Zwar hatte sie seit ihrer ersten Unterrichtsstunde in Sachen Magie darauf gebrannt, den Drachen Lohasbrand zu vernichten, seine Orkheer zu pulverisieren und die ergebensten Vasallen mit Flüchen zu strafen. Aber gegen einen Magus ins Feld zu ziehen, hatte eine ganz andere Bedeutung und war eine niemals da gewesene Herausforderung.
Coira hatte zu keiner Zeit die Gelegenheit erhalten, ihre Macht gegen einen anderen Magischen auszuprobieren. Wie auch? Ihre Mutter hatte sie nicht unterrichten können, sie hatte viel Wissen aus Weys alten Aufzeichnungen bezogen, und wann immer sie Fragen gehabt hatte, hatte sie ihr Anliegen durch umständliche Formulierungen so verschleiern müssen, dass die Wachen nichts davon bemerkten.
Das alles und die Erinnerungen an die gefährlichen Ereignisse während der Reise, die ihr mehr als zu schaffen gemacht hatten, flogen durch ihren Verstand, was nicht eben dazu führte, dass sie sich sicherer und gut vorbereitet auf ihre Feuertaufe fühlte. Dann hörte sie Balyndar rufen, gleich darauf zischte es, und es erfolgte eine Explosion, die mit einem hellen, fliederfarbenen Blitz einherging. Die Druckwelle fegte die Fahnen empor, sodass Coira sah, dass die Zwerge den Magus gestellt hatten!
Balyndar wurde wieder von seiner Sphäre umschlossen, während ein anhaltender Strahl aus Lot-Ionans rechter Hand schoss und die schützende Hülle angriff; gleichzeitig zuckten Blitze aus dem Onyx seines Gehstabes und deckten Tungdil ein, dessen Runen auf der Rüstung erstrahlten. Dann ließ der Wind nach, und die Fahnen senkten sich erneut, verdeckten ihr die Sicht.
Coiras spürte Angst. Einen zweifachen Spruch zu wirken und beide auch noch aufrechtzuerhalten, das war kaum möglich! Lot-Ionans Macht musste wirklich enorm sein.
Sie riss sich zusammen. »Ich darf sie nicht alleinlassen«, sagte die junge Frau zu sich und spurtete los, um die Zwerge zu erreichen. Noch wusste Lot-Ionan nichts davon, dass es hier eine Maga gab, die ihm gefährlich werden konnte. Ihr vermutlich entscheidender Vorteil. »Steh mir bei, Mutter«, bat sie leise und schob die erste Fahne zur Seite. Den Alb, der schräg dahinter gestanden hatte, bemerkte sie zu spät, weil sie sich zu sehr auf den Magus konzentriert hatte.
Es war Sisaroth! Er blutete aus Wunden am Hals, in der Schulter, im linken Arm und über dem Schlüsselbein; der rechte Unterschenkel schien nur mehr als ein verkohltes Stück Fleisch mit zerfetzter Rüstung drumherum.
Dennoch zögerte der Alb nicht.
Unverzüglich stach er mit dem Zweihänder nach ihr und schob den Stahl durch ihren Bauch.
Der Schmerz ließ den Zauber auf Coiras Lippen stocken, und als sie erneut ansetzte, drehte Sisaroth die Klinge und riss sie nach oben. Die Schneide hinterließ eine fürchterliche Wunde in dem zarten Frauenkörper, Blut und andere Flüssigkeiten ergossen sich aus dem unterarmlangen Schnitt, Gedärme schoben sich hinaus. Die Maga stürzte und meinte zu spüren, wie das Schwert dabei aus ihr hinausglitt. »Welch Überraschung! Ein unverhofftes Vergnügen«, sagte der Alb zufrieden, »aber mein Herz ist erfreut, Rache für den Tod meiner Schwester zu bekommen!« Er kniete sich neben sie und zog seinen Dolch mit der zweifachen Klinge. »Dein Tod heißt Tirigon«, flüsterte er ihr ins rechte Ohr und setzte die Klingenspitzen an den Hals. »Deine Seele ist für immer verloren, Zauberin.« Er drückte die Waffe ganz langsam und genüsslich durch die Haut ins Fleisch und weidete sich an den entsetzten Augen der Frau, die wimmerte und stöhnte. »Gern würde ich bleiben, um dem Auszug deines Selbst beizuwohnen«, raunte er zärtlich wie ein Liebhaber und zog den Dolch ebenso bedächtig aus ihr heraus. Dann stand er auf und humpelte an der Sterbenden vorbei zum Ausgang des Thronsaals.
Coira lag keuchend auf den schwarzen Basaltplatten und wunderte sich, weswegen sie kaum Schmerzen empfand. Sie versuchte, einen Heilzauber zu sprechen. Doch ihre verletzte Lunge erlaubte es ihr nicht, auch nur ein Wort zu sagen.
Ingrimmsch warf sich in den Dreck und sah hinüber zu Mallenia, die ihn aus großen, verwunderten Augen anstarrte und versuchte, sich aufzurichten und den Pfeil aus der Wunde zu ziehen. Er merkte, dass ihre Sinne verwirrt waren. »Nein, bleibt unten!«, rief er.
Aber die Ido hörte nicht auf ihn. Sie setzte sich auf und wandte den Kopf, um nach dem Pfeil zu sehen, der aus ihrem Rücken ragte. Ihre Finger wollten sich darum schließen und den Schaft abbrechen, da sirrte es, und ein zweites Geschoss traf sie durch den Hals. Mit einem Gurgeln kippte sie zur Seite und lag still. Gleich danach schepperte es, und ein Zhadär schrie gellend auf.
»Slin!«, schrie Ingrimmsch hasserfüllt. Wir sind nicht so weit gekommen und haben Gefahrenüberstanden, um von einem feigen Alb hinterrücks gemeuchelt zu werden. »Schieß das Schwarzauge endlich ab!«
»Ich sehe ihn nicht«, kam es von irgendwo seitlich von ihm. »Er hat sich im Gras versteckt.«
»Verflucht! Ich scheiße auf Tion und seine Geschöpfe!«, brüllte Ingrimmsch und fühlte, wie der Kampfrausch von ihm Besitz ergreifen wollte. Allerdings war das Dümmste, was man gegen einen Bogenschützen tun konnte, aufzuspringen und ihm entgegenzulaufen.
Mit einem metallischen Klirren traf ihn etwas gegen die Helmspitze und riss ihm den Kopfschutz herab. Ingrimmsch bildete sich ein, dass die Spitze seine Haut geritzt hatte. »Slin!«
»Ich sehe ihn nicht! Ich sehe ihn nicht, verdammt«, rief der Vierte verzweifelt zurück. Ingrimmsch blickte über die Schulter zum Kraterrand. Er hatte gehofft, dass Rodario durch irgendeine Fügung auftauchte, aber sein Gesicht schob sich nicht empor. Der Schauspieler war mit dem Pferd in den Tod gesprungen. Blöder Tod und so ... Die Wut wurde heißer. »He, Schwarzauge! Was hältst du von einem Zweikampf? Du gegen mich?«
»Noch etwas Geduld«, vernahm er die Stimme des Albs. »Ich sorge dafür, dass du keine Hilfe gegen mich bekommst.«
Es klirrte, und dieses Mal schrie Slin; gleich darauf gab ein Zhadär ein ersticktes Aufstöhnen von sich.
»Das sollte es gewesen sein«, hörte Ingrimmsch den Alb sagen. Der Zwerg blickte nach vorn und sah ihn dreißig Schritt entfernt im hüfthohen Gras stehen. Es war Tirigon, der seinen Zweihänder lässig gegen die Schulter gelehnt hielt und zu ihm blickte. »Bereit?« »Und wie«, grollte Ingrimmsch und stand auf. Er warf den schwarzen Zopf nach hinten und hob den Krähenschnabel. Mit einem schnellen Blick erfasste er, dass er der Einzige war, in dessen Leib kein Geschoss steckte. Rasch hielt er auf den Alb zu. Tirigon bewegte sich nicht, was geradezu aufreizend und anstachelnd auf den Zwerg wirkte. »Ich hatte gehofft, dass der Kordrion euch und den Kaiser frisst. Es hat den Anschein, dass ich selbst Hand anlegen muss. Ich werde den Tod dich berühren lassen.«
»Das wird dir nicht gelingen.« Ingrimmsch erlaubte dem Wahn, Besitz von ihm zu erlangen. Die Welt tauchte in Rot ein, sein Kopf wurde heiß und die Muskeln platzten vor Verlangen, den Dorn des Krähenschnabels tief ins Gesicht des Gegners zu schlagen. Doch noch hielt er sein Ungestüm zurück.
Etwas Verstand musste er sich bewahren, da der Alb durch seine langen Arme und den Zweihänder gleich zweifache Vorteile besaß. Kraft war gut, Wut noch besser, aber erst, wenn diese beiden Vorteile des Feindes aufgehoben waren. Das wollte er durch schwere Verwundungen erlangen.
Ingrimmsch hatte sich auf zehn Schritte genähert und verfiel inleichten Trab. »Gleich werde ich dir das Grinsen mit meinem Liebling aus dem Gesicht dreschen!«
Tirigon lächelte noch immer unbeeindruckt, das überlange Schwert verblieb auf seiner Schulter. »Sag, kurzbeiniger Abschaum: Woher rührt die Sicherheit, dass ich es war, der mit dem Bogen schoss?«