»Habe ich dich«, grollte er und nahm Anlauf zu einem gewaltigen Sprung, der seinen Schlag ungefähr ins Kreuz oder den Nacken führen sollte. Ingrimmsch drückte sich ab und legte viel Kraft hinein, dabei schwang er den Krähenschnabel über den Kopf und drosch zu.
Der Dorn durchschlug etwas, und ein lauter Schrei erklang. Dann prallte der Zwerg gegen Metall und hielt sich mit aller Gewalt am Griff seiner Waffe fest, während sich sein Gegner drehte und wendete, um ihn abzuschütteln wie ein wildes Pferd seinen Reiter.
Aber Ingrimmsch dachte gar nicht daran, die Finger zu lösen. Er hing mit den Füßen anderthalb Schritte über dem Boden, pendelte hin und her und lachte dabei wild. »Bocke ruhig! Es wird dir nichts nützen!« Er zog rasch seinen Dolch mit einer Hand und klemmte ihn zwischen die Zähne, danach zog er sich beidhändig am Stiel empor, bis er auf der Höhe des Waffenkopfes angelangt war, und stieß die Klinge mit einer Hand in die Wunde, aus der rotes Blut lief. »Wie gefällt dir das, Lulatsch!?«, grölte er und stocherte darin herum, bis er in dem ganzen Fleisch einen Knochen entdeckte. Mit einem Hieb bohrte er den Dolch hinein, dass er festsaß.
»Fahr zu Tion!« Ingrimmsch nutzte nun den Dolch als seine Halterung, zog den Krähenschnabel heraus und schlug damit nach oben.
Ein Scheppern erklang, als der Dorn Metall perforierte, und das Aufbäumen endete. Jäh ging es für den Zwerg vorwärts und nach unten. Ingrimmsch kniete sich erst hin, sobald der Winkel weniger steil wurde, und als der unsichtbare Krieger vor Coira aufschlug, stand er auf dem Rücken des Gegners, die Hände um den Griff des Krähenschnabels geschlossen. »Ho, das war nicht leicht«, rief er der Maga zu. Er riss die Waffe aus dem Feind, der mit seinem Tod Gestalt annahm und sich in seinen ganzen erschreckenden Ausmaßen präsentierte.
Ingrimmsch stieg über den Kopf und hüpfte vor der Maga auf die weiche Erde. »Das Geborgene Land braucht Euch!«, bat er sie eindringlich und hielt ihr seinen verschmierten Handschuh hin. »Überwindet Eure Furcht und besinnt Euch Eurer Kräfte, sonst nimmt es ein böses Ende.« Er deutete zur Barriere. »Helft Lot-Ionan!« Coiras Augen flackerten, sie ängstigte sich unbändig und wagte es nicht einmal, die Hand des Zwerges zu ergreifen. »Ich kann nicht«, flüsterte sie. »Ich fürchte mich so sehr.«
Ein lautes Zischen ertönte, und der Morast fing an zu kochen. Ruckartig stiegen breite Fontänen auf dem gesamten Schlachtfeld in die Höhe und stürzten aus zwanzig Schritt auf die Heere. Der Einschlag warf etliche Kämpfer um, der weiche Matsch legte sich über die Rüstungen, die Helme, die Augen - und über die hünenhaften Feinde! Der Mantel aus Dreck machte aus ihnen endlich bekämpfbare Gegner, und das wussten vor allem die Zwerge zu nutzen.
Das war Godas Werk!, dachte Ingrimmsch und fühlte schon wieder Stolz. Da sich Coira nicht bewegte und ihn gleichgültig anstierte, wandte er sich um und rannte zur Barriere. Menschenweiber! Aus den Augenwinkeln sah er Balyndar ebenfalls darauf zueilen, und auch Tungdil näherte sich ihr ebenso wie Lot-Ionan. Ingrimmsch feixte. Dieses Quartett würde der Zwerg in der prunksüchtigen Rüstung nicht aufhalten können. »Gleich bist du ein Meister gewesen«, versprach er dem Unbekannten.
Nacheinander gelangten sie an den Schirm, hinter dem sie den Meister und den Letzten seiner Krieger sahen.
»Los«, drängte Ingrimmsch den Magus. »Lass sie zusammenfallen, damit wir ihn uns schnappen können!«
Lot-Ionan beachtete ihn nicht weiter. Seine Finger malten Zeichen in die Luft.
Tungdil trat an die Barriere und pochte mit Blutdürster dagegen, und es klang wie Glas. »Unser Zweikampf ist noch nicht beendet. Deine Männer werden besiegt, wie du siehst. Wäre es für dich nicht ein Ansporn, mich wenigstens tot zu sehen, auch wenn du alles andere verloren hast?«
»Der, der viele Namen trägt«, sagte der Krieger neben ihm, »verkündet, dass diese Schlacht nicht vorüber ist. Doch bis dahin«, die Barriere stülpte sich plötzlich über Tungdil und schloss ihn ebenso darunter ein, »wird er mit dir kämpfen und dich strafen.« Dann nahm er sein schwarzes Rufhorn und blies hinein. Die Bohrungen darin erlaubten es ihm, ähnlich einer Flöte verschiedene Melodien zu spielen. »Nein!«, rief Ingrimmsch und schlug mit dem Krähenschnabel gegen den Schirm. Es summte, aber die Barriere verschwand nicht. »Lass mich hinein!«
Balyndar packte ihn an der Schulter und zwang ihn, zur Schlucht zu blicken. »Was tun wir jetzt?«
Ingrimmsch riss sich aus seinem Griff los. »Fass mich nicht...« Er bemerkte, worauf die anderen um ihn herum starrten.
Ein weiterer Kordrion erschien in der Spalte, dessen Kopf wesentlich kleiner war als der eines ausgewachsenen Exemplars - doch dann schob sich ein weiterer Schädel und noch einer und wieder einer aus der Schlucht. Das Biest kam zum Vorschein und zeigte sich dem Heer der Verteidiger des Geborgenen Landes.
»Ein Kordrion mit vier Köpfen«, stöhnte Ingrimmsch.
Tungdil hatte den Kampf gegen seinen Meister wieder aufgenommen, während sich die schimmernde Schutzglocke weiter ausdehnte und ihren Durchmesser auf zehn Schritt verbreiterte. Die Zwerge und Lot-Ionan mussten zurückweichen. Ingrimmsch fluchte und sah zum Magus, der noch immer Magie wirkte, aber anscheinend ohne Beistand nicht gegen den Schirm ankam. »Goda!«, rief er. »Goda, wir brauchen dich.«
»Vergehe!« Balyndar schlug gegen die Energiehalbkugel, doch die Feuerklinge erreichte nichts. Sie federte zurück und hätte ihren Träger beinahe mit den Widerhaken verletzt.
Der Hüne ließ das Horn merkwürdige Laute von sich geben, und der Kordrion warf sich fauchend und zischend vorwärts gegen die Truppe, die ihm am nächsten stand. Das waren die Ubariu, die mit weißem Feuer regelrecht überschüttet wurden.
Die Köpfe spien die Flammen in drei verschiedene Richtungen, sodass der größtmöglichte Schaden unter den Soldaten angerichtet wurde. Nach einem zweiten Signal entfaltete das Scheusal seine Schwingen, flatterte in die Höhe und landete im Herzen des Ubariu-Heeres. Es zermalmte die mächtigen Soldaten unter sich, zwei Köpfe schnappten umher, die anderen beiden sandten erneut Lohen gegen die Feinde. »Mach schon, Zauberer!«, brüllte Ingrimmsch Lot-Ionan an. »Wir brauchen diese Tröte!«
Der Kampf zwischen Tungdil und seinem Meister verlief unterdessen recht ausgeglichen. Keiner gewann die Oberhand, sie fügten sich gegenseitig leichte Schnitte und Beschädigungen an den Rüstungen zu; die Runen darauf schwiegen. Ingrimmsch wusste nicht, warum.
Goda erschien schwer atmend. »Ich habe nur noch Kraft für einen Zauber«, gestand sie. »Und genau diese benötige ich«, sagte Lot-Ionan nach vorne, ohne sie anzusehen. »Du kennst den Spruch der Sarifanie?«
»Du weiß, dass du ihn mir beigebracht hast, kurz bevor ich mich von dir lossagte«, gab sie zurück. »Es ist keine gute Magie.«
»Darauf kommt es nicht an«, fuhr Ingrimmsch sie an. »Nicht jetzt, Goda! Hilf ihm, die Barriere zu durchbrechen, oder der Kordrion vernichtet ein Heer nach dem anderen!« Ungeduldig schwang er seine Waffe und merkte, wie das Blut an ihm trocknete. Die Zwergin tat sich sichtlich schwer, neben ihren einstigen Lehrer zu treten und ihre linke Hand in seine Rechte zu legen. Beide richteten die Zeigefinger der anderen Hand gegen den Schirm, dann schlossen sie die Augen.
Da bekam Tungdil einen Hieb mit dem Hammer gegen den Kopf, und er wurde keine zwei Handbreit von Ingrimmsch entfernt gegen die Barriere geschleudert. Der Helm flog davon, Blut rann aus der klaffenden Platzwunde über der Stirn.
Was ...? Ingrimmsch sah mit schreckensgeweiteten Augen auf das Gesicht des Freundes: Es war voller schwarzer Linien, ganz in der Weise eines erzürnten Albs, und sie gingen von der goldenen Augenklappe aus. Er erwartete jeden Moment, dass das Gesicht zerfiel wie eine geborstene Schüssel.
Tungdil schüttelte sich und wehrte den nächsten Hieb ab, schlug zu und erwischte seinen Meister mit Blutdürsters gezahnter Seite im Gesicht. Die Spitzen stachen durch die Haut in die Knochen und steckten fest.