»Dass es nicht Eure Tochter sei, die zurückgekehrt ist.«
Ingrimmsch warf die Hände in die Luft. »Geht das schon wieder los! Erst der Gelehrte, jetzt die eigene Tochter! Sie leidet an Verfolgungswahn!«
»Das denke ich auch«, meinte Coira milde, um den Zwerg zu beruhigen. »Es ist ganz eindeutig Eure Tochter. Sie hat viele persönliche Dinge erzählt.« Sie blieb vor der Tür stehen. »Ihr ist das Schrecklichste widerfahren, was einer Frau widerfahren kann, wenn sie in Gefangenschaft gerät. Angeblich hat der Zwerg, der sie entführte, es angekündigt und die Schuld auf Goda geschoben, weil sie seine Bedingungen nicht erfüllte. Ein Teil ihres Verstandes ist daran zerbrochen.« Sie berührte ihn an der Schulter. »Ich kann nichts für sie tun, Boindil Zweiklinge. Dagegen ist das, was ich erleben musste, harmlos.«
Ingrimmsch konnte nichts entgegnen, zu groß war der Hass, der in ihm tobte. Hass auf den Gegner in der Rüstung aus Vraccasium, gegen den er bei aller Kampfkunst machtlos war. Ich werde seine Leiche schänden.
Wütend betrat er mit ihr zusammen die Halle - und musste vor Überrumplung stehen bleiben: außer Tungdil, Slin, Balyndar und Balodil standen dort zwei Elben in weißen Gewändern, unter denen Panzerungen aus hellem Palandium schimmerten. Sie trugen Schwerter und Schilde auf dem Rücken sowie zwei längere Dolche an ihren Gürteln. Der eine war braunhaarig, die Elbin fast weiß auf dem Schopf, und sie sahen für Ingrimmschs Geschmack zu lang, zu dünn und zu hübsch aus. Wie bei den Albae: Esgibt keine Fetten und keine Hässlichen. Es könnte einer mal furzen wie ein Pony, damit sie nichtsoperfekt sind.
Tungdil bat die Maga und seinen Freund herein und stellte sie den Elben vor. »Dies sind die letzten beiden Helden, denen ihr die Vernichtung der Albae im Geborgenen Land verdankt. Sie haben ebenso daran mitgewirkt wie ich.« Er nannte ihre Namen, dann zeigte er auf die Elben. »Das sind Ilahin und seine Gemahlin Fiea. Nachdem die Aufstände in den Albae-Gebieten begannen, haben sie ihr Versteck verlassen und die Menschen gegen die Schwarzaugen geführt.«
»Doch dazu wären wir niemals in der Lage gewesen, wenn Ihr nicht die Vorarbeit geleistet hättet«, sagte Fiea freundlich und mit dem eigentümlichen Singen der Elben in der Stimme, das kein Zwerg wirklich mögen konnte und das die Langen so bewunderten.
»Es ist euch also zu Ohren gekommen?«, meinte Ingrimmsch und blickte auf die Ohrspitzen, dabei bleckte er die Zähne.
Ilahin lachte herzlich. »Zwergenspäße haben mir gefehlt.«
Ingrimmsch stutzte. »Du magst es, wenn man dich aufzieht?«
»Er ist eine Ausnahme«, warf Fiea ein und klang nicht mehr ganz so freundlich. »Ich dagegen mag es nicht.«
»Halte dich zurück, alter Freund«, sagte Tungdil und bat ihn und Coira, Platz zu nehmen. »Sie sind gekommen, um sich zu bedanken und Kunde aus dem Geborgenen Land zu bringen.«
Ilahin wartete, bis sie saßen. »Aiphatöns Tat und Euer Eingreifen haben es uns ermöglicht, wieder zu erscheinen und die Elben ihren Anteil an der Befreiung unserer Heimat leisten zu lassen. Da wir dem Kind der Unauslöschlichen nicht danken können und wollen, weil seine Abstammung es uns verbietet, möchten wir es bei Euch umso mehr.« Er nahm eine Schatulle vom Boden und öffnete sie. Darin lagen Dolche aus weißlichem Metall. »Sie sind aus reinem Palandium und schneiden alles. Die Macht der Elbengöttin ist in sie eingefahren und soll Euch in der kommenden Schlacht rüsten.« Fiea überreichte jedem Einzelnen von ihnen eine Klinge.
Ingrimmsch musste eingestehen, dass es gute Arbeit war, doch kein Vergleich zu den Waffen der Zwerge. Die Elben hatten andere Herstellungsweisen und Methoden zum Härten und Schmieden, das sah er schon alleine an der Beschaffenheit der Oberfläche. Kinderspielzeug. Weil er es sich jedoch nicht mit ihnen verderben wollte, bedankte er sich artig für die Gabe und verstaute sie an seinem Gürtel. Dass eine Elbenwaffe es bis an das Wehrgehänge eines Zwerges geschafft hatte, bedeutete ein Kuriosum. »Wir haben weite Teile von Dsön Bharä ebenso vernichtet wie Phöseon Dwhamant und ihm seinen alten Namen Älandur gegeben. Die Menschen werden dafür sorgen, dass nichts mehr an die Existenz der Albae erinnert.« Ilahin zeigte auf seine Gemahlin. »Fiea und ich werden in die Goldene Ebene zurückkehren und eine Siedlung errichten. Wir sind uns sicher, dass die Elben wieder ins Geborgene Land ziehen werden, wenn die Kunde über den Sieg hinaus ins Jenseitige Land gedrungen ist. Sie sollen eine Heimat vorfinden, keine Fremde.« Der Elb lächelte.
