Ingrimmsch wirbelte den Krähenschnabel. »Bei einem Bier, Schwarzauge!« Er preschte nach vorn. »Da du keines dabeihast, bin ich vor dir sicher.« Dieses Mal schlug er schräg von oben nach unten.
Tirigon duckte sich und stützte dabei mit beiden Armen den Zweihänder ab, um ihn erneut als Block zu benutzen.
Aber er hatte die wütende Kraft des Zwerges in seinem Hochmut unterschätzt. Der Hieb warf den Alb rückwärts auf den Boden, und auch wenn ihn der Krähenschnabel nicht traf, bohrte sich das geschliffene Ende der eigenen Parierstange neben dem Hals in die Schulter.
Hab ich dich! Ingrimmsch setzte eilends nach, stieß nach Tirigon und verfehlte den Kopf um Barthaaresbreite. Der Alb vollführte eine Rolle rückwärts und wollte dabei seinen Zweihänder greifen, aber der Zwerg stellte grinsend den Fuß darauf.
Tirigon grinste überheblich zurück und zog blitzschnell seine beiden Doppeldolche; das Zustechen verlief fließend.
Ingrimmsch sah die beiden Arme auf sich zufliegen und vier Klingen aufblitzen. Er musste sich entscheiden, welche er aufhalten wollte. Er wehrte den oberen Arm mit einem Stielstoß ab, die Schneiden zischten knapp an seinem Gesicht vorbei. Dafür traf ihn der zweite Dolch. Zwar durchdrang die Doppelklinge nicht das Kettenhemd, aber der Schlag gegen den Magen brachte ihn zum Würgen.
Schon schoss der nächste Angriff heran, und Ingrimmsch versuchte, sich mit ein paar Rückwärtsschritten vom Alb zu lösen.
Tirigon ließ nicht von ihm ab und setzte ihm mit den Dolchen unablässig zu. Er hatte dabei immer noch das Lächeln auf dem feinen Antlitz und wirkte, als müsste er sich bei seiner Angriffskette nicht einmal anstrengen.
Ingrimmsch erhielt Schnitte an den Händen, im Gesicht, an jeder Stelle des Körpers, die nicht vom Kettenhemd geschützt war.
»Wie du bemerkt hast, mache ich mir einen Spaß daraus, dich zu ritzen und nicht zu töten«, erklärte der Alb und lachte. »Spürst du die Erschöpfung, Zwerg? Wenn du zusammenbrichst und vor meinen Augen dein Leben aushauchst, werde ich zuschauen und mir den Moment einprägen. Für ein Gemälde? Oder eine Zeichnung?« »Du ritzt mich nur deswegen, weil du nicht schnell genug bist, mich zu erwischen, Schwarzauge!« Ingrimmsch hatte in den Attacken ein Muster erkannt. Ich weiß, was du als Nächstes tun wirst. »Und außerdem«, er unterlief den Alb, wich dem Dolchstoß aus und bohrte den Dorn des Krähenschnabels mit einem derben Schlag exakt in die Körpermitte, »wirst du gar nichts mehr malen.« Er warf den wie gelähmt stehenden Tirigon auf den Rücken und riss den Krähenschnabel nach unten, um die Wunde zu vergrößern. »Höchstens mit deinen Fingern im Dreck!« Er hebelte die Waffe aus dem Bauch und zerfetzte dabei die Gedärme. Zufrieden betrachtete er das Blut an der Spitze. »Ihr seid eben auch nichts Besonderes. Nur größer.« Ingrimmsch trat ihm mit voller Wucht ins Gesicht, hörte die Knochen krachen, und spie auf ihn. »Das ist für meine Nase.« Dann wandte er sich um. Erschrocken starrte er auf Slin, der sich aufgerichtet hatte und seine gespannte Armbrust auf ihn gerichtet hielt. Er hatte die Verwundung mit seinem lauten Schrei nur vorgetäuscht! »Was...«
»Das hätte ich schon lange tun sollen«, grollte der Vierte und drückte ab. Die Feuerklinge und Blutdürster prallten zusammen, und Funken sprühten weithin durch die Luft, prasselten gegen die Zwerge und auf den Boden.
Tungdils Waffe konnte ihre Herkunft als einstiges Schwert eines Unauslöschlichen nicht verleugnen. Jede andere Klinge wäre unter der Macht der Feuerklinge zersprungen, doch Blutdürster trotzte dieser Gewalt.
Die Diamanten am Axtkopf verstärkten ihr Leuchten, als wären sie wütend darüber, Blutdürster nicht vernichten zu können.
Balyndar spürte, dass Tungdil ihm an körperlicher Kraft berghoch überlegen war. Er wurde spielend leicht nach hinten gegen eine Säule geschoben. »Verräter!«, schrie er den Einäugigen an und versuchte einen Kniestoß. »Ich ahnte es, dass du deinem Ziehvater näher stehst als deinem eigenen Volk!«
Tungdil trat sein Knie zur Seite und versetzte ihm einen Kopfstoß, der seinen Schädel nach hinten gegen den Pfeiler schleuderte.
Balyndar wurde kurz schwarz vor Augen, und gleichzeitig wich der Druck auf die Feuerklinge. Tungdil hatte sich von ihm gelöst; dann sah er wieder klar. Der Einäugige stand schräg vor Lot-Ionan, als wolle er ihn beschützen. »Beruhige dich«, sagte er zu ihm. »Er ist einverstanden, uns zu helfen.«
Der Fünfte schüttelte den Kopf, um die letzte Benommenheit zu vertreiben. »Helfen!« Seine Blicke wanderten zwischen dem Zwerg und dem Magus hin und her. »Lot-Ionan, der den Süden des Geborgene Landes seit Zyklen unterjocht, dessen Famuli Landstriche entvölkert haben, hilft uns? Noch dazu freiwillig!«
»Er weiß, dass er gegen uns beide nicht bestehen kann.« Tungdil senkte Blutdürster. »Um sich Schmerzen und Demütigungen zu ersparen, ist er auf meinen Handel eingegangen.«
Balyndar schluckte. »Du klingst wie sein Herold, nicht wie sein Feind.« Er tat sich schwer, den Worten Glauben zu schenken. Hinter Lot-Ionan machte er plötzlich einen schmalen Schemen aus. »Nein, nicht!«, rief er. Tungdil und der Magus drehten sich um.
Coira stand hinter ihnen, die Arme halb erhoben und mitten in den Vorbereitungen für einen Zauber. Die Kleidung über ihrer Brust und dem Bauch war zerschnitten und mit Blut getränkt, die nackte Haut darunter erschien an manchen Stellen heller als an anderen.
Auch wenn von der schrecklichen Wunde nichts mehr geblieben war, sah Balyndar an Coiras geweiteten Augen, dass sie den Schock über die Verletzung noch nicht abgestreift hatte. Für ihn machte sie ganz den Anschein, als wolle sie Lot-Ionan dafür büßen lassen. Hatte sie vergessen, dass sie ihn benötigten?
Brauchen wir ihn wirklich? Von irgendwoher kam der Gedanke angeflogen und nistete sich bei ihm ein. Er betrachtete die Feuerklinge, die sowohl gegen Magi als auch gegen Scheusale jeglicher Art wirkte. Warum nicht auch gegen den Meister von Tungdil Goldhand? Tungdil sah zu der jungen Frau. »Maga, lasst von Eurem Vorhaben ab! Ihr braucht ihn nicht mehr zu bezwingen. Er wird uns zur Schwarzen Schlucht begleiten.« Coiras Lippen bewegten sich. Die Handfläche leuchtete rot auf und ein drei Finger dicker Strahl löste sich aus ihr. Fauchend glitt er auf Lot-Ionan zu, der ihr einen Arm entgegenstreckte; die Hand zeigte senkrecht nach oben. Der Strahl prallte dagegen und verpuffte, kleinere Entladungen schössen nach allen Seiten davon. So endete das Duell. Damit hatte sie ihn überwältigen wollen? Balyndar war in Anbetracht der kläglichen Leistung der Maga heilfroh, dass sie nicht auf Coiras Beistand angewiesen gewesen waren.
Tungdil wechselte die Seite und stellte sich zwischen sie und Lot-Ionan. Balyndar ging auf sie zu. »Hört Ihr mich, Königin?«, fragte er behutsam und hielt die Feuerklinge so, dass er sie notfalls zur Abwehr eines Zaubers heben konnte. Die junge Frau senkte den Kopf, bis sie ihm genau in die Augen sah. »Ich war fast tot«, erklärte sie stumpf, und er sah das feuchte Blut auf ihren Lippen glitzern. »Beinahe wäre ich gestorben, aber...« Sie sah auf ihre Schuhe. »Ich bin nicht mehr schicklich gekleidet. Der Alb hat mich entblößt und...« Coira schluchzte auf. »Ich habe gegen Lot-Ionan versagt, weil ich die Magie für meine eigene Heilung benutzte.« Sie hielt sich die Hände vors Gesicht, weinte und redete unverständlich weiter. Immer wieder fiel der Name Sisaroth. Balyndar blickte hilflos zu Tungdil. »Was ist mit ihr?«
»Was soll mit ihr sein? Der Tod hielt sie schon gepackt, und sie spürte Schmerzen, die sogar einen ausgewachsenen Kämpfer irre machen könnten.« Der Einäugige verstaute Blutdürster. »Sie wird vielleicht lange benötigen, bis ihr Verstand sich erholt.« »Oder gar nicht?« Balyndar betrachtete sie mitleidig. Es stand ihm nicht zu, sie in den Arm zu nehmen und ihr Trost zu spenden. Nicht nur wegen des Größenunterschieds. »Umso wichtiger, dass wir Lot-Ionan haben.« Tungdil bückte sich und hob einen Onyxsplitter auf. »Du hast seinen Stab zerbrochen. Das schwächt ihn zwar, wie er mir sagte, aber er ist nach wie vor imstande, Zauber von gewaltigem Ausmaß zu wirken.« Balyndar sah nach dem Magus. Der Mann blickte ihn nicht an, die Augen wanderten über den Zwerg hinweg, als sei er ein beliebiger Gegenstand. »Kann er nicht selbst sprechen?«