»Nicht mit dir oder einem anderen Wesen. Er sieht euch als nicht ebenbürtig an.« »Aber dich?«, sagte Balyndar lauter und verächtlicher, als er beabsichtigt hatte. »Ich bin sein Ziehsohn.«
»Wenn wir etwas von ihm wollen, müssen wir über dich mit ihm sprechen?« Balyndar fasste es nicht. Tungdil hatte einen weiteren Weg gefunden, die Zwerge und die Bewohner des Geborgenen Landes gleichermaßen von sich abhängig zu machen. Der Einäugige nickte. »Genauso ist es. Mir passt es auch nicht, aber er will es so.« »Er will?« Balyndar lachte auf. »Er hat nichts zu wollen! Er ist unser Gefangener!« »Er hat sich freiwillig gestellt. Das ist ein Unterschied.«
»Dann machen wir ihn zu unserem Gefangenen.« Balyndar schwenkte die Feuerklinge. »Ich kann ihn niederschlagen. Die Waffe gibt mir die Möglichkeit dazu, und er wird nichts dagegen unternehmen können.«
Tungdil verzog den Mund, er war unzufrieden. »Du weißt, dass es nicht so ist. Er kann dich unter der Turmdecke begraben lassen, und die Feuerklinge müsste es zulassen.« »Aber...«
Tungdil machte einen Schritt auf ihn zu. »Mäßige dich, Balyndar Eisenfinger! Du bist ein ausgezeichneter Krieger mit einer legendären Waffe, aber ich bin dein Großkönig! Höre auf mein Wort, oder ich lehre dich Respekt. Und bei den Infamen: Ich werde es tun!« Er sah zum Ausgang. »Wir sind noch nicht fertig hier. Der Alb namens Sisaroth ist uns entkommen. Er hätte uns beinahe die Maga genommen.« Er marschierte los, Lot-Ionan folgte ihm, ohne Balyndar anzusehen.
Der Zwerg ging zu Coira und berührte sie am Arm. »Verzeiht, Königin, aber wir brechen auf«, sprach er leise.
Sie fuhr sich mit den Ärmeln übers Gesicht und wischte sich die Tränen ab; dann versuchte sie ein Lächeln und folgte den anderen. Dabei huschten ihre Blicke umher, schweiften über dunkle Ecken und Nischen.
Balyndar fiel auf, dass sie sich dicht in seiner Nähe aufhielt. Sie fürchtete sich anscheinend schrecklich vor dem entkommenen Alb.
Hoch aufmerksam verließen sie den Thronsaal, in dem Aiphatön vor nicht allzu langer Zeit residiert hatte. Das war Vergangenheit. Wie der Kordrion. Wie der Drache Lohasbrand und seine Gesellen.
Balyndar fand, dass der Name Lot-Ionan sehr gut in die Aufzählung toter Scheusale passte.
Während er am Ende der kleinen Gruppe die Treppe nach unten ging, legte er die Rechte an das Sigurdazienholz. Er würde dafür sorgen, dass es geschah und der Magus nach der Schlacht an der Schwarzen Schlucht nicht ins Geborgene Land zurückkehrte. Balyndar sah den kahlen Hinterkopf von Lot-Ionan vor sich.
Was gab es alles für Geschichten über ihn. Aus dem freundlichen Magus war ein Schreckensherrscher geworden, dessen Grausamkeiten und Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben anderer berüchtigt waren. Und er hatte die Zwerge vom Stamm der Zweiten beinahe vollständig ausgerottet.
Allein diese Gedanken spülten Balyndars Zorn nach oben, kochten in ihm heißer als flüssiges Eisen und ließen ihn schnauben. Er glaubte jetzt und in einhundert Zyklen nicht, dass Lot-Ionan sich ihnen ohne einen Hintergedanken anschloss. Er und Tungdil haben etwas ausgeheckt. Vielleicht hatten sie sich das Geborgene Land aufgeteilt? Was hätte er dafür gegeben, die Unterredung zwischen den beiden mit angehört zu haben. Ganz in Überlegungen versunken, wurde er von der Feuerklinge vor dem Hinterhalt gewarnt. Die Intarsien leuchteten stärker auf, und Balyndar zuckte mit einem Schrei herum, die Axt zum Schlag erhoben, um den Alb, der sich angeschlichen hatte, zu spalten. »Zu Tion mit dir!«
Doch hinter ihm stand niemand.