»Wie entzückend. Aber Ihr seid doch nur zu zweit«, merkte Slin an.
»Wir leben lange genug, um vieles zu schaffen«, erwiderte Ilahin.
»Und wir sterben nicht eher, bis die Elben angekommen sind«, fügte Fiea überzeugt hinzu.
»Die Dolche sind nicht das einzige Geschenk. Sie möchten uns bei der bevorstehenden Schlacht gegen die Scheusale beistehen«, eröffnete Tungdil.
»Ist das nicht sehr gefährlich? Wo Ihr doch eine Heimat für Euresgleichen schaffen wollt?«, meinte Slin und merkte erst nach seinen Worten, dass man sie durchaus als verletzend empfinden konnte. »Ich... zweifele Euer Kampfgeschick nicht an, Fiea und Ilahin, aber... es wird eine gewaltige Schlacht mit mehr als nur Verletzten werden. Gewiss ist sie kein Vergleich zu der Hätz auf Albae, die Ihr im Geborgenen Land geführt habt.«
Fiea blickte ihn an. »Eure Sorge ist rührend, doch wir wissen zu kämpfen, Slin.« Sie verneigte sich. »Gestattet, dass wir uns zur Ruhe begeben. Unsere Körper müssen für den kommenden Umlauf erholt sein.« Sie und Ilahin gingen hinaus.
»Was sagt man dazu?« Balyndar hatte den Dolch vor sich auf dem Tisch liegen. »Die Elben kriechen aus ihrem Waldversteck.« Slin und Balodil lachten leise. »Sie wissen, wann ein Gefecht aussichtslos erscheint und wann ihm Erfolg gegönnt ist.« Tungdil sah ihn strafend an und zurrte den Dolch am Gürtel fest. »Frag die Fünften und die Ersten. Sie nutzten in den vergangenen Zyklen ähnliche Strategien, wie ich gehört habe. Darin besteht der Unterschied zur Feigheit, die du ihnen unterstellt hast.« Er ging zur Tür. »Wir sehen uns morgen. Ich werde nicht mehr gestört, bis die Sonne sich erhebt und wir die Scheusale angreifen.«
Ingrimmsch verabschiedete sich ebenfalls und verschwand hinaus. Slin betrachtete das Modell von Schlucht und Festung. »So, so. Morgen ist der Umlauf gekommen.« Er schenkte Coira einen kurzen Blick. »Ihr werdet es schaffen, Maga?« »Mit Lot-Ionans und Godas Beistand sollte es keine Schwierigkeit bedeuten, das Gebirge einstürzen zu lassen«, antwortete sie. »Allein wäre es mir niemals gelungen, aber zu dritt sehe ich dem gelassen entgegen.«
»Aber wenn Ihr zu viel Energie beim Kampf einbringen müsst?« Balyndar schnippte einige Figürchen im Lager der Bösen um.
»Davon gehe ich nicht aus. Lot-Ionan ist derjenige, der die meisten Zauber sprechen wird. Sein Reservoir ist unerreicht, ich weiß nicht, wie er es schafft. Obwohl Balyndar seinen Onyxstab beschädigt hat.« Sie unterdrückte ein Gähnen. »Wir werden angreifen und das Heer der Dunkelheit niedermachen. Wenn uns die Geschosse für die neuen Katapulte ausgegangen sind, kommt Ihr ins Spiel. Zusammen mit den Ubariu, den Untergründigen und den Menschen sollte es leichter sein als...«, sie schnippte ebenfalls ein Figürchen davon, »das hier.« Mit diesen Worten verabschiedete sie sich und verließ die Halle; der Zhadär verschwand ohne einen Gruß.
Slin sah Balyndar an, dann richtete er den Blick auf die Feuerklinge. »Mach damit keinen Unfug«, warnte er ihn und erhob sich. Dabei hielt er seine Armbrust kurz so, dass man es als Drohung verstehen konnte. »Ich werde dich auf dem Schlachtfeld nicht aus den Augen lassen, und sollte ich sehen, dass du Verrat an dem rechtskräftig gewählten Großkönig begehen möchtest...« Er ließ den Satz unvollendet und schritt hinaus, die Armbrust geschultert.
Balyndar saß als Einziger noch da, die Augen auf den Nachbau der Schlucht geheftet und die Rechte auf Feuerklinges Griff gelegt. »Ich werde tun, was ich für richtig halte«, sprach er und beugte sich nach vorn. Er hatte ein Figürchen entdeckt, das man durchaus für Tungdil halten konnte.