderungen, und ich mag es auch, viele Gegner gegen mich zu haben. Aber gleich so viele? Und dazu noch mit diesen... Fertigkeiten?«
»Darüber habe ich auch eben nachgedacht«, gestand Tungdil, dessen linker Zeigefinger gegen die Augenklappe pochte und ein helles Klingen verursachte. »Ich habe Vorsorge getroffen, dass die meisten von ihnen den Kampf nicht überstehen. Es gibt giftige Substanzen, von denen ein Tropfen in einem See ausreicht, um jeden, der daraus trinkt, zu töten.« Der Alb sah Tungdil an. »Die Wasservorräte meiner Krieger sind mit diesem Mittel versetzt. Nach zwei Umläufen werden sie sterben und tot in der Wüste oder im Blauen Gebirge liegen. Das wäre dann der Augenblick, in dem ihr den Magus von mir haben könnt.«
»Das ist ein Wort!«, rief Ingrimmsch erleichtert. Aiphatön hatte denselben Gedanken wie Mallenia gehabt. »Und du willst danach wirklich allein nach Dsön Bharä gehen, die Nord-Albae ausrotten und für immer verschwinden?«
Aiphatön fand die Unbekümmertheit des Zwerges unterhaltsam, wie man ihm deutlich ansah. Er nahm ihm die Frage nicht übel. »Das werde ich tun, Boindil Zweiklinge. Ich gehe und nehme dem Geborgenen Land ein Übel.«
»Das wird ein aufregender Umlauf«, freute sich Ingrimmsch und rieb sich die Finger. »Und danach nichts wie nach Norden!«
Der Alb erhob sich und nickte ihnen zu. »Ich kehre zurück und werde meinen Leuten eröffnen, dass ich Händler vorgefunden und getötet habe. Ihr seid zumindest vor Nachstellungen durch meine Krieger sicher.« Er verabschiedete sich mit einem Heben der Hand, dann verließ er die Kaverne.
»Mallenia hat mit ihrer Vermutung und dem Gift genau ins Schwarze getroffen.« Ingrimmsch freute sich, dass der Alb verschwunden war. »Früher oder später bekommen wir Lot-Ionan, Gelehrter.«
Tungdil nickte. »So ist es.« Er legte ihm vertrauensvoll die Hand auf den Rücken, und das Braun seines Auges blickte freundlich auf ihn. »Ruhe dich aus, mein Freund. Du hast den Schlaf so bitter nötig wie Rodario und seine beiden Frauen.«
Nicht einmal der Ansatz von bunten Wirbeln und Sprenkeln. Ingrimmsch unterdrückte ein Gähnen. »Das tue ich. Aber vergiss nicht, mich zu wecken. Den Zhadär die Wache allein zu überlassen, möchte ich nicht. Wir haben ja gesehen, dass sie das gefährlichste Langohr des Geborgenen Landes ohne eine Warnung in unser Lager spazieren lassen«, sagte er übertrieben und gestikulierte dazu. »Die famosen Zhadär! Ha! Zwei haben wir noch, und gegen was sind sie gefallen? Gegen magische Kreaturen.«
»Die Einzigen, die wohl einen derartigen Sieg über die Unsichtbaren erringen konnten«, vermutete Tungdil. Er überlegte. »Wir werden unsere letzten beiden im Kampf schonen.«
»Was? Ich habe mich verhört, Gelehrter!«
»Der Stänkerer und der Knurrer, wie du sie nennst, kennen alle Geheimnisse der Dsön Aklän«, sagte er nachdrücklich. »Wenn Aiphatön scheitern sollte, sind wir auf ihr Wissen angewiesen, um uns die Schwarzaugen vom Hals zu schaffen. Erst dann wird das Geborgene Land Ruhe finden.«
Er blickte bestürzt. »Heißt das, ich muss auf den Stänkerer und den Knurrer aufpassen und nicht umgekehrt?«
Tungdil deutete Beifall an und rutschte auf sein Lager zurück.
»Wenn das so weitergeht, trinke ich freiwillig aus der Wasserflasche eines Albs.« Ingrimmsch bohrte sich im Ohr und stapfte zu Slin und Balyndar, um ihnen zu verkünden, was besprochen worden war.
XXVII
Das Geborgene Land, Blaues Gebirge, Das Reich der Zweiten, 6492. Sonnenzyklus, Spätfrühling.
Ingrimmsch wurde von den Eindrücken überwältigt. Er befand sich in seinem Zuhause, das er schon vor so langer Zeit verlassen hatte und wegen Lot-Ionan nicht einmal mehr hatte besuchen können! Er atmete tief ein und erkannte den ganz eigenen Geruch des Blauen Gebirges sofort wieder, erinnerte sich an die Gänge, durch die sie liefen, und ihm tat der Verfall weh, den er allenthalben entdeckte.