Ein stechender Schmerz jagte senkrecht von oben durch seine Schulter. Balyndar ließ sich fallen und zog sich auf diese Weise das Schwert wieder aus der Wunde, dabei rollte er sich auf den Rücken. Gerade noch rechtzeitig, um einen zweiten Stich kommen zu sehen und mit einem raschen Hieb abzufälschen; klirrend fuhr die Spitze gegen den Basalt und hinterließ eine Kerbe.
Sisaroth hing über ihm!
Der Alb hatte sich in der Gewölbedecke der Treppe an zwei Graten mit den Beinen abgestützt und über ihnen falkengleich gelauert. Jetzt sprang er herab und landete hinter Balyndar, stach waagrecht über ihn hinweg nach vorn gegen den Rücken der Maga und verletzte sie erneut, danach zog er das überlange Schwert nach unten. Coira stürzte.
Schnell spreizte der Zwerg die Beine, sonst wäre ihm die Klinge ins Fleisch gefahren. Dafür bohrte sich die spitze Parierstange schmerzhaft in sein Schlüsselbein. Knurrend schlug er mit der Feuerklinge nach oben, doch Sisaroth wich der Schneide aus und trat Balyndar gegen die Hände. Beinahe hätte er den Griff losgelassen. Es hatte geknackt, irgendein Knochen war ihm gebrochen worden, aber noch spürte er nichts. Die Wunden in der Schulter schmerzten schlimmer. Trotz seiner vielen Verletzungen ist er tödlich und schnell. Verfluchte Kreatur!
Der Alb machte zwei flinke Schritte, sprang gegen die Wand, lief im Vorwärtsrennen an ihr hinauf bis zur Decke und attackierte dabei Lot-Ionan.
Der Magus und Tungdil waren durch die Kampfgeräusche und den Schrei der Maga, die eben auf den Stufen zusammensackte, vor Sisaroth gewarnt. Coira fiel jedoch gegen Lot-Ionan und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Glücklicherweise ging damit auch der Streich des Albs fehl, der ansonsten unweigerlich den Kopf des Magus zerteilt hätte. Tungdil wehrte den ersten Hieb gegen sich mit einer raschen Bewegung ab. Da landete Sisaroth vor ihm und drosch mit beiden Händen zu.
Tungdil fing den Schlag knapp über seinem Kopf ab, hielt die Waffe weiterhin nach oben und lief auf den Alb zu. Das schleifende Geräusch, das die aneinanderreihenden Schneiden verursachten, erzeugte bei Balyndar eine Gänsehaut.
Sisaroth wich dem heranstürmenden Zwerg aus, machte zwei Sätze rechts und links gegen die Wand und wollte sich Richtung Decke zurückziehen, da spießte Tungdil sein verletztes Bein mit einem überraschenden Aufwärtsstich auf. Das Blut schoss aus dem klaffenden Schnitt, in dem der Knochen schimmerte.
Aufschreiend stürzte Sisaroth auf die Basalttreppe und verlor sein Schwert, das der Zwerg durch einen Tritt die Stufen hinabrutschen ließ.
Der Alb aber hatte noch lange nicht aufgegeben. Seinen ersten Doppeldolch schleuderte er nach dem Einäugigen - doch die Verzierungen der Rüstung leuchteten auf, und die Waffe wurde, kurz bevor sie das Tionium berühren konnte, im Flug aufgehalten. Harmlos fiel sie auf den Stein.
Sisaroth hatte bereits seinen zweiten Dolch gezogen, aber er zögerte. Der Anblick der Rüstung schien ihn abzulenken oder ihm vor Augen zu führen, dass er gegen diesen Feind nicht siegen konnte. Trotzdem lachte er unvermittelt und sprach Albisch. Gleich darauf leuchteten die Runen nacheinander auf, und Tungdil, der sich ausholend auf den Alb zubewegt hatte, erstarrte statuenhaft in der Bewegung und stürzte. Scheppernd rollte er die Treppe hinab, ohne die Hände von Blutdürster zu lösen oder irgendeine Anstalt zu machen, sich abzufangen.
Sisaroth lachte noch immer und wandte sich mit dem Dolch in der Hand Lot-Ionan zu. »Wer hätte gedacht, dass sich das Blatt wendet?«
Der Magus blutete aus einer Stirnwunde, die er sich beim Zusammenprall mit der Wand zugezogen hatte, nachdem Coira gegen ihn gestürzt war. Der Blutschleier schien ihn zu behindern.
Balyndar biss die Zähne zusammen und legte seine verbliebene Kraft in den Wurf. Die Feuerklinge machte sich auf die Reise und flog auf den Alb zu.