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»So? Was kannst du mir bieten?«

»Lass mir mein Leben, und ich verrate dir, wo sich unsere geheimen Sammelpunkte befinden«, hustete er und senkte eine Hand, um sie gegen die Bauchwunde zu pressen. »Du verrätst deine Anführerin, die Heldin von Idoslän, um ein Leben in Schmach und Schande zu führen?«, lachte ihn Hargorin aus. »Weswegen sollte dein Leben so viel mehr wert sein als ihres?«

Er stöhnte und rang mit sich. Es war keine leichte Entscheidung, die er gefällt hatte. »Ich habe Familie«, stieß der Mann verzweifelt hervor. »Vier Kinder und eine Frau, die auf mich warten. Ich kann sie nicht allein lassen. Nicht in diesen Zeiten.« Er sank auf die Knie, während sich der Zwerg ihm weiter näherte. »Bitte, verschone mich und lass mich zu ihnen zurückkehren!«

Hargorin betrachtete ihn vom Sattel herab und sah die ehrliche Sorge und die Verzweiflung, die Seelenpein. »Wie heißt du?«

»Tilman Berbusch«, antwortete er.

»Und ist es eine sehr weite Reise, die du nach Hause antreten musst?« Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich schaffe es, trotz meiner Wunde. Ich bin aus Hügelblick.« Tilman atmete schwer, die Schmerzen mussten ihn quälen. »Die geheimen Orte sind in...«

Hargorin hob sein Beil und spaltete den Schädel des Mannes, bevor er weitere Worte zu sagen vermochte. Es knackte, Blut schwappte aus dem Spalt, aus der Nase und dem Mund. Als der Dritte die Klinge herauszog, kippte der Leichnam nach links. »Ich werde mich um deine Familie kümmern, Tilman Berbusch aus Hügelblick«, versprach Hargorin ohne Bosheit in der Stimme und lenkte das Pferd am Toten vorbei zurück zum Wagen und zur Schwarzen Schwadron. »Vraccas, vergib mir mein Handeln, doch du allein weißt, warum ich es tue«, flüsterte er, ehe er seine Truppe erreicht hatte.

Dieser Umlauf endete teuer für ihn und plünderte seine Schatzkammer gehörig. Die Albae bestanden auf ihrem Zehnten, und so musste er an seine eigenen Güter gehen, um sie zufriedenzustellen.

Hargorin hob die braunen Augen; sein Blick richtete sich nach Westen, wo eine dunkle, breite Rauchwolke gegen den Himmel stieg und auseinanderfächerte.

Die Dsön Aklän schienen mit ihrer Arbeit in Hangenturm zu Ende zu sein. Mallenia blickte hinter sich und erkannte eine Abteilung der Schwarzen Schwadron, die das Wäldchen umrundete. Sie befand sich weit genug von den Zwergen entfernt. Durch die Begehrer drohte ihr keine Gefahr mehr.

Doch als sie den Blick wieder nach vorn richtete, stockte ihr Herz. Eine gewaltige Rauchfahne stand über Hangenturm, undzusammen mit den Worten von Todbringer ergab sie einen schrecklichen Sinn. Sie spornte den Schimmel zu noch höherer Geschwindigkeit an und lenkte ihn zu guter Letzt sogar vom freien Feld auf die Straße, um rascher vorwärtszukommen. Die Stadttore standen weit offen, davor lagen menschliche Umrisse ausgestreckt im Schnee. Mallenia erkannte, dass es sich um die Stadtwachen handelte, und sie zügelte ihren Schimmel.

Lautes Prasseln und Knacken von tobendem Feuer erklang, Stimmengewirr näherte sich ihr, und das Pferd schnaubte aufgeregt.

Die Wachen waren mit präzisen Stichen getötet worden. Mitten auf dem Weg lag die enthauptete Leiche einer Frau, die Mallenia als Tilda Küferstein kannte. Tränen schössen ihr in die Augen, Kummer und Hass beherrschten ihre Gedanken und zwangen sie dazu, durch die Gassen zum Haus ihrer Verwandten zu preschen. Obwohl sie genau wusste, dass sie zu spät kam.

Auf den Straßen liefen rufende und schreiende Menschen umher, die ihr Hab und Gut an sich gepresst hielten; einige trugen lediglich ihre Kinder, andere hatten das Notwendigste oder Kostbarste auf Pferde, Esel oder Rinder geladen und strömten dem Ausgang zu.

Der Brand tobte in dem Viertel, in dem Küfersteins Haus gestanden hatte, und das Gebäude ihrer Verwandten stand mitten in dem Inferno.

Mallenia hielt an, während sich der Strom der Flüchtenden rechts und links an ihr vorbei ergoss; manche prallten in ihrer Kopflosigkeit gegen die Brust des Schimmels, der aufgeregt tänzelte. Niemand versuchte, die Lohen einzudämmen - vielleicht hatte man es probiert und aufgegeben. Wenn kein Wunder geschah, würde Hangenturm ein Opfer des Feuers werden.

Ihre Gedanken rotierten. Sie hatte Tilda nicht besonders gut gekannt und ihr sich dennoch wegen ihrer aufrichtigen Art verbunden gefühlt. Auf etwas mehr als zehn Begegnungen in ihrem Leben waren sie nicht gekommen, und vor allem hatte sie keinerlei Ahnung von dem Plan zum Raub des Zehnten gehabt. Zumal die Albae zu diesem Zeitpunkt noch nichts vom Verlust der Schätze gewusst haben konnten. Einzig ihre gemeinsame Abstammung war ihr zum Verhängnis geworden.

Die Strafe, welche Tilda und Hangenturm ereilte, war ungerechtfertigt. Völlig ungerechtfertigt. Mallenia gab sich nicht der Illusion hin, dass es die Albae kümmerte. Sie merzten Mallens Nachfahren aus, mehr wollten sie nicht. Zumindest diese Wahrheit war aus Hargorins Mund gekommen.

Jemand packte ihren rechten Fuß und den Steigbügel.

»Ihr seid es, Mallenia!«, sagte ein Mann, dessen Gesicht sie unter dem Ruß und den Brandblasen zuerst nicht erkannte. Sein wollener Mantel und die Schuhe waren größtenteils verbrannt, als wäre er in den Flammen umhergelaufen.

»Enslin?« Sie wollte absteigen, doch er hinderte sie mit einer Geste daran. »Flieht! Die Dsön Aklän sind noch in der Nähe«, rief er voller Furcht und sah sich um. »Sie suchen nach Euch.« Er griff in das Geschirr des Schimmels und zerrte ihn um die eigene Achse, richtete ihn auf das Tor auf. »Ihr müsst am Leben bleiben, Mallenia. Fahrt fort, Widerstand zu leisten, und gebt niemals auf, hört Ihr?! Ich war ein Narr, Eure Sache nicht zu unterstützen.«

»Ich...« Ihre Blicke schweiften über die vielen flüchtenden Menschen, die im Begriff standen, alles zu verlieren, was sie in den vorangegangenen Zyklen aufgebaut hatten. Ihr Kampf erschien ihr sinnlos, wenn er Unschuldige ins Verderben riss. Rötha berührte sie am Bein, seine verbrannte Hand hinterließ einen wässrigen Abdruck auf dem Stiefel, und sie meinte, die Hitze spüren zu können, welche von ihm ausging. »Die Albae und die Dritten sind die wahren Feinde unseres Volkes, nicht Ihr«, schärfte er ihr ein. »Ihr seid die Hoffnung, die uns geblieben ist. Wenn Ihr sterbt, ist alles vorüber.« Er gab dem Schimmel einen harten Klaps, und das Pferd ritt los. So sehr sie sich anstrengte, es ließ sich nicht mehr bändigen. Das Gewusel in den Gassen, das Geschrei, der Geruch von Rauch und das Prasseln des Feuers hatten seine Furcht übermächtig werden lassen.

Mallenia verließ Hangenturm und fühlte sich hilfloser und besiegter als jemals zuvor, und das trotz ihres Erfolgs, den sie über die Begehrer errungen hatte. Auch der Triumph über deren Anführer verblasste.

III

Das Jenseitige Land, die Schwarze Schlucht, Festung Übeldamm, 6491. Sonnenzyklus, Winter.

Boindil saß seinem Freund im Licht zahlreicher Lampen gegenüber und beobachtete grinsend, wie er das Essen in sich hineinstopfte. »Die hatten wohl auf der anderen Seite des Schildes nichts Ordentliches«, bemerkte er feixend. »Niemand bereitet die Felsgraupen mit Gugulhack so gut zu wie Goda. Habe ich recht, Gelehrter?« Sie hatten sich in Boindils Gemächer zurückgezogen, um nach dem Trubel in Ruhe zu speisen. Die Wände hingen voller Waffen und Schilde, eine Seite war verschiedenen Landkarten des Geborgenen Landes vorbehalten, und der Tisch, vor dem sie sich niedergelassen hatten, zeigte unter der Glasplatte eine haargenaue Risszeichnung der Festung mit ihren verschiedenen Ebenen. Ein Raum voller Aufmerksamkeit, Übersicht und Kampfbereitschaft, wie es einem General gebührte.

Tungdil hatte sich von seiner Tioniumrüstung getrennt und saß in einem dunkelbeigefarbenen Untergewand, auf dem Runen und Zeichen eingestickt waren, am Tisch; seinen braunen Bart trug er noch immer kurz getrimmt, doch er wirkte dichter und zeigte eine deutliche grausilberne Strähne auf der rechten Kinnseite. Die langen braunen Haare waren mit Öl an den Kopf angelegt und hingen in den Nacken. Sein Kauen wurde langsamer. »Du starrst mich unentwegt an.«