Stollen, Tunnel, Höhlen, Kavernen, Säle, Hallen, große und kleine Räume verlangten nach Pflege, denn ein Gebirge war nichts Totes, wie die Menschen immer behaupteten. Es bewegte sich, verschob sich, wankte und erzitterte, wuchs und starb an manchen Stellen, und die Zwerginnen und Zwerge handelten entsprechend. Liebevoll war abgestützt, verputzt oder gegraben worden - aber seit Lot-Ionans Herrschaft hatte die Instandhaltung gelitten.
»Risse, Einstürze, Wassereinbrüche«, zählte er leise leidend auf. »Eine Schande! Allein dafür hat der Hokuspokusmacher eine Tracht Prügel verdient.«
»Dabei seien einmal die absichtlichen Zerstörungen außen vor gelassen«, fügte Slin hinzu.
»Sie kommen von den Experimenten, die er und die Famuli unternommen haben«, sagte Franek, der sich mit Tungdil an der Spitze der Gruppe befand.
»Dafür hast du auch eine Tracht Prügel verdient«, knurrte Ingrimmsch und versetzte ihm einen Stoß. »Ein Gebirge ist nachtragend. Ich hoffe, es lässt uns seine Wut nicht spüren, wenn mein Stamm Einzug hält.«
»Es wird sich sicherlich freuen«, meinte Slin. »Es wird die Nase von Magie voll haben.« Hinter den Zwergen liefen die Menschen, die Zhadär bildetenden Schluss. Im gleichbleibend kühlen Berg waren ihrer aller Kräfte zurückgekehrt, sie hatten eine Wasserquelle gefunden und mit jedem Schluck frischen Mut geschöpft. Nun waren sie auf dem Weg zu einer zweiten, sehr wichtigen Quelle. Franek machte nicht den Eindruck, als habe er vergessen, welche Tunnel zu ihr führten.
Ingrimmsch war aber noch aufmerksamer als vorher unterwegs. Sobald das Zaubererlein auch nur den winzigsten Anschein erweckt, uns hintergehen zu wollen, wird mein langer Dorn seinen Schädel öffnen und den Verstand lüften.
»Der Angriff der Albae müsste schon lange begonnen haben«, sagte Rodario zu Mallenia. Sie hatten Coira in die Mitte genommen und die Arme um ihre Schultern gelegt, um die Maga zu stützen. Vorsichtshalber. »Somit sollte sich uns niemand in den Weg stellen.«
»Außer Lot-Ionan«, warf die Ido ein.
Rodario winkte ab. »Welche Möglichkeit besteht denn, in diesem gewaltigen unterirdischen Reich auf den Magus zu treffen?«
»Er könnte die Quelle bewachen. Und dann sähen wir schlecht aus.« Sie sprach leise, damit weder die Zwerge noch die Zhadär sie vernahmen.
»Da vorn ist es«, sagte Franek und hob den Arm. Sein Finger deutete auf eine ovale Tür, um den eingefassten Bogen aus Palandium waren Runen eingemeißelt worden. »Dahinter verbirgt sich die Quelle.«
»Was hat es mit den Symbolen auf sich?«, verlangte Tungdil zu wissen und hielt auf den Eingang zu.
»Es ist eine Formel. Sie muss gesprochen werden, um die Tür zu öffnen, und gleichzeitig wird Lot-Ionan auf diese Weise gewarnt, dass sich jemand Zutritt verschafft hat. Er besitzt ein Armband, das zu leuchten anfängt, wenn der Zauber gesprochen wird«, erklärte der Famulus.
Tungdil betrachtete den Eingang. »Wie bist du zur Quelle gelangt? Du wusstest doch um die Sicherung.«
»Ich hatte mich an einem Gegenzauber versucht und hielt ihn für sicher.« Franek blickte zerknirscht zu Boden. »Das hat mich meine Stellung gekostet.«
»Wir könnten sie einfach aufbrechen, Gelehrter.« Ingrimmsch sah zu Balyndar. »Die Feuerklinge würde schon ein feines Lochhineinhacken und mit ihrer Macht sämtliche Schutzzauber zerstören.« »Nichtsdestotrotz wüsste Lot-Ionan Bescheid«, warnte Franek. »Er kann sehr schnell auftauchen, bevor die Königin oder ich genügend Magie aufgenommen haben, um ihm zu trotzen. Noch wird er nicht geschwächt sein.«