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Kein Köcher, keine Pfeile, kein Bogen. Ingrimmsch wurde sich seiner falschen Annahme zu spät bewusst.

XXIX

Das Geborgene Land, Albae-Reich Dsön Baisur, Dsön, 6492. Sonnenzyklus, Spätfrühling.

Balyndar erspähte Lot-Ionan durch die Sphäre. Der Magus wirkte wie auf dem Gemälde, das sie von ihm gesehen hatten. Der stämmige Zwerg benötigte viel Kraft, um den Griff der Feuerklinge zu halten und sich gegen den Druck zu stemmen, der von der magischen Attacke ausging. Tungdils Rüstung schien, sofern er es richtig wahrnahm, ihre Sache gut zu machen und ihren Träger vor den Blitzen zu schützen, die der Magus gegen ihn sandte.

»Coira!«, schrie er nach der jungen Frau, auch wenn er damit einen Teil der Überraschung nahm. Er wusste nicht, wie lange die Feuerklinge ihre Wirkung tun würde. Aber die Maga erschien nicht.

Der magische Angriff gegen ihn endete, und der Schirm um ihn herum erlosch. »Vraccas!«, rief er sich selbst Mut zu und rannte mit erhobener Klinge auf Lot-Ionan zu. Der Magus starrte die Axt an, dann sah er zu Tungdil und vollführte eine rasche Bewegung. Über dem Zwerg lösten sich die Fahnenhalterungen und der Stoff zwischen den Säulen und rauschten auf ihn herab. Balyndar verstand: Es ging Lot-Ionan darum, die Gegner nacheinander attackieren zu können.

Fast hatte er ihn erreicht und strengte sich noch mehr an, um ihm ganz nahe zu kommen.

Lot-Ionan richtete seinen Stab mit dem Onyx voraus gegen ihn, und ein orangefarbener Strahl schnellte hervor, erfasste die Steinplatten um ihn herum und riss sie aus ihrer Verankerung. Der Magus ließ ihn zehn Schritte hoch bis zur Decke schweben und wuchtig dagegen prallen. Er hatte verstanden, dass er seine Feinde nicht mit unmittelbarer Magie verwunden konnte.

Schon ging es für Balyndar wieder abwärts.

Er schlug mit der Feuerklinge um sich und erwischte eine der Querstreben, an denen eine Fahne hing. Der Axtkopf hakte sich fest, und er pendelte wie an einem Seil daran hin und her. Der Boden lag geschätzte sieben Schritt unter ihm; einen Sturz aus dieser Höhe würde er wohl nur mit schweren Verletzungen überleben.

Balyndar erblickte Coira von oben und erstarrte: Die Wunde, die er in ihrem Körper sah, musste tödlich sein - aber woher stammte sie? Zu spät fiel ihm ein, dass Lot-Ionan vor ihrem Eintreffen mit einem Alb gekämpft hatte. Dieser musste die Gunst des Augenblicks genutzt haben, um sich abzusetzen und dabei die Maga niederzustechen. So leid es ihm um Coira tat, es musste gehandelt werden.

Er raffte den Stoff zusammen, schlang die Arme drumherum und nutzte die Flagge, um daran sicher auf den Boden zu gelangen.

Dabei wurde er Zeuge, wie Tungdil und Lot-Ionan miteinander redeten! Er verstand sie nicht, weil er zu weit von ihnen entfernt war, doch sie standen sich gegenüber, ohne dass einer den anderen angriff. Was hat das zu bedeuten?

Da sprang Tungdil unvermittelt nach vorn und stach mit Blutdürster nach dem Magus, der lachend eine Geste vollführte und den Zwerg mit einer umherliegenden Fahne einhüllte; dann holte er aus und schlug mit dem Stab zu.

Kaum berührte der Onyx den gefärbten und bestickten Stoff, verwandelte er sich in eine gigantische Schlange, die sich eng um Tungdil wand. Die Muskeln bewegten sich, die Rüstung knirschte laut, und der Zwerg konnte sich nicht mehr bewegen. Balyndar hatte den Boden erreicht und stürmte schräg auf Lot-Ionan zu, die Feuerklinge vor sich haltend. Die Diamanten und Intarsien schienen voller innerem Feuer, und die Wärme, die von ihnen ausging, ließ ihn an eine Esse denken. Der kahle Lot-Ionan bemerkte ihn und drehte sich zu ihm um. »Seit wann kommen die Kinder des Schmieds, um die Albae zu verteidigen?« Die Bartenden wippten, die hageren Züge wirkten unheimlich und boshaft.

»Wir sind nicht ihretwegen hier.« Balyndar sprang auf den Magus zu und schwang die Feuerklinge zu einem brachialen Streich; Lot-Ionan musste nicht wissen, dass er beabsichtigte, ihn mit der flachen Seite zu treffen.

Der Magus wich erstaunlich gewandt aus und schlug seinerseits mit dem Stab zu. Feuerklinge und Onyx stießen zusammen. Die folgende Detonation setzte dermaßen viel Helligkeit frei, dass Balyndar nichts mehr sehen konnte. Er vernahm ein Prasseln, als ließe jemand viele kleine Steinchen fallen. Blind prallte er auf den Boden, konnte seinen Schwung nicht abfangen und stolperte vorwärts, bis er gegen eine Säule strauchelte, die ihn aufhielt.

Er duckte sich und wirbelte herum, hielt die Feuerklinge schützend vor sich. Langsam konnte er die Umgebung wieder erkennen.

Tungdil hing noch immer in der Umarmung der übergroßen Schlange gefangen. Lot-Ionan hielt die Überreste seines zerstörten Stabs in der Hand und schwang sie anklagend in Balyndars Richtung. Das obere Ende war abgebrochen, der Onyx größtenteils zerstört, die Fragmente lagen vor dem Thron.

»Bei Samusin!«, schnaufte der Magus und schleuderte ihm die Trümmer entgegen. »Bei Samusin!«, schrie er außer sich und hob die Arme. »Wärst du doch zu dem Fleck auf der Erde geworden, wie ich es beabsichtigt hatte!« Unsichtbare Kräfte mussten von dem Magus ausgehen, denn die Platten, die Säulen, alles um Balyndar herum bebte und schob sich auf ihn zu. »Ich werde dich auspressen wie eine Frucht, Zwerg! Deine Knochen werden zu nichts zermahlen werden und mit dem Turm zusammen in ewige Vergessenheit fallen.«

Mit einem tiefen Brüllen zerriss Tungdil die Schlange in zwei Teile. Er hatte Blutdürster nicht benötigt, sondern das Tier eigenhändig zerteilt. Mit dem Fuß schleuderte er seine Waffe empor, fing sie geschickt auf und griff Lot-Ionan an.

Sofort beruhigte sich das Zittern rund um Balyndar, der erleichtert ausatmete und sich ebenfalls gegen den Magus warf. »Für das Geborgene Land!«

Zu seinem Erstaunen rannte Tungdil jedoch an dem Mann vorbei und hielt geradewegs auf ihn zu.

Ingrimmsch stockte nicht.

Grimmig und störrisch zugleich, rannte er unbeirrt auf den Alb zu und verschwendete keinen weiteren Gedanken mehr daran, dass ihn gleich der Pfeil eines anderen Schwarzauges treffen würde.

»Parier das!«, schrie er und drosch mit dem Krähenschnabel zu, der Dorn zielte auf die linke Seite des Albs. Tirigon handelte. Er zog seinen Zweihänder herab, stieß die Spitze tief in die Erde und blockte damit den ersten Hieb; dann stützte er sich auf die überlange Parierstange, drückte sich ab und trat Ingrimmsch mit beiden Füßen ins Gesicht.

Blut spuckend torkelte der Zwerg rückwärts. Seine Nase war gebrochen und schwoll bereits an, und er sah den weißen, verbogenen Knochen aus der Bruchstelle ragen. Zwei Zähne fühlten sich locker an. »Jetzt habe ich mir wegen dir auch noch auf die Zunge gebissen«, schnauzte er den Alb an.

»Es wird nicht deine letzte Verletzung gewesen sein.« Tirigon stützte sich mit dem Arm auf die Parierstange und betrachtete die Flammen in der Stadt. »Das ist wohl kaum dein Werk?«

»Schön wäre es.« Ingrimmsch kam auf den Feind zu und täuschte einen Schlag gegen den Kopf an, doch er änderte die Richtung und ließ die flache Seite gegen den rechten Oberschenkel niedersausen.

Tirigon vollführte eine Ausweichbewegung, hatte eine Hand an den Griff des Zweihänders gelegt und zog ihn zur Seite. Wieder klirrte die Zwergenwaffe gegen Stahl. Und wieder trat der Alb zu, dieses Mal traf er den Nacken.

Fluchend stürzte Ingrimmsch nach vorn und landete auf den Knien im Staub. »Das ist kein Kampf!«, schrie er zornig und erhob sich. »Los, benimm dich wie ein echter Krieger!«

»Da ich nicht gegen einen echten Krieger kämpfe, muss ich es nicht tun«, schmähte der Alb und stand gegen seinen Zweihänder gelehnt. »Dabei habe ich den berühmten Ingrimmsch für einen herausragenden Streiter gehalten, nur um enttäuscht festzustellen, dass er lahmer als ein Ork ist.« Er neigte den Kopf zur Seite und zwinkerte. »Ich erfülle dir einen Wunsch: Wie möchtest du sterben?